Der Nahost-Konflikt ist eine unendliche Geschichte. Die Staatengemeinschaft kann entweder wegschauen oder das Problem richtig anpacken. Im zweiten Fall hiesse das, endlich den Teilungsplan umzusetzen und zwei Staaten zu schaffen.
Es gibt Geschichten zum sogenannten Nahost-Konflikt. Eine lautet so: Ein Skorpion will einen Frosch überzeugen, ihn über den Jordan zu bringen. Der Frosch zweifelt und befürchtet, dass ihn der Skorpion unterwegs zu Tode stechen werde. Der Skorpion: «Unsinn, dann gingen wir ja beide unter.» Dem Frosch leuchtet das ein, doch dann tritt genau das Befürchtete ein. Mit seinem letzten Atemzug fragt der Frosch: «Warum hast du das getan?» Antwort: «Weil wir im Nahen Osten sind.»
Gleich noch eine zweite Geschichte, sie stammt von der Fantasiefigur Nessa Stein, einer britischen Jüdin aus der Serie «The Honourable Woman»: Übermächtige Aliens wollen die Erde erobern, sie legen zuerst New York und London in Schutt und Asche, dann landen sie auf der Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland. Für beide Seiten haben die Aliens eine einfache Botschaft: «Widerstand ist zwecklos, legt eure Waffen nieder.» Doch dann beissen sich die Aliens die Zähne aus (sofern sie überhaupt welche haben). Nessa sagt ihrem Publikum beziehungsweise ihrer Leserschaft: «Am Ende der Geschichte werden Sie Mitleid mit den Aliens haben!» (nachzulesen in «Die Zeit» vom 22. August 2014.)
Eine dritte, in die gleiche Richtung gehende Geschichte ist nicht nötig. Vielleicht wäre nötig zu präzisieren, wer in der ersten Geschichte der Frosch, wer der Skorpion ist. Natürlich ist mit dem armen Frosch Israel gemeint, die Geschichte wurde mir von einem jüdischen Kollegen in Cambridge erzählt. Der böse Skorpion, das kann man in fast jedem Lexikon nachlesen, ist jedoch überhaupt kein aggressives Tier, auch wenn wir das alle glauben und Eingreiftruppen, indem sie sich diesen Namen geben, diesen Eindruck erwecken wollen.
Entweder soll sich die Welt um diesen Konflikt richtig kümmern, oder sie soll es gleich ganz bleiben lassen.
Die zynisch-freundliche Botschaft dieser Geschichte ist eine doppelte: Der Nahost-Konflikt funktioniert nach eigenen Regeln, der Nahost-Konflikt ist ein hoffnungsloser Fall. Quer zu dieser Botschaft steht, dass sich sozusagen alle Welt um den Nahost-Konflikt kümmert und dass sich die beiden Konfliktparteien je nach Art der Hilfe sehr gerne sozusagen von der ganzen Welt helfen lassen.
Eine gängige Betrachtungsweise des Konflikts betreibt eine symmetrische Betrachtungsweise: Beide Seiten haben ihre Rechte und guten Gründe, beide Seiten sind Gefangene ihrer radikalen Kräfte, beide Seiten und so weiter. Dabei werden allerdings entscheidende Asymmetrien ausgeblendet: Nicht beide Seiten sind gleich stark und haben folglich nicht die gleichen Handlungsmöglichkeiten. Und sie benötigen nicht in gleicher Weise Druck von aussen.
Aus der fernen Kommentatorposition wird man den Konfliktparteien und den hinter ihnen stehenden Freunden keine guten oder gutgemeinten Ratschläge geben können. Aber es ist wenigstens für uns nicht unwichtig, welche Einschätzung der Endlosgeschichte wir haben, mit der wir immer wieder konfrontiert werden. Ein Gedanke: Entweder soll sich die Welt um diesen Konflikt richtig kümmern, oder sie soll es gleich ganz bleiben lassen.
Hilfe: ja gerne, Dreinreden: sicher nicht
Bleiben lassen: Das ist an sich ein abstruser Gedanke. Doch man müsste sich dessen bewusst sein, dass die ganzen Heerscharen von NGO und Netzwerken, Stiftungen und Mäzenen, Staaten und internationalen Agenturen zwar helfen wollen, aber weitgehend nur zur Perpetuierung der jetzigen, eigentlich unhaltbaren Verhältnisse beitragen. Vor allem weil diejenigen, die zwar gerne Hilfe annehmen, sich nicht dreinreden lassen wollen. Es gibt die Meinung, ohne externe Hilfe weder von den USA noch vom Iran noch von der EU und den Emiraten et cetera würde der Konflikt sogleich in sich zusammenbrechen und vernünftige Lösungen plötzlich möglich werden.
Sich richtig kümmern: Die Staatenwelt soll auch in dieser Region ihre Regeln durchsetzen, insbesondere das allgemeine Völkerrecht mit der Anerkennung fester Grenzen und dem Verbot von annexionistischen Siedlungen in besetztem Gebiet, das humanitäre Völkerrecht mit dem Verbot willkürlicher Gefangenhaltungen, dem Verbot einseitiger Wassernutzung, dem bürgerlichen Schutz von Privateigentum und so fort; Forderungen, deren Missachtung erfahrungsgemäss Quelle zusätzlicher Terrorbereitschaft ist, die selbstverständlich auch per se bekämpft werden muss.
Das Ziel: die Verwirklichung des Teilungsplans von 1947. Dass dieser von palästinensisch-arabischer Seite damals nicht akzeptiert wurde, darf kein Grund sein, ihn in unserer Zeit nicht endlich umzusetzen, und zwar in den Grenzen von 1967, die Israel bereits mehr überlassen, als 1947 vorgesehen war. Also im nichtisraelischen Gebiet ein eigener palästinensischer Staat, allenfalls ohne militärische Hoheit, sofern diese dann nicht von der Gegenseite ausgeübt wird. Jedenfalls kein Protektorat und keine Ansammlung von Bantustans, wie sie zur Zeit der Apartheid in Südafrika existierten.
Zwei Motive für die Zweistaatenlösung
Die Zustimmung zu dieser Lösung kann aus zwei Motiven erfolgen. Das bessere Motiv orientiert sich am sonst überall geltenden Prinzip der staatlich organisierten Welt. Das weniger gute, aber durchaus hinnehmbare Motiv will mit der Zweistaatenlösung die Einstaatenlösung vermeiden, weil diese zum Nachteil Israels wäre. Allerdings gibt es in Israel in wachsender Zahl Politiker, die meinen, auch mit einer Einstaatenlösung eine Alleinherrschaft praktizieren zu können, indem man Israel zu einem explizit jüdischen Staat macht (unter anderem mit der Zurückstufung der arabischen Sprache), Nichtjuden in Nachbarländer transferiert (auch mit der Abtretung des Gazastreifens an Ägypten) oder schlicht die bisherige Diskriminierung weiterführt (etwa in der Bewegungsfreiheit).
Es ist erstaunlich und weist auf die grundsätzliche, aber nicht zugegebene Ablehnung der Zweistaatenlösung hin, wenn die Bemühungen der palästinensischen Behörde, zu einer legitimen Anerkennung Palästinas zu gelangen, als unerhörtes Ansinnen eingestuft werden. Aus Israel konnte man hören, dass dies bloss ein Versuch sei, jetzt auf diplomatischem Weg zu erreichen, was vorher militärisch nicht gelungen sei.
Die Frage lautet, ob Anerkennung erst nach zustande gekommener Verständigung mit Israel erfolgen soll. Oder ob – voreilige – Anerkennung das Zustandekommen einer Verständigung erschwere oder verunmögliche, weil sie die schwache Palästinenserseite zu stark mache. In der ersten Variante kann die aktuelle israelische Regierung sich so verhalten, dass beides nie eintreten wird: weder die Verständigung noch die Anerkennung des zweiten Staates. Die zweite Variante enthält die Chance einer Deblockade – die dringend nötig ist.
Wer nachgibt, gewinnt keine Wahlen
Im Moment laufen zwei Prozesse in entgegengesetzte Richtungen: In der internationalen Welt – in der UNO, aber auch in der EU – nimmt die Bereitschaft zu, die zweite Lösung zu unterstützen. Schwedens Regierung hat zum Ärger der israelischen Regierung Palästina bereits am 31. Oktober 2014 anerkannt. Auch in den Parlamenten Spaniens, Grossbritanniens, Irlands und Frankreichs und im Europäischen Parlament hat es kürzlich eindrückliche, wenn auch nicht bindende Mehrheitsvoten für eine Anerkennung gegeben, ebenso im Europäischen Parlament mit 498 gegen 88 Stimmen, allerdings unter der Vorbedingung der Wiederaufnahme von Friedensgesprächen. Sechs EU-Mitglieder (Polen, Slowakei, Malta, Zypern, Rumänien, Bulgarien) haben Palästina bereits vor ihrem EU-Beitritt anerkannt.
In der UNO, in der bereits 135 Staaten die Anerkennung ausgesprochen haben, ist der jüngste Versuch, eine Beendigung der Besetzung innert zwei Jahren zu erwirken, zwar gescheitert. Hingegen ist Palästina kraft seines zum Ärger Israels zustande gekommenen (und von der Schweiz mit unterstützten) Beobachterstatus auf April 2015 in den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) aufgenommen worden. Dieser könnte sich aber auch, was durchaus wünschenswert ist, mit dem Hamas-Terror beschäftigen.
Im nationalen Rahmen der bevorstehenden Wahlen in Israel können dagegen nur diejenigen Kräfte Stimmen gewinnen, die in gegenseitiger Überbietung versprechen, maximale Unnachgiebigkeit zu markieren, unter anderem, wie Regierungschef Netanyahu verspricht, überhaupt keine der rechtswidrigen Siedlungen aufzugeben – und Unerhörteres mehr.
Ein Punkt ist wichtig: Wenn auf richtigem Recht beharrt wird, geschieht dies nicht einzig um des Rechts als Selbstzweck willen, sondern weil seine Einhaltung auch zum Guten der Region ist. Der israelische Aussenminister Liebermann reagierte auf Schwedens Schritt mit der abschätzigen Bemerkung, der Nahost-Konflikt sei komplizierter als das Zusammenbauen von Ikea-Möbeln. Das könnte wahr sein, doch zugleich ist es ein billiges Argument, um nicht für eine gerechte Verständigung Hand bieten zu müssen, weder den Aliens noch der Weltgemeinschaft noch sich selber.