Schweizer Fussballer sind in Deutschland gefragter als der Exportklassiker Käse. Daran schuld ist ein Romand: Lucien Favre gilt als Trendsetter und seine Mannschaft als Vorbild für die ganze Liga. Eine Analyse zum Start der Saison.
Möglicherweise haben Yann Sommer und Granit Xhaka nicht die ganze Wahrheit gesagt, als sie von Josip Drmic über ihren Klub, ihre Mannschaft und ihren Trainer ausgefragt wurden. Die beiden Kollegen aus der Schweizer Nationalmannschaft haben mit ihren Berichten «viel dazu beigetragen», Bayer Leverkusen zu verlassen und sich Borussia Mönchengladbach anzuschliessen, erzählt Drmic. Hier spielen Xhaka und Sommer und hier hofft der Angreifer, eine bedeutendere Rolle einnehmen zu können als in Leverkusen, wo er meist nur der Ersatz für Stefan Kiessling war.
Doch schon im ersten Spiel bei Borussia Dortmund am Samstagabend droht Drmic erneut in die Rolle des Auswechselspielers hineinzugeraten, und zumindest Xhaka hätte das ahnen können. Er hat selbst erlebt, wie schwer es ist, als neuer Spieler die Gunst von Trainer Lucien Favre zu gewinnen, in seinem ersten Jahr sass er sehr oft auf der Bank. Drmic, für den die Borussia zehn Millionen Euro bezahlte, ist nach dem Weggang von Max Kruse nun zwar Zentrumsstürmer Nummer eins, aber wuchtige Strafraumspieler haben es grundsätzlich nicht leicht bei Favre, der ausserdem Fussballer haben will, die ganz genau verstanden haben, was von ihnen verlangt wird.
Der 57-Jährige hat überhaupt keine Hemmungen, auch sehr teure Neuzugänge viele Monate erst mal einfach nur zu trainieren, bis sie alle Besonderheiten der detailliert durchgestylten Mönchengladbacher Spielweise begriffen haben: die Fusshaltung bei der Ballannahme, die Passgeschwindigkeit, welche eigenen Angriffsvorbereitungen bei gegnerischen Eckbällen zu treffen sind oder mit welchem Fuss Zweikämpfe bestritten werden sollten.
Favre hat sich zum Trendsetter entwickelt, wenn es um fussballerische Detailversessenheit geht.
Es gibt zahllose Feinheiten dieser Art, und Favre hat sich in der Bundesliga zu einer Art Trendsetter entwickelt, wenn es um fussballerische Detailversessenheit geht. Viele Trainer beobachten die Arbeit des Kollegen mittlerweile sehr genau. Denn Borussia Mönchengladbach, ein Verein, der jahrzehntelang zwischen der Zweiten Liga und dem Bundesligamittelmass hin und her gependelt war, ist unter dem Schweizer innerhalb von vier Jahren zu einer stabilen Spitzenkraft geworden. Nach zwei Saisons in der Europa League spielt der Klub nun erstmals in der Champions League, von einer solchen Entwicklung träumen sie auch in Köln, Hamburg, Stuttgart und bei anderen sogenannten Traditionsvereinen.
In der Bundesliga gehört die Borussia mittlerweile neben Wolfsburg, Dortmund, Leverkusen und Schalke fest zum Kreis jener Mannschaften, die um die Plätze hinter dem FC Bayern kämpfen. Da diese Konkurrenten in den vergangenen Jahren aber erheblich teurere Spieler beschäftigten, wird die Leistung der Gladbacher Verantwortlichen besonders bewundert. Und vielleicht trägt das auch zum Boom der Schweizer in der Bundesliga bei.
Denn Borussia Mönchengladbach entwickelt sich gerade zu einer Art Ausbildungslabor für Schweizer Talente. Nach Xhaka und Torhüter Sommer spielen nun auch Drmic, Nico Elvedi (kam vom FC Zürich) und das Talent Djibril Sow, der ebenfalls beim FC Zürich ausgebildet wurde, am Niederrhein. Die Schweizer seien eben «Spieler, die sich schnell integrieren lassen, die die Sprache kennen, die Mentalität kennen, den Charakter haben, die fussballerische Qualität besitzen und bezahlbar sind», sagt Sportdirektor Max Eberl. «Dieses Gesamtpaket macht das für Gladbach so interessant.» Und natürlich auch für andere Klubs.
Ein Schweizer bleibt in der Bundesliga in schlechter Erinnerung
In Wolfsburg hat sich Ricardo Rodriguez zu einem Rechtsverteidiger entwickelt, der auf dem Wunschzettel einiger spanischer und englischer Grossklubs stehen soll. Nun ist auch sein Bruder Francisco in die VW-Stadt gewechselt, wo seit Jahren Diego Benaglio das Tor hütet. Bayer Leverkusen hat gerade für sechs Millionen Euro Admir Mehmedi vom SC Freiburg verpflichtet, in der Hoffnung, dass mit dem 24-Jährigen das Angriffsspiel variabler wird: Und bei Borussia Dortmund hat sich Roman Bürki im Ringen um den Platz im Tor gegen Weltmeister Roman Weidenfeller durchgesetzen. Weil er ein ähnlich guter Torhüter, aber der deutlich bessere Fussballer ist. Gleich im ersten Spiel werden sich also die Goalies der Nati gegenüberstehen.
Zudem arbeitet der neue BVB-Trainer Thomas Tuchel wie Favre an den ganz winzigen Details des Spiels. Viele Beobachter halten den Dortmunder Versuch, sich nach der goldenen Ära des zurückgetretenen Trainers Jürgen Klopp neu zu erfinden, für den spannendsten Schauplatz der neuen Saison. Wobei auch die Veränderungen beim FC Schalke hoch interessant sind. Hier haben sich die Herren aus der Klubführung vorgenommen, mit ihrem neuen Trainer André Breitenreiter zu einem Standort der Bescheidenheit, der Vernunft und der Demut zu werden. Die Mannschaft ist angeblich heilfroh, den in der Schweiz sozialisierten und mittlerweile als Spassverhinderer verrufenen Robert Di Matteo los zu sein.
Fast kein Team ohne Schweizer und sogar bei Bayern ist einer im Gespräch – für die Trainerbank
Hinter diesen sechs Spitzenklubs bewegt sich dann die grosse Masse der Mittelklassevereine, die heimlich darauf hoffen, in die Rolle des Überraschungsteams hineinzugeraten, die im Vorjahr dem FC Augsburg zugefallen war. In Wahrheit sind diese Bundesligisten aber schon zufrieden, wenn sie ohne Abstiegssorgen durch die Saison kommen. Und auch hier sind eine Menge Schweizer unterwegs: Fabian Lustenberger und Valentin Stocker bei Hertha BSC Berlin, Fabian Schär, Pirmin Schwegler und Steven Zuber bei 1899 Hoffenheim, Marvin Hitz in Augsburg, Johan Djourou und Torhütertalent Andreas Hirzel beim Chaos-Klub aus Hamburg, Trainer Martin Schmidt und Fabian Frei in Mainz, Haris Seferovic bei Eintracht Frankfurt und der junge Ulisses Garcia bei Werder Bremen.
Und auf dem Gipfel der Liga gibt es natürlich auch noch den FC Bayern München, der im kommenden Bundesligajahr als erster Klub seine vierte deutsche Meisterschaft in Folge gewinnen kann. Auf dem Weg dorthin werden die Bayern aber von zwei ganz grossen Fragen begleitet werden: Gelingt im dritten Jahr unter Pep Guardiola der dringend herbeigesehnte Gewinn der Champions League? Und: Verlängert das spanische Trainergenie seinen am Saisonende auslaufenden Vertrag?
Vieles deutet darauf hin, dass er eine neue Herausforderung suchen wird, womit wieder ein Schweizer ins Spiel käme: Neben Jürgen Klopp, der nach vielen Jahren Dauerfehde mit den Bayern nur schwer als Münchner Trainer vorstellbar ist, gilt Lucien Favre als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge Guardiolas.
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Das erste Saisonspiel bestreitet Titelverteidiger Bayern München gegen den Hamburger SV. Das Spiel wird um 20.30 Uhr live im Free-TV (ARD) gezeigt.