Der eingebildete Arme

Der Kanton Basel-Landschaft ist reicher, als er vorgibt. Würde er sein Steuerpotenzial besser nutzen, könnte er auf angekündigte Sparmassnahmen und auf die Almosen der Stadt verzichten.

Da schreibt jetzt der Amir eine flotte Legi rein damit es ohne Baslerstab und Armen bettler funktioniert

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Der Kanton Basel-Landschaft ist reicher, als er vorgibt. Würde er sein Steuerpotenzial besser nutzen, könnte er auf angekündigte Sparmassnahmen und auf die Almosen der Stadt verzichten.

Dem Kanton Basel-Landschaft geht es finanziell schlecht, und deshalb muss er sparen, sparen, sparen. So lautet das mantramässig vorgetragene Klagelied der bürgerlichen Baselbieter Regierung. Die Sparmassnahmen gehen einerseits zu Lasten der eigenen Bevölkerung, andererseits auf Kosten des Kantons Basel-Stadt, der dem Landkanton fast gezwungenermassen ein 80-Millionen-Franken-Geschenk machen musste

Der Grund für die finanziell klamme Situation des Baselbiets: Um sich für Unternehmen und Private als Standort interessant zu machen, hat der Kanton die Steuern in den letzten 15 Jahren immer wieder gesenkt und zahlreiche Abzugsmöglichkeiten eingeführt.

Nutzniesser sind Unternehmen, Erben, Familien mit und ohne Haus oder Kinder, also fast alle. Jeder fünfte steuerpflichtige Einwohner muss im Baselbiet keine Einkommenssteuern bezahlen. Das mag von einem sozialen Standpunkt erfreulich sein. Ob diese Personen finanziell auch wirklich darauf angewiesen sind, ist eine andere Frage. 

Auch Firmen und juristische Personen haben von den Geschenken profitiert. Der erhoffte Zuzug von steuerkräftigen Unternehmen ist jedoch ausgeblieben. Die Folge: Baselland verrechnet sich nicht nur regelmässig bei den Steuereinnahmen, sondern schreibt Jahr für Jahr rote Zahlen.

Auch Basel-Stadt hat Steuern gesenkt

Der ehemalige SP-Landrat und Finanzexperte Ruedi Brassel sieht sich in seinen Befürchtungen bestätigt: «Das strukturelle Defizit ist eine direkte Folge der verfehlten Steuerpolitik der letzten Jahre.» Um wie viel höher die Steuereinnahmen des Kantons ohne diese Erleichterungen und Rabatte wären, kann Brassel nicht sagen. Eines ist für ihn klar: «Sicher wären wir ohne sie von der desolaten Finanzlage weit entfernt, in der wir uns heute befinden.»

Auch der Kanton Basel-Stadt hat seine Steuern gesenkt. Allerdings müssen dort auch Haushalte mit tiefen Löhnen Steuern bezahlen. Im mittleren Einkommensbereich liegt die Steuerbelastung in den beiden Kantonen und je nach Gemeinde in einem ähnlichen Bereich. Steuerlich besser fahren die ganz Reichen hingegen im Stadtkanton.

Per Saldo ist Basel-Stadt mit seiner Strategie deutlich besser gefahren. Das ist nicht nur der florierenden Pharmaindustrie zu verdanken. Eine mögliche Erklärung für die unterschiedliche finanzielle Situation der Nachbarkantone liefert der nationale Steuerausschöpfungsindex.

Diese Messgrösse wurde im Rahmen des nationalen Finanzausgleichs entwickelt und ist Abbild der gesamten Steuerbelastung der Kantone. Der Index zeigt auf, wie stark die steuerlich ausschöpfbare Wertschöpfung (Einkommen, Gewinne und Vermögenszuwachs) der Steuerpflichtigen (natürliche und juristische Personen) effektiv durch Steuern der Kantone und Gemeinden belastet wird.

Bei einem CH-Mittel von 100 beträgt er für den Kanton Basel-Landschaft 95, für Basel-Stadt 116. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Würde der Kanton Baselland seine Steuern und Abgaben ähnlich erheben wie Basel-Stadt, wäre er seine gröbsten Finanzsorgen los.

Landkanton ist stärker von Einkommenssteuer abhängig als die Stadt

Karin Perla, Assistentin von Regierungspräsident und Finanzdirektor Anton Lauber, ist mit dieser Argumentation gar nicht einverstanden. «Der Steuerausschöpfungsindex ist keine Kennzahl, an der sich der Kanton Basel-Landschaft orientiert, und die Bemessungsgrundlagen liegen mit 2009 zu weit zurück», argumentiert sie.

Gleichzeitig räumt sie ein: «Wir haben zwar die dem Steuerausschöpfungsindex zugrunde liegenden Daten nicht analysiert, gehen aber davon aus, dass der Unterschied in erster Linie in der unterschiedlichen Zusammensetzung des Ressourcenpotenzials begründet ist.»

Konkret meint sie damit, dass in Baselland die Einkommensteuer drei Viertel der Steuereinnahmen ausmacht. Im Stadtkanton mit seinen vielen grossen Konzernen und juristischen Personen sind es hingegen nur knapp zwei Drittel.

Eklatant ist der Unterschied bei der durchschnittlichen Einkommenssteuer. In Basel-Stadt liegt diese bei 6530 Franken pro Einwohner, in Baselland sind es 5485 Franken, also mehr als 1000 Franken weniger. Bei der Vermögenssteuer liegen die durchschnittlichen Beträge bei 1393 Franken in Basel-Stadt, bei 871 Franken im Landkanton.

Dass es dem Nachbarkanton so schlecht gehen soll, stösst bei vielen Städtern auf Unverständnis. Vor allem, wenn sie an die mehr oder weniger schmucken Villen und Einfamilienhäuser samt Wagenparks denken, die den Landkanton bald flächendeckend verzieren. Fast jeder zweite Einwohner (45 Prozent) wohnt im Baselbiet im eigenen Heim. In Basel-Stadt sind es bloss 15 Prozent. Im Schnitt verfügen die Baselbieter über fünf Quadratmeter mehr Wohnfläche als die Städter.

Massive Erleichterungen für Immobilienbesitzer

Der Erwerb von Wohneigentum gehört seit Langem zu den strategischen Zielen von Baselbieter Regierung und Wirtschaftskammer und wird durch steuerliche Anreize gefördert. Dass Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten von den Steuern abgezogen werden können, ist Usus.

Als weitere Steuerersparnis kommt im Baselbiet jedoch hinzu, dass der steuerliche Wert der Liegenschaften viel zu tief angesetzt wird. Immobilienbesitzer müssen entsprechend weniger Vermögenssteuern bezahlen. «Mein Haus, das ich vor über 25 Jahren gekauft habe, hat laut einer aktuellen Schätzung einen Verkehrswert von 850’000 Franken, der Steuerwert beläuft sich aber auf lediglich 175’000 Franken», berichtet ein Steuerexperte, der in Basel arbeitet, aber im Landkanton wohnt.

Anders als in anderen Kantonen wird der Steuerwert von Immobilien im Baselbiet in der Regel nur bei baulichen Veränderungen oder Handänderungen neu eingeschätzt. Angesichts der rasant kletternden Immobilienpreise entgehen dem Kanton dadurch Millionenbeträge.

Wie stark unterbewertet die Baselbieter Immobilien sind, belegt ein Zirkularschreiben der Schweizerischen Steuerkonferenz (auf der Rückseite des Artikels angehängt). Mit ihm wird der sogenannte Repartitionsfaktor festgelegt. Je höher er liegt, desto tiefer ist der veranschlagte Steuerwert. Für die meisten Kantone rangiert der Repartitionsfaktor zwischen 80 und 110. In Basel-Stadt liegt er bei 100, im Aargau bei 85, im Kanton Baselland aber bei sage und schreibe 260. Ein einsamer Spitzenwert.

Mit der Baselbieter Bewertungspraxis hat sich auch schon das Bundesgericht beschäftigt – und den Kanton dafür gerügt, berichtet der grüne Fraktionschef Klaus Kirchmayr. «Doch die im Baselland sehr starke Hausbesitzer-Lobby hat bis anhin jede Korrektur verhindert, und dies trotz der drängenden Finanzprobleme.»

Die tiefe Bewertung der Immobilien und Aktien schlägt sich auch im versteuerten Vermögen nieder. Das durchschnittliche pro Steuerpflichtigen ausgewiesene Vermögen im Kanton Baselland belief sich 2012 auf  211’900 Franken, im Stadtkanton liegt es bei 390’400 Franken.

Auch Aktien werden tiefer bewertet

Die Vermögenssteuer macht zwar nur einen kleinen Teil des Steuerertrags aus. Da aber der Immobilienunterhalt und die Hypothekarzinsen vom Einkommen abgezogen werden können, wirkt sich die Unterbewertung auch auf das steuerbare Einkommen und entsprechend tiefere Steuerwerte aus.

Nicht nur die Immobilien, auch Aktien werden im Kanton Baselland tiefer bewertet als im Stadtkanton. So hatte zum Beispiel die Novartis-Aktie im Jahr 2014 in Basel-Stadt einen Steuerwert von Fr. 92.37, im Kanton Baselland einen solchen von 85 Franken. Bei Roche lagen die Werte bei 269.90 versus 261 Franken. Bei Syngenta waren sie hingegen identisch. Jeder Kanton hat hier seine eigenen Regeln und verfolgt seine eigene Praxis. Ob Albert Einstein, der ja mehrere Jahre in der Schweiz gelebt hat, wohl daran gedacht hat, als er den Satz prägte: «Am schwersten auf der Welt zu verstehen ist die Einkommenssteuer!»

Schweizweit ein Unikum ist auch die Baselbieter Regelung, die es erlaubt, von der Krankenkasse nicht übernomme Krankheitskosten von den Steuern abzuziehen. Mit diesem Sonderfall wird es im Rahmen der Sparbemühungen demnächst vorbei sein. Allerdings ist das nur ein Tröpfchen auf den heissen Stein.

Um die Baselbieter Finanzen wieder ins Lot zu bringen, bräuchte es neben der Abschaffung von Schlupflöchern auch Steuererhöhungen, davon sind nicht nur die Baselbieter Grünen überzeugt, die im Juli im Landrat entsprechende Vorschläge gemacht haben. Doch das neoliberale Credo der rechtsbürgerlichen Regierung lautet weiterhin: Der Staat muss sparen, sparen, sparen. 

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