Schon tausendmal wurde die FDP in den Niedergang geschrieben. An den Bundesratswahlen zeigte die Partei alte Grösse.
Wie es in diesen Tagen um die beiden rechten Kräfte der Schweiz, die SVP und die FDP, bestellt ist, das illustrierten am Mittwoch zwei ältere Herren, die zu jener Spezies von Politikern gehören, die einfach nicht loslassen können. Wer sich während der Bundesratswahlen an den in Zellophan verschweissten Fleischplatten des Berset-Buffets vorbei in Richtung Galerie des Alpes bewegte, der sah dort Jean Henri Dunant. Der ehemalige SVP-Nationalrat aus Basel sass alleine an einem Vierertisch und blätterte in einer Zeitung. Er wirkte einsam. Er wirkte verschroben. Er wirkte enttäuscht.
Dunant war ein Abbild des aus der Sicht der SVP desaströs verlaufenen Mittwochmorgens. Wirr und planlos agierte die Parteispitze um Toni Brunner, Christoph Blocher und Caspar Baader. Überfordert und hilflos wirkte die gesamte Volkspartei während der Kampagne für einen zweiten Sitz im Bundesrat.
Gysins neue Energiequelle
Das Gegenstück zur SVP und Jean Henri Dunant war ein weiterer Polit-Rentner aus der Region. Während Dunant alleine im Restaurant des Bundeshauses seine Zeitung durchblätterte, wirbelte Hans Rudolf Gysin, ehemaliger Baselbieter FDP-Nationalrat, vor Energie strotzend durch die Wandelhalle. Er schüttelte Hände, er scherzte, er munkelte geheimnisvoll. Ja, er wirkte richtig lebendig. Grund für seine gute Laune war ein neues Pöstchen: Am Nachmittag des gleichen Tages sollte bekannt werden, dass Gysin im Verwaltungsrat des neuen Konstrukts rund um die «Basler Zeitung» Einsitz nimmt.
Gysin ist damit ebenso ein Abbild seiner Partei wie Dunant. Da ist einer eigentlich erledigt. Ausgeschieden aus dem Nationalrat, ausgeschieden aus der Wirtschaftskammer, ausgeschieden aus dem öffentlichen Leben – und wird plötzlich doch wieder gebraucht.
Der alte grosse Mann des Baselbiets erlebte an diesem Tag im Kleinen, was seiner alten grossen Partei in etwas grösserem Massstab widerfuhr. Die Gewinner der Bundesratswahlen vom Mittwoch sind nicht die Mitte-Parteien, nicht die SP – deren Erfolg war abzusehen. Gewinner der Bundesratswahlen ist der Freisinn. Wie es diese ehemals staatstragende Partei innerhalb von wenigen Wochen geschafft hat, von einem ewigen Wahlverlierer zu einem veritablen Wahlsieger zu mutieren, das ist, nun ja, beeindruckend.
Vor Jahren schon hat die SVP die FDP als «Volkspartei» abgelöst, seit Jahren schon dauert der siechende Niedergang der FDP. Letzter Tiefpunkt waren die Gesamterneuerungswahlen im Oktober, bei denen die Partei im Nationalrat und auch im Ständerat Verluste erleiden musste. Die Niederlage ging einher mit der Frage nach dem Sitz von Johann Schneider-Ammann. Plötzlich schien der Wirtschaftsminister nur einen Augenblick davon entfernt, vom Parlament abgewählt zu werden. Zu schwach der Bundesrat. Zu schwach die Partei. Schneider-Ammann muss weg.
Die Spitze der FDP reagierte auf die heftig geführten Angriffe mit stoischer Ruhe. Aussitzen. Nichts sagen. Nicht bewegen. Sich nicht provozieren lassen. Das einzige, was man von Parteipräsident Fulvio Pelli und Fraktionschefin Gabi Huber in den vergangenen Wochen hörte, war ihr Mantra für die Konkordanz. Zwei für die grössten Drei. Einen für die viertgrösste. Stabilität, Stabilität, Stabilität.
Damit diese Strategie des Verharrens aufgehen konnte, brauchte es zwei Dinge: den Druck der SP auf die SVP. Und die Weigerung der SVP, sich offiziell gegen einen Kandidaten der FDP zu stellen. So mussten Huber und Pelli nur dafür sorgen, die Freunde von der SVP im zweiten Wahlgang nicht zu sehr zu verärgern. Mit insgesamt 104 Stimmen für die beiden SVP-Kandidaten und gegen Eveline Widmer-Schlumpf erfüllten die Freisinnigen diese Pflicht – und konnten sich danach gelassen auf die anderen Parteien verlassen.
Kein Bruch unter Freunden
Entscheidend wird nun sein, wie sich das Verhältnis zwischen FDP und SVP weiterentwickelt. Am Wahltag langten beide Parteien daneben. Die Bestimmtheit, mit der Caspar Baader der FDP den willentlichen Bruch der Konkordanz vorwarf, war unglaubwürdig. Auch die etwas gar pathetische Behauptung von Gabi Huber, sie lege die Hand ins Feuer, dass niemand in ihrer Fraktion für Widmer-Schlumpf gestimmt habe, war mit Vorsicht zu geniessen.
Die Wahrheit liegt wohl ziemlich genau in der Mitte. Es gab zwar einige wenige Abweichler, die im zweiten Wahlgang Eveline Widmer-Schlumpf die Stimme gaben (verdächtigt werden von der SVP etwa Christa Markwalder, Peter Malama und Christine Egerszegi), aber nicht so viele, dass es als «totaler Bruch» unter Freunden verstanden werden könnte.
Das wissen die Spitzen von FDP und SVP. Darum fielen am Mittwoch nach den Bundesratswahlen zwar harsche Worte. Aber auch versöhnliche. So kritisierte der Aargauer FDP-Nationalrat Philipp Müller im Schweizer Fernsehen einerseits das «unfaire Verhalten» der SVP, verwies aber andererseits auf die kommende Woche, auf die Sachpolitik, und dass diese nicht «aus Trotz» blockiert werden dürfe. In diesen Tagen wollen sich die beiden Parteien zur Aussprache treffen und die künftige Zusammenarbeit skizzieren. Man darf davon ausgehen, dass sich die beiden rechtsbürgerlichen Kräfte «im Dialog» wieder finden werden.
Und so stehen die Freisinnigen nach den Bundesratswahlen besser da, als es irgendjemand hätte erwarten können: Die Partei hat das Kunststück geschafft, am Mittwoch niemanden nachhaltig zu verärgern, und hat darüber hinaus eine doppelte und damit unangemessen grosse Vertretung im Bundesrat.
Das nächste Mal wirds eng
Weil nicht zu erwarten ist, dass die Zusammensetzung des Bundesrats in der laufenden Legislatur ändern wird, darf sich die FDP noch mindestens vier Jahre an ihrer Doppelvertretung erfreuen. Und danach? Es ist keine kühne Prognose: Die nächsten Bundesratswahlen werden für die FDP nicht mehr ganz so erfreulich verlaufen.
Ausgewählte Tweets zur Bundesratswahl
«Kräht der Baader grossen Mist, bleibt im Bundesrat alles gleich, wie es ist.» goo.gl/fb/DgDJc #tagi
— Michael Rueetschli (@rueetschli) December 14, 2011
Habemus Bundesrat – den Rauch sieht man am TV bei gewissen Politikern aufsteigen. #brw11 #CF2011
— Jan Krattiger (@jan_krattiger) December 14, 2011
Die SVP bemüht gerne die Schlacht bei Philippi. Das wäre dann heute wohl ihr Waterloo. #brw11
— sandro brotz (@swissbrotz) December 14, 2011
„Die vereinigte Bundesversammlung sieht Konkordanz anders, aber das muss man respektieren.“ Respekt auch für sie, Herr Walter. #brw11
— Miriam Kalunder (@MiriamKalunder) December 14, 2011
Eigentlich sollten Bundesratswahlen abends stattfinden. Dann könnten wir so „Wenn-einer-Konkordanz-sagt“-Trinkspiele machen. #brw11
— Sibylle Zemp (@billy79) December 14, 2011
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16/12/11