Der Frust bei der Mitwirkung ist programmiert

Plant der Kanton etwas Neues, will der Anwohner mitreden – egal, ob es um eine Hochhausvision oder Fussgängerstreifen geht. Aber mitreden heisst nicht mitbestimmen.

Mitreden ist wichtig – aber die Bevölkerung will vom Kanton auch gehört werden. Sonst verkehrt sich die Mitwirkung ins Gegenteil: Ausgrenzung und Frust sind die Folgen. (Bild: Nils Fisch)

Plant der Kanton etwas Neues, will der Anwohner mitreden – egal, ob es um eine Hochhausvision oder Fussgängerstreifen geht. Doch der Frust ist programmiert. Denn mitreden heisst nicht mitbestimmen.

Wird in Basel geplant, ist die Bevölkerung dabei – zumindest der direkt betroffene Teil. So will es die Basler Kantonsverfassung, und so wird es im Kanton seit zehn Jahren auch praktiziert. Grundlage ist der Verfassungsparagraf 55: «Der Staat bezieht die Quartierbevölkerung in seine Meinungs- und Willensbildung ein, sofern ihre Belange besonders betroffen sind.» 

Ein Hauptsatz, ein Nebensatz, beide aktiv formuliert: So einfach kann Verfassung sein. Und doch ist dieser eine Satz ein Stein des Anstosses für viel Frust und Unlust in der Bevölkerung. Aktueller Fall: Die Begleitgruppe zur Hafen- und Stadtentwicklung kritisiert die aus ihrer Sicht mangelnden Möglichkeiten der Mitwirkung im Planungsprozess.

In einem engagierten Beitrag im «Speaker’s Corner» der TagesWoche beklagte Daniel Kurmann unter anderem fehlende Informationen seitens des Kantons, Resignation seitens der Teilnehmer und das Brechen von Vereinbarungen mit der Verwaltung. Kurmann empfand das Verhalten des Kantons «als erniedrigend» und zog die Konsequenzen: Er trat aus der Begleitgruppe aus. 

Ähnliche Kritik auch am Prozess beim Felix-Platter-Spital

Einem aktuellen Aufruf der TagesWoche folgend, meldete sich auch ein Leser, der in der Begleitgruppe zur Arealentwicklung des Felix-Platter-Spitals Einsitz hat. Er hält das Verfahren bislang für ernüchternd, die Kommunikation via Fachstellen und Grundeigentümer sei mangelhaft.

Entscheidend für Mitwirkung ist aus seiner Sicht: Die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt stellen. Und er fügt an: «Für uns Laien ist es schwierig abzuschätzen, zu welchem Zeitpunkt welche Fragen entscheidend sind.» Dabei wäre eine zeitnahe Information mit allen nötigen Fakten für eine Mitsprache auf Augenhöhe entscheidend.



Blick auf das Gelände des Felix Platter-Spitals, das der Kanton städtebaulich weiterentwickeln will.

Blick auf das Gelände des Felix Platter Spitals, wo der Neubau zu stehen kommen soll. (Bild: Gesundheitsdepartement Basel-Stadt)

Wochenthema Mitwirkung
Die TagesWoche widmet ihren Schwerpunkt diese Woche der Mitwirkung der Basler Bevölkerung bei kantonalen Planungen. Dabei geht es auch um den Paragrafen 55 der Kantonsverfassung, der am 23. März zehn Jahre in Kraft sein wird. Dabei gehen wir dem Konflikt zwischen Mitwirkung und Mitsprache auf den Grund, lassen den Kanton eine erste Bilanz ziehen und die dänische Stadtplanungs-Koryphäe Jan Gehl zu Wort kommen.
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Und genau hier stösst der so einfach formulierte Mitsprache-Ansatz des Paragrafen 55 an seine Grenzen. Bis zu welchem Grad sollen denn die Anwohnerinnen und Anwohner miteinbezogen werden? Welche Informationen soll und darf die einbezogene Bevölkerung überhaupt erhalten? Und ja: Heisst mitreden nicht auch mitentscheiden?

Nein, denn letztlich liegt die «Meinungs- und Willensbildung» beim Staat und nicht bei der Bevölkerung. Die Quartierbewohner bezieht er nur mit ein. So steht es in der Kantonsverfassung.

Unterschiedliches Spektrum: vom Bläsiplätzli zum Hafen

Harsche Worte also von Beteiligten aus der Bevölkerung. Der Kanton sieht sich aber seinerseits in einem Lernprozess: Die neue Verfassung ist erst seit zehn Jahren in Kraft, die Verordnung zur Mitwirkung gibt es in dieser Form erst seit acht Jahren. Per September 2014 hat der Kanton Basel-Stadt 39 dieser Verfahren nach Paragraf 55 durchgeführt, oder er wickelt sie noch ab: vom Bläsiplätzli über die Erlenmatt bis eben zur Hafen- und Stadtentwicklung am Klybeckquai.

«Das Spektrum der Projekte, für die ein Mitwirkungsverfahren eröffnet wurde, ist sehr unterschiedlich», sagt Claudia Greter, die beim Basler Präsidialdepartement die Mitwirkungsprozesse koordiniert. Bei ihr laufen die Anträge auf Mitwirkung ein, und sie leitet die Anträge an die zuständigen Departemente weiter.

Darüber hinaus lädt Greter auch die antragstellenden Quartierorganisationen und zuständigen Verwaltungsstellen zu Auslegeordnungen ein, in denen das weitere Vorgehen gemeinsam besprochen wird. Dass dabei vor allem Bau- und Stadtentwicklungsprojekte im Fokus stehen, ist kein Wunder. Von diesen Umwälzungen in der direkten Lebensumwelt sind die meisten Einwohnerinnen und Einwohner betroffen. 

Je grösser die Bauprojekte, desto mehr Frust

So unterschiedlich die Anträge, so unterschiedlich sind die Erfahrungen. Einige Mitwirkungsverfahren hätten «zur Zufriedenheit aller Beteiligten» abgeschlossen werden können, schreibt der Kanton in seinem Leitfaden und verweist dabei auf die Umgestaltung des Erasmusplatzes.

Andere aber harzen, und dabei gilt die Faustregel: je grösser, desto konfliktbeladener. Meist sind es Grossprojekte wie die landläufig «Rheinhattan» genannte Stadtentwicklung am Hafen oder die Arealentwicklung des Felix-Platter-Spitals

Die betroffenen Interessen unter einen Hut zu bringen, sei schwierig genug, sagt Theres Wernli vom Quartiersekretariat Kleinbasel. Seit über zehn Jahren hat sie die Bedürfnisse und Befindlichkeiten von Quartierbewohnern und Vereinen angehört und viele dieser Projekte begleitet.

Dazu gehört auch das Hafenareal. Es gebe tatsächlich viele Details im Prozess, die das Vertrauensverhältnis beeinträchtigten, sagt Wernli im Interview mit der TagesWoche, «aber der Prozess wird weitergehen». Gerade die Verwaltung lerne dabei tatsächlich, wie mit der Bevölkerung umzugehen sei. 

Reden, reden – und doch nicht flexibel

Doch nicht nur die Verwaltung muss lernen: «Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass es sich um einen ‹Kann-Artikel› handelt, dass es um einen Mitsprache- und nicht um einen Mitbestimmungsprozess geht, dass die Verwaltung die Anliegen aufnehmen kann und nicht muss», sagt Wernli.



«Miss Kleinbasel» Theres Wernli vor dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel, das in diesem Jahr den zehnten Geburtstag feiert.

«Miss Kleinbasel» Theres Wernli vor dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel, das in diesem Jahr den zehnten Geburtstag feiert. (Bild: Dominique Spirgi)

Sie weist auch darauf hin, dass einige Dienststellen der Verwaltung deutlich näher bei der Bevölkerung sind als andere. So habe die Stadtgärtnerei früh ein feines Sensorium für die Bedürfnisse der Einwohner gezeigt. Der Tiefbau dagegen sei noch eher auf die geplante Umsetzung der Projekte bedacht. 

So ergibt sich ein differenzierteres Bild im Bereich Mitwirkung und vor allem Mitsprache. Nicht überall herrscht Hafenplanungsfrust. Bei wesentlichen Grossprojekten mit kantonalpolitischem Ausmass allerdings ist der Miteinbezug der Bevölkerung nach wie vor eine schwierige Bastion, wie die Berichte der Mitwirkenden aus der Bevölkerung zeigen. 

Wider die «Perversion» des Mitwirkungsparagrafen

Denn letztlich erhält die Mitwirkung hier die entscheidende Flughöhe. Bei der Neugestaltung eines Platzes mitreden, ist gut und recht. Doch wenn es ums Eingemachte geht, also wenn sich die Frage stellt, ob Basel eine Hafen-Skyline im Sinne von «Rheinhattan» oder eine «Öko-Insel» nach dem Konzept von «Greenhattan» bekommt, erhält eine Begleitgruppe ein anderes Gewicht.

Denn selbst wenn jemand nur mitspricht und nicht mitentscheidet: Er will ernst genommen werden. Dafür braucht er die nötigen Informationen zur richtigen Zeit. Er muss orientiert und miteinbezogen werden. Unterstützen die Fachstellen die Bevölkerungsvertreter dabei nicht, wird der Paragraf 55 pervertiert: Anstatt miteinbezogen wird die Bevölkerung weiter ausgegrenzt. 

Und obwohl sich die Mitwirkenden gerade bei diesen Prozessen im Sinne von Daniel Kurmann «weder als ewigen Nein-Sager noch als Verhinderer» verstehen, fällt dann eben doch das Urteil: «So nicht!»

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Die TagesWoche widmet sich aktuell schwerpunktmässig dem Thema Mitwirkung, alle bisher veröffentlichten Geschichten zum Thema in unserem Dossier.

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