Der dünnhäutige Kavallerist

Peer Steinbrück will deutscher Bundeskanzler werden. Der Start in den Wahlkampf ist dem designierten SPD-Kandidaten gründlich missglückt.

Reagiert auf Kritik uneinsichtig bis pampig: Peer Steinbrück, der ungeliebte designierte Kanzlerkandidat der SPD. (Bild: Keystone; Montage: Hans-Jörg Walter)

Peer Steinbrück will deutscher Bundeskanzler werden. Der Start in den Wahlkampf ist dem designierten SPD-Kandidaten gründlich missglückt.

Zehn Tage noch, dann wird Peer Steinbrück (65) auf dem ausserordentlichen Parteitag der deutschen Sozialdemokraten in Hannover offiziell zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im September gekürt werden. Dass er der Kandidat wird, ist seit mehr als zwei Monaten bekannt. Doch statt in der Euro-Krise mit seinem ökonomischen Wissen zu punkten, muss sich der ehemalige Finanzminister mit Vorwürfen herumplagen, er habe sich mit seinen hochbezahlten Reden von Banken und Konzernen abhängig gemacht.

Steinbrück reagiert darauf zunehmend dünnhäutig: «Sollen alle anderen Geld verdienen dürfen, nur Sozialdemokraten nicht?», verteidigt er sich – und verkennt dabei, dass es nicht nur einfach um Geldverdienen geht. Er hat in dieser Legislaturperiode, also seit Herbst 2009, als Bundestagsabgeordneter neben seinem Lohn von 8000 Euro rund 1,25 Millionen Euro allein mit Vorträgen und Diskussionsbeiträgen verdient. Dazu kommen Buchtantiemen von mindestens einer halben Million Euro.

Nicht nur mancher Sozialdemokrat fragt sich: Kann einer, der so von den Banken hofiert wird, diese an die Leine legen, wie er das in seinen Regulierungsvorschlägen versprochen hat? Kann einer, der Millionen verdient, ehrlich die Interessen der Armen und sozial Benachteiligten wahrnehmen?

Schon wird gemunkelt, Steinbrück könnte aufgeben. Dieser dementiert in der ihm eigenen griffigen Rhetorik: «Man kann doch in einer solchen Frage nicht herumlavieren und sagen: In Ordnung, Herr Förster, ich lege das Reh wieder auf die Lich­tung.»

Kein anderer Kandidat in Sicht

Für die SPD wäre ein Rückzug Steinbrücks ein Desaster, denn ein Ersatzkandidat steht nicht bereit. SPD-Chef Siegmar Gabriel gilt als zu links und mit seiner gelegentlich aufbrausenden Art als ungeeignet, um Bundeskanzlerin Angela Merkel gefährlich werden zu können. Frank-Walter Steinmeier, neben Gabriel und Stein­brück der dritte der selbst­er­nannten SPD-Führungstroika, erklärte im September, sich (und seiner Partei) eine Kandidatur nicht erneut zumuten zu wollen.

Steinmeier erzielte 2009 als Spitzenkandidat mit 23 Prozent das schlechteste Wahlergebnis für die SPD seit Bestehen der Bundesrepublik. Und Han­nelore Kraft, der gegen Merkel Chancen eingeräumt werden, wurde im Frühjahr fulminant als Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen bestätigt. Sie erklärte früh, ihre Wähler nicht durch einen Abgang nach Berlin enttäuschen zu wollen. Bleibt nur Steinbrück.

Vor allem die Linken, die Jusos, die sozialdemokratischen Frauen, die Gewerkschafter und Vertreter der So­zial­verbände waren wenig begeistert, als Steinbrück zum Kanzlerkandidaten ernannt wurde. Den Nominierungsparteitag am ­9. Dezember sehen viele als Feigenblatt, das die selbstherrliche Kandidatenkür nachträglich demokratisch legitimieren soll.

Hätte es eine Urwahl gegeben, wäre Peer Steinbrück vermutlich gescheitert. Der Ökonom gilt vielen Genossen als zu wirtschaftsfreundlich und wenig interessiert an sozialer Gerechtigkeit. Vielen ist noch in Erinnerung, wie gut sich Steinbrück als Finanzminister der gros­sen Koali­tion aus CDU/CSU und SPD von 2005 bis 2009 mit Merkel verstanden hatte.

Der Schröder-Getreue

Nicht zuletzt deshalb stellte Steinbrück gleich nach seiner Ernennung zum Kandidaten klar, er stehe für eine grosse Koalition nicht zur Verfügung, in eine Regierung unter Merkel trete er nicht ein. Zu sehr anbiedern wollte er sich seinen Parteifeinden jedoch auch nicht: Unter verhaltenem Murren der Basis forderte er genug «Beinfreiheit», um seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen umsetzen zu können.

Und diese unterscheiden sich durchaus von denen grosser Teile der Partei. Steinbrück ist ein Getreuer von Altkanzler Gerhard Schröder und dem ehemaligen Parteichef Franz Müntefering, die mit der Agenda 2010, der Einführung von Hartz IV und der Rente mit 67 Jahren die Identität der Sozialdemokraten weit über die Mitte hinaus nach rechts gebogen hatten. Obwohl Deutschland nicht zuletzt dank dieser Reformen heute wirtschaftlich gut aufgestellt zu sein scheint, sehen viele Genossen in diesen Reformen die Ursache für den politischen Niedergang der Partei und den Verlust der Macht.

Bevor das Murren vernehmbarer werden konnte, brach über Steinbrück, brach über die Partei die Debatte über die Nebeneinkünfte des designierten Kandidaten herein. Sie hat ihn bis jetzt nicht in Ruhe gelassen. Dabei hatte Steinbrück alle Nebeneinkünfte gemeldet. ­Allerdings sieht das Abgeordneten­gesetz die Nennung nur sehr allgemein in drei Stufen vor: Stufe 1 erfasst einmalige oder regelmässige monatliche Einkünfte von 1000 bis 3500 Euro, Stufe 2 Einkünfte bis 7000 Euro und Stufe 3 Einkünfte über 7000 Euro.

Steinbrück ist unbeliebt – aber in der Not rückt die SPD zusammen.

Dass Steinbrück zu den Spitzen­nebenverdienern im Bundestag gehört, war bekannt. Bei vielen Parlamentariern sind auf der Homepage des Bundestages keine oder nur ein, zwei, drei Zahlungen vermerkt. Bei Steinbrück erstreckt sich die Aufzählung über mehrere Seiten, die meisten Zahlungen werden unter Stufe 3 gelistet. Kein öffentlicher Auftritt, an dem Steinbrück nicht nach seinen Neben­tätigkeiten gefragt wurde. Zunächst reagierte er uneinsichtig bis pampig. Pampig kann er gut – in der Schweiz erinnert man sich noch bestens an seine Drohung mit der Kavallerie, die er aussenden wollte, sollten Schweizer Banken weiterhin deutsche Steuersünder decken.

Doch schnell wurde ihm klar, in die Offensive gehen zu müssen und mit der detaillierten Offenlegung aller Nebeneinkünfte seinen Kritikern von CDU, CSU und FDP den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn in der Gruppe der Spitzennebenverdiener im Bundestag ist Steinbrück der einzige Sozialdemokrat, ansonsten rangieren dort nur Mitglieder der Regierungsfraktionen.

Es gelang Steinbrück nur kurz, die Debatte zu stoppen. Zwar verstummte die Kritik aus CDU, CSU und FDP, doch die Medien vergruben sich umso intensiver in das Material. Sie wiesen auf Reden hin, für die keine Zahlungen verbucht waren, und monierten die Nutzung der Bahncard, die allen Ab­geordneten kostenlosen Transport gewährt, für Reisen zu Nebentätigkeiten. Steinbrück reagierte genervt: «Hat diese Republik denn nicht andere Probleme als meinen Umgang mit der Netzkarte der Bahn AG?», klagte er.

Letzter Angriff aufs Kanzleramt

Doch in der Not stehen die Sozial­demokraten zusammen. Steinbrück trat bei den Jusos auf, den sozialdemokratischen Frauen, Gewerkschaften – und alle, die eigentlich nicht mit ihm als Kandidaten einverstanden sind, versicherten Steinbrück ihre Unterstützung. «Die Solidarität, die ich aus der SPD erfahre, ist bemerkenswert und auch berührend», sagte Steinbrück kürzlich vor Berliner Journalisten.

Der Druck auf Steinbrück muss heftig sein: Berührt zu sein ist ein Gemütszustand, den ihm bislang ­wenige zugetraut haben. Viele Sozialdemokraten ahnen zudem, dass es nichts wird mit dem Erringen der Macht im kommenden September. Nach aktuellen Umfragen sind SPD und Grüne weit von einer Mehrheit im Bundestag entfernt. Da versammelt man sich resigniert auch hinter einem ungeliebten Kandidaten. Warum sollte man Hanne­lore Kraft verheizen? Steinbrück wird im Januar 66 Jahre alt. Die Kandidatur ist sein erster und ziemlich sicher letzter Angriff auf das Kanzleramt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.11.12

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