Peter Niggli, Geschäftsleiter von Alliance Sud, will strengere Regeln für Rohstoff-Multis.
Ohne das Engagement von Nichtregierungsorganisationen wie Alliance Sud oder der Erklärung von Bern würde in der Schweiz heute niemand über die Geschäftspraktiken der ansässigen Rohstoff-Multis sprechen. Selbst der Bundesrat kann sich dem Thema nicht mehr entziehen. Ein Jahr lang erarbeitete eine interdepartementale Arbeitsgruppe einen Grundlagen-Bericht zu den Rohstoff-Firmen in der Schweiz. Sämtliche heiklen Punkte, das Reputationsrisiko, die Steuerpraktiken, die Konsequenzen für die Entwicklungsländer beispielsweise, werden im Bericht angesprochen.
Die Regierung belässt es allerdings bei der Analyse und verzichtet darauf, die Firmen strenger zu regulieren. Peter Niggli, Geschäftsleiter von Alliance Sud, die Lobby-Organisation der sechs grossen Schweizer Hilfswerke, ist dennoch optimistisch. Strengere Regeln für Rohstoff-Multis seien nur eine Frage der Zeit.
Herr Niggli, der Rohstoff-Bericht des Bundesrats spricht alle kritischen Themen an, verzichtet aber auf konkrete Forderungen. Sind Sie zufrieden?
Nun ja, vor zwei oder drei Jahren hätte man das noch gewaltig gefunden. Aber die Vorzeichen haben sich geändert. Seit die Erklärung von Bern 2011 ihr Rohstoff-Buch veröffentlichte und ethisch fragwürdige Fälle von Hilfswerken an die Öffentlichkeit gebracht wurden, entstand ein gewisser Druck. Der Druck wurde durch die Politik noch vergrössert, beispielsweise durch das Postulat von Hildegard Fässler, das die Offenlegung der Zahlungsströme der Rohstoff-Konzerne forderte. Vor drei Jahren wäre ein Rohstoff-Bericht noch nicht möglich gewesen. Das Thema war unbekannt. Die ehemalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hat das am eigenen Leib erfahren, als sie in Peru auf die Verfehlungen einer Schweizer Rohstoff-Firma angesprochen wurde, von der sie noch nichts gehört hatte. Die Rohstoff-Multis gehören nicht zum Schweizer Wirtschafts-Filz und waren darum der Verwaltung und der Regierung bis vor Kurzem nicht bekannt. Sie existieren sozusagen offshore und hors-sol und bergen ein gewaltiges Reputationsrisiko. Darum war auch die Motivation des Bundes ziemlich gross, sich mit diesen Firmen zu beschäftigen.
Aber wie gesagt: Der Bund belässt es bei der Analyse – und verzichtet auf konkrete Schritte.
Innerhalb der Bundesverwaltung war die Bereitschaft zu Regulationen für die Rohstoff-Firmen unterschiedlich gross. Im Aussendepartement haben wir eine grosse Motivation gespürt, im Sekretariat für Wirtschaftsfragen (Seco) war man zurückhaltender, aber nicht abgeneigt. Jene, die gar nichts von Regulationen wissen wollten, waren die Mitarbeiter des Finanzdepartements.
Und genau jene Haltung hat sich nun durchgesetzt.
Ja. Der Bericht setzt auf die Ebene der absoluten Freiwilligkeit und ist darum relativ weich. Das ist sicher auf den Widerstand des Finanzdepartements und der Wirtschaftsverbände zurückzuführen. Der Bericht ist Ausdruck des traditionellen Wirtschaft-Verständnisses: In der Schweiz reguliert sich die Wirtschaft selber. Der Staat soll nicht eingreifen – oder höchstens, wenn es darum geht, die Kohlen aus dem Feuer zu holen wie in der Finanzkrise (UBS) oder der Steuerpolitik. Aber die Regierung drängt heute Glencore-CEO Ivan Glasenberg und Konsorten, sich «freiwillig» höheren Standards zu unterwerfen. Mindestens PR-mässig müssen die Firmen nun etwas unternehmen, vielleicht sogar noch mehr.
Das Engagement der Wirtschaftsverbände und bürgerlichen Parteien für die Rohstoff-Multis ist nur schwierig zu verstehen: Die Rohstoff-Firmen zahlen so gut wie keine Steuern und schaffen auch nicht viele Arbeitsplätze.
Der Steuernutzen für die gesamte Schweiz ist tatsächlich klein. Für den Kanton Genf allerdings nicht. Die Branche liefert ausserdem einen nicht unbeträchtlichen Teil an das Bruttoinlandprodukt und auch der Finanzplatz hat ein Interesse an dieser Sorte von Geschäft. Die Rohstoff-Händler sind auf international tätige Banken angewiesen. Ich war beim ersten Auftritt der Händler vor einer beratenden Kommission des Bundesrats dabei. Das war 2008, als die Finanzmärkte kollabierten. Diese Leute sagten damals, sie könnten der Schweiz bei Versorgungsengpässen auf dem Weltmarkt mit ihrem Know-how helfen. Aus dieser Perspektive kann ich es nachvollziehen, dass gewisse Leute die Branche auch für strategisch interessant halten.
Wie lange wird die Schweiz ihren Sonderstatus als Hafen für Rohstoff-Firmen noch aufrechthalten können?
Das ist schwierig zu sagen. Klar ist, dass sich ein ähnlich grosser, internationaler Druck aufbaut wie in der Steuerhinterziehungs-Thematik. Die Rohstoff-Firmen kommen zu uns wegen der steuerlichen Sonderbehandlung, dem vernetzten Finanzplatz und der geopolitischen Neutralität der Schweiz. Gerade im Bereich der Steuerregimes wird der Druck auf die Schweiz aber noch weiter zunehmen.
«Der Staat kann sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen.»
Argumentieren wir nicht zu moralisch? Immerhin verdanken wir unseren Wohlstand auch der Sonderstellung gegenüber der restlichen Welt.
Mit dieser Frage bin ich häufig in Afrika konfrontiert. Wenn ich dort sage, dass ich aus der Schweiz komme, meinen die Leute oft, ich sei eine Bank. Ich erkläre den Leuten dann jeweils, dass die meisten Schweizer nicht in Banken arbeiten, geschweige denn, sie besitzen – das gleiche gilt für die Rohstoff-Branche. Wenn in diesen Branchen ethisch fragwürdige Geschäftspraktiken alltäglich sind, dann wird das irgendwann auf uns zurückschlagen. Der Staat kann sich in diesen Fragen nicht einfach aus der Verantwortung stehlen – das hat nichts mit Moral zu tun. Wenn die UNO Umwelt-Standards festlegt und Richtlinien für den Einhalt von Menschenrechten in Wirtschaftsfragen, dann können wir uns nicht einfach darum foutieren. Wir sind nicht alleine in der Welt.
Was müsste denn konkret geschehen, um den Rohstoff-Fluch in den südlichen Ländern zu brechen?
Die Verträge zwischen Rohstoff-Firmen und Entwicklungsländern müssen endlich offengelegt werden. Man weiss beispielsweise, dass alle Lizenzgebühren in den Rohstoff-Verträgen in Afrika viel tiefer angesetzt sind als in Südamerika oder Asien. Zudem braucht es eine offene Rechnungslegung. Wertschöpfung und Steuererträge in den Entwicklungsländern müssen offengelegt werden – damit die Steuern nicht auf die Virgin Islands und andere Steuerparadiese verschoben werden können. Das sind die Minimalanforderungen.
Wie weit ist man heute davon entfernt?
Verbindliche Vorschriften wurden vom Bundesrat ja zurückgewiesen. Aber lange wird man diese Regelungen nicht mehr aufhalten können. Die USA und die EU gehen heute schon weiter, und das hat immer eine Wirkung auf uns.
Macht die Politik genug?
Rot-Grün unterstützt unsere Anliegen, aber das ist eine strukturelle Minderheit. Sie kann gar nicht mehr machen. Wir müssen im Parlament Politikerinnen und Politiker aus GLP, CVP, BDP und FDP für das Thema sensibilisieren. Aber das ist ein langwieriger Prozess – und wir stehen erst ganz am Anfang.
Quellen
Analyse des Rohstoff-Berichts durch Swissaid.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.04.13