Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der US-Journalist und -Buchautor James Bamford mit den Praktiken des US-Geheimdienstes NSA. Derzeit weilt er in Berlin, um im Abhörfall Angela Merkel zu recherchieren.
In der dunklen Welt der Spitzel und Agenten gibt es das Erwartbare und das weniger Erwartbare. Überraschend ist nicht, dass man das Handy der deutschen Kanzlerin Angela Merkel belauscht habe, sagt James Bamford, der vielleicht beste Kenner der National Security Agency (NSA), «sondern dass man sich dabei hat erwischen lassen».
Dass Barack Obama nichts von der Abhöraffäre gewusst haben soll, kauft Geheimdienstexperte Bamford dem US-Präsidenten nicht ab. «Wenn die NSA einen verbündeten Staats- oder Regierungschef abhört – besonders im Fall von Privathandys –, muss sie meinem Verständnis nach dafür die Erlaubnis des Präsidenten einholen», erklärt der Journalist und Autor des Buches «NSA, Amerikas geheimster Nachrichtendienst» (1982), der allerersten Publikation über die NSA.
Einblicke ins Herz des Geheimdienstes
Der Geheimdienst war nicht glücklich darüber und versuchte den Autor einzuschüchtern. Zweimal habe man ihn wegen Spionage zu verklagen versucht, sei aber dabei gescheitert, sagt Bamford: «Ich war ja nur ein Schriftsteller.» Dank des Freedom of Information Act, einem Gesetz, das allen Amerikanern den Zugang zu Regierungsdokumenten gewährt, gelang es dem Journalisten damals, neueste NSA-Dokumente einzusehen.
Die NSA versuchte Bamford zu sabotieren, wo immer es ging: Sie durchforschte Bibliotheken, in denen Bamford recherchierte, und entwendete Literatur, die er dort las. «Ebenfalls versuchten sie, im Voraus eine Kopie meines Werks zu bekommen, um eine Unterlassungsanklage einzubringen», erinnert sich der Autor, «alle waren höchst nervös, weil niemand zuvor ein Buch über die NSA geschrieben hatte.» Inzwischen scheint sich die NSA mit Bamford abgefunden zu haben, verwendet sein Buch sogar offiziell als Lehrbuch für junge Agenten.
Der heute 67-Jährige wurde in der Kleinstadt Natick im liberalen Staat Massachusetts an der amerikanischen Ostküste geboren. Nach der Hochschule ging er zur Marine, schlug aber nicht den militärischen Berufsweg ein, sondern studierte Jura. In den 1970er-Jahren, als die Watergate-Affäre um den republikanischen Präsidenten Richard Nixon publik wurde, stieg Bamford in den investigativen Journalismus ein.
Alle Türen standen offen
Sein Aufdeckungs-Sachbuch über die NSA warf hohe Wellen und verschaffte ihm einen Job beim Fernsehsender ABC. Doch Bamford fühlte sich als angestellter Journalist nie richtig wohl und kündigte ein paar Jahre später, um an seinem zweiten NSA-Buch «Body of Secrets» zu arbeiten. Diese Arbeit sei eine ganz neue Erfahrung gewesen, erinnert er sich. Der damalige NSA-Direktor, General Michael V. Hayden, «wollte sich nicht mit mir verfeinden und öffnete mir alle Türen», erzählt Bamford. Man habe ihn im Inneren der NSA-Zentrale recherchieren lassen und ihm Interviews mit hochrangigen Mitarbeitern gewährt. «General Hayden lud mich sogar zu sich nach Hause zum Abendessen ein und organisierte nach der Veröffentlichung des Buches im Jahr 2001 eine Autogrammstunde für mich im NSA-Gebäude.»
«Ich muss einfach akzeptieren, dass man mich vielleicht abhört»
«Body of Secrets» erschien unmittelbar vor dem 11. September 2001. In dieser Periode habe die NSA nicht jene umstrittenen Abhörmethoden praktiziert, «über die wir heute sprechen». Das änderte sich nach den Anschlägen aufs World Trade Center schlagartig, wie Bamford in seinem dritten «The Shadow Factory» (2008) schildert. «Seit dieser Publikation mögen sie mich bei der NSA wieder nicht mehr so sehr», sagt Bamford und lacht.
Ob er selber von der NSA ausspioniert wird, interessiert den Autor nicht. «Ich verstecke mich auch nicht.» Ganz im Gegenteil. Auf Facebook kündigte er soeben an, dass er in Berlin sei, um über den neuesten NSA-Abhör-Skandal zu recherchieren, dem die deutsche Bundeskanzlerin zum Opfer gefallen ist. «Ich muss einfach akzeptieren, dass man mich vielleicht abhört», erklärt Bamford während des Telefongesprächs, dass er von Berlin-Mitte aus führt. Dann muss er das Interview unterbrechen: «Ich muss jetzt gleich weg. Rufen Sie mich bitte in 15 Minuten wieder an.» Ein Informant wartet.
Diskrete Treffen unter vier Augen
Bamford geht mit seinen Quellen sorgsam um, trifft sich unter vier Augen mit ihnen und tauscht keine heiklen Informationen am Telefon oder über das Internet aus, wie er später erzählt. Ob aus seiner neuesten Recherche ein weiteres Buch entsteht? «Ich habe mich noch nicht entschieden. Jetzt ist aber die richtige Zeit, um hier in Berlin zu sein, wo gerade alles passiert. Es ist eine gute Zeit, um Interviews zu führen. Ich sammle einfach Material – das ist alles.»
Bamford schreibt unter anderem auch für die US-Zeitschrift «Wired», die auf Technologie bezogene Themen spezialisiert ist. Was auch immer das Ergebnis seines Berliner Aufenthalts sein mag, für die NSA wird es kaum schmeichelhaft ausfallen. Deren gigantische Datensammlung hält er für ein enormes Problem. «Die NSA baut gerade einen elektronischen Heuhaufen auf. Dieser ist riesengross, und je mehr man ihn aufbaut, desto schwieriger wird es, darin die Nadel zu finden.» Das eigentliche Problem der Überwachungsbehörde liege aber woanders. «Die NSA wurde zu dem Zweck geschaffen, einen Überraschungsangriff der Sowjetunion auf die Vereinigten Staaten zu verhindern. Nach dem Ende des Kalten Krieges musste die NSA eine neue Aufgabe finden – und konzentrierte sich auf die Terrorismusbekämpfung.»
«Sollte es der NSA gelungen sein, ein grosses Terrorereignis zu stoppen, werden wir von allen Seiten davon erfahren.»
Mit wenig Erfolg. Grosse terroristische Anschläge konnte die NSA nicht verhindern. Bamfords Liste der NSA-Misserfolge ist lang: die Bombenanschläge auf das World Trade Center von 1993, auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania (1998), auf das Militärschiff USS Cole in Jemen (2000), die verheerende Attacke auf die Twin Towers vom 11. September 2001 oder der Anschlag auf den Bostoner Marathon im Frühjahr dieses Jahres.
Üblicherweise reagiert der US-Geheimdienst auf solche Kritik mit dem Hinweis, man habe viel mehr verhindern können, als passiert sei – doch das sei geheim geblieben. Bamford hält solche Aussagen für faule Ausreden: «Das ist Unsinn, glauben Sie mir. Sollte es der NSA gelungen sein, ein grosses Terrorereignis zu stoppen, werden wir von allen Seiten davon erfahren.»
Allzu lockere Kontrollmechanismen
Auch was die Datensicherheit betrifft, sei die NSA nicht auf der Höhe der Zeit, kritisiert Bamford. «Die Kontrollmechanismen sind so locker, dass ein kleiner Mitarbeiter wie Edward Snowden drei, vier Monate lang die geheimsten Informationen herunterladen kann, auf Scheinurlaub nach Hongkong fliegt, um dann sein Wirken selber öffentlich zu machen.» Hätte Snowden das nicht getan, würde die NSA bis heute nicht wissen, dass die Daten weg sind, glaubt Bamford: «Was wäre passiert, wenn Snowden nicht aus idealistischen Gründen gehandelt, sondern die Informationen an einen ausländischen Geheimdienst oder an Terroristen verkauft hätte?»
Diese Woche hat die US-Regierung versprochen, die Arbeit ihrer Geheimdienste zu überdenken und Anpassungen vorzunehmen. Ob das tatsächlich passieren werde, sei fraglich, sagt Bamford. Sicher aber sei, dass die Einsicht zu spät komme – zu viel Geschirr sei im Umgang mit Verbündeten wie Deutschland, Frankreich oder Spanien zerschlagen worden: «Wenn du so etwas deinen Freunden antust, wie sollen sie dir je wieder vertrauen?»