Der Kalte Krieg gegen den Zivildienst

Geht es nach bürgerlichen Armeepolitikern, sollen Rekruten und Soldaten künftig keine Gesuche mehr für den Zivildienst stellen. Sie sehen im wachsenden Zivildienst eine Bedrohung der Armee und der Wehrpflicht.

Ein Zivi als Landschaftsgärtner – die Stahlhelmfraktion hätte lieber Soldaten. (Bild: PETER SCHNEIDER)

Geht es nach bürgerlichen Armeepolitikern, sollen Rekruten und Soldaten künftig keine Gesuche mehr für den Zivildienst stellen. Sie sehen im wachsenden Zivildienst eine Bedrohung der Armee und der Wehrpflicht.

Es war ein Streich der «Stahlhelm-Fraktion», wie es aus linken Kreisen heisst: Als die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats, kurz SIK, am 18. November über die Revision des Zivildienstgesetzes (siehe Kasten) beriet, war plötzlich ein radikaler Vorschlag auf dem Tisch. Wehrpflichtige sollen nur noch an der Rekrutierung ein Gesuch auf Zivildienst stellen dürfen – und nicht mehr während des Militärdienstes umsteigen.

Obwohl die Idee in der Vernehmlassung nur ganz am Rand thematisiert worden war, lagen in der Sitzung plötzlich mehrere Varianten zu Einschränkungen vor. In der Pause berieten sich die Juristen darüber, wie nun fortzufahren sei.

«Es war ein ziemliches Gestürm», sagt Aline Trede, grüne Nationalrätin und Mitglied der SIK. Die Kommission stimmte mit dem Stichentscheid ihres Präsidenten, SVP-Nationalrat und Kampfpilot Thomas Hurter dafür, die Idee zu prüfen. Nun muss der Bundesrat bis zur nächsten Kommissionssitzung im Januar Szenarien vorlegen. Bundesrat Johann Schneider-Ammann, der der Sitzung beiwohnte, hört man, war nicht begeistert.

Noch weniger war es die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee. Die GSoA zeigte sich «schockiert» über den Vorschlag. «Damit würde die Möglichkeit wegfallen, den Dienst ohne juristische Konsequenzen zu verweigern», sagt GSoA-Sekretär Nikolai Prawdzic. «Aber Gewissensbisse können sich auch im Dienst entwickeln.»

Der Civiva, der 2010 gegründete Zivildienstverband, schreibt von «ideologischen Vorbehalten» in der Kommission gegenüber den Zivis. Für Geschäftsführer Samuel Steiner stellt sich gar die Frage, ob eine Einschränkung der Zulassung menschenrechtskonform sei. Der Bundesrat solle dies genau prüfen, sagt Steiner, «sonst könnte es in Strassburg Urteile gegen die Schweiz in Wehrpflicht-Prozessen geben.»

Erste Bürgerpflicht: Soldat

Der Vorschlag, Rekruten und Soldaten den Umstieg in den Zivildienst zu verbieten, ist nicht neu. Er entspringt einer noch hängigen Initiative namens «Stopp dem Jekami im Zivildienst», die der FDP-Nationalrat Edi Engelberger 2010 einreichte. «Es ist eine radikale Idee», räumt der ehemalige Oberst ein. «Aber es kann nicht sein, dass Rekruten, denen es stinkt, morgens um sechs Uhr aufzustehen, einfach in den Zivildienst gehen.» Die erste Bürgerpflicht, sagt Engelberger, der 2011 als Nationalrat zurücktrat, sei Soldat. Der Zivildienst solle Männern mit Gewissenskonflikten vorbehalten sein.

Dass eine Mehrheit der SIK Engelbergers Vorschlag prüfen will, ist ein weiteres Scharmützel im Kampf der bürgerlichen Sicherheitspolitiker gegen den Zivildienst. Das Motto, das man in zahlreichen Vorstössen liest, heisst: «Den Zivildienst unattraktiver machen.» Denn der bedroht in den Augen mancher Politiker nichts weniger als die Schweizer Armee.

Dabei begann alles so harmlos. 1992, kurz nach dem Ende des Kalten Krieges, führte das Parlament den Zivildienst als Alternative zum Militär ein. Bis dahin sassen jährlich mehrere Hundert Wehrpflichtige Gefängnisstrafen ab, wenn sie den Dienst an der Waffe verweigerten.

Die Hürden für den neuen Zivildienst waren hoch. Man musste seinen Gewissenskonflikt schriftlich begründen und dann noch vor einer Kommission antraben, die Fragen wie «Und wenn jemand ihre Freundin bedroht, würden Sie dann auch auf Gewalt verzichten?» stellte. Die Zahl der Gesuche stieg nur leicht an. 1996 waren es 800, zehn Jahre später etwa 1750. Da war keine Gefahr für die «Armee 95» mit ihren 400’000 Mann.

2004 schlug der EVP-Nationalrat Heiner Studer in einer Motion vor, die Gewissensprüfung abzuschaffen. Die Tatsache, dass der zivile Dienst anderthalb mal so lange dauere wie der Militärdienst, argumentierte Studer, sei Beweis genug, dass man es ernst meine.

Das Parlament überzeugte er aber vor allem mit einem Sparschwein-Argument: Die Kommissionen zur Gewissensprüfung würden jährlich über sechs Millionen Franken kosten und sowieso den Löwenanteil der Gesuche durchwinken.

Das Parlament hiess die Motion 2008 mit 127 zu 17 Stimmen gut. Ab 2009 reichte ein Formular, um vom Militärdienst wegzukommen.

Die Nase voll vom Militär

Bundesrat und Parlament prognostizierten nur eine leichte Zunahme. Doch die Politiker unterschätzten den Unmut der Jungen über den Armeedienst. Die Anzahl Zivildienstgesuche stieg von einem Jahr aufs andere sprunghaft von 2000 auf über 7000 Gesuche an. Ein grosser Teil kam von Soldaten, die keine Lust mehr auf Militärdienst hatten. «Die Motion von Heiner Studer war ein Betriebsunfall», sagt Edi Engelberger. «Der Zivildienst wurde zum Jekami.»

Verschreckte Militärpolitiker forderten, die Hürden wieder zu erhöhen. 2011 verschärfte der Bundesrat angesichts des parlamentarischen Drucks die Regeln. Einem Zivildienstgesuch folgte eine vierwöchige Bedenkfrist, nach der man den Wunsch bestätigen musste. Zivis durften ihre Einsätze nur noch in zwei Arbeitsgebieten absolvieren. Und die Essensspesen wurden gekürzt. 2011 sank die Zahl der Gesuche auf 5800. Doch seither steigt sie wieder.

Im Grunde geht es um die Frage, welche Stellung der Zivildienst gegenüber der Armee haben soll. Denn die Annahme der Motion von Heiner Studer hatte einen unausgesprochenen Paradigmenwechsel zur Folge: Der Zugang zum Zivildienst wurde so leicht, dass er nicht nur die wenigen Männer anzog, die den Dienst mit der Waffe nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Sondern alle diejenigen, die vom Militär die Nase voll hatten.

Der Zugang zum Zivildienst wurde so leicht, dass er alle diejenigen Männer anzog, die vom Militär die Nase voll hatten.

Diesen April veröffentlichte das Verteidigungsdepartement eine Studie über die Gründe, warum Rekruten in den Zivildienst wechseln wollen. Das Resultat, basierend auf Gesprächen mit Gesuchstellern: Sie haben grossteils zu Beginn der Rekrutenschule keine negative Einstellung zum Militär, beginnen die RS oft sogar motiviert. Doch im Verlaufe des Dienstes verlieren sie die Lust.

Besonders Rekruten, die zur Kaderausbildung gezwungen wurden, stellen oft Gesuche für den Zivildienst. Auch abgesehen davon, dass die Bedeutung des Militärs in der Gesellschaft zurückging, bekleckerte sich die Armee in den Nullerjahren nicht gerade mit Ruhm. Die Armeereform XXI von 2004 sowie die Einführung eines informatikgesteuerten Logistiksystems führten zu Chaos in Rekrutenschulen und WKs.

«Rekruten müssen gefordert sein»

«Die Armeefreunde würden sich besser überlegen, wie sie die Armee attraktiver machen könnten und die Leute nicht vergraulen», sagt Heiner Studer, der heute den Zivildienstverband präsidiert. Auch Corina Eichenberger ist der Meinung, dass sich das Militär verbessern muss. «Die Rekruten müssen gefordert sein, etwas erleben», sagt die FDP-Nationalrätin, die in der SIK sitzt. «Wenn man sie herumstehen lässt, laufen sie davon.» Sie betone das jedes Mal bei Referaten vor Offizieren.

In den Augen der Armeekritiker ist der Zivildienst der Sündenbock dafür, dass das Militär immer unbeliebter wird. Aline Trede, die grüne Nationalrätin, nervt sich ab den «Stahlhelmen» in der sicherheitspolitischen Kommission. «Der Ton der Debatte ist: Zivildienstler sind die, die sich davonschleichen wollen.» Tatsächlich sitzen in der SIK Offiziere (SVP, FDP), Gefreite, Soldaten (CVP, Grünliberale, Linke) und Frauen – aber niemand, der Zivildienst geleistet hat.

Das Verständnis für den Zivildienst fehle deshalb, sagt Trede. «Dabei gefährdet der Zivildienst die reduzierten Bestände der Armee nicht; aber mit Fakten kann man die Armeefreunde kaum beeindrucken.» Und auch FDP-Frau Corina Eichenberger, die für das Primat der Armee bei der Dienstpflicht ist, räumt ein, dass einige ihrer bürgerlichen Kommissionskollegen dem Zivildienst «zu wenig Anerkennung zollen».

Das Zerrbild in der SIK ist aber auch die Hoffnung der Zivildienst-Lobbyisten, dass die Idee einer eingeschränkten Zulassung zum Zivildienst ein schnelles Ende findet. Edi Engelberger gibt sich zwar siegessicher: «Wenn die Bürgerlichen zusammenspannen, können wir auch im Plenum eine Mehrheit finden.» Er könnte sich auch vorstellen, dass man weiterhin während dem Militärdienst ein Gesuch zum Zivildienst stellen könnte, aber dann wieder vor einer Gewissenskommmission antreten müsste.

Wind aus den Segeln

Der Civiva-Geschäftsführer Steiner vermutet hingegen, dass das Nationalratsplenum mit seinem höheren Anteil an Frauen und Jungen eine andere Entscheidung fällen würde als die Kommission. Und Civiva-Präsident Studer erwartet, dass schon der Bundesrat bremst. «In der Vernehmlassung war der Vorschlag kein Thema, das kann man nicht später einfach noch reinwursteln.»

Die Frage, in welchem Verhältnis Armee und Zivildienst zueinander stehen sollen, bleibt aber auch in diesem Szenario in der Schwebe. 2013 versenkten die Schweizer die GSoA-Initiative zur Abschaffung der Wehrpflicht mit 73 Prozent. Zwar ging es dort nur um die Frage nach einer Berufs- oder Milizarmee, aber die glasklare Niederlage hat den Armeegegnern den Wind aus den Segeln genommen.

Zwar arbeitet derzeit eine Gruppe um den ehemaligen FDP-Nationalrat Arthur Löpfe im Auftrag des Bundesrats Szenarien für eine künftige Ausgestaltung der Dienstpflicht aus. Doch dem Bericht, der für den Sommer 2015 bestellt ist, sagen Sicherheitspolitiker wenig Einfluss voraus. Nationalrätin Trede gibt sich pessimistisch. Im derzeitigen Parlament könne man die Rolle des Zivildienstes kaum neu verhandeln. «Wir können froh sein, wenn die Revision ohne Verschärfung durchkommt.»

Zivis in der Schule

Der Kernpunkt der Zivildienstreform ist der Vorschlag des Bundesrates, Zivildienstler als Assistenten in die personalmässig unterdotierten Volksschulen zu schicken. Grund dafür ist unter anderem, dass die Zahl der Einsatzplätze nicht mit jener der Zivis Schritt hält: Ihre Zahl stieg von 2008 auf 2013 von 13’000 auf 33’000, jene der Einsatzplätze jedoch bloss von 6000 auf 13’000.
In der Vernehmlassung provozierte diese Idee die meisten Einwände. Die CVP und FDP fürchtet, dass der Bundesrat damit den Lehrermangel bekämpfen will. Zweifel an der «Arbeitsmarktneutralität» dieser Einsätze zeigten in der Vernehmlassung auch die Grünen, in deren Basis viele Lehrer sind. Auch die SIK will keine Zivis in Schulen.
Auch in dieser Frage zeigten sich wieder die Angst von Militär-Bürgerlichen vor dem Zivildienst. «Das Risiko, dass die Schüler gegen den Wehrdienst beeinflusst würden, ist mir zu gross», sagt der ehemalige FDP-Nationalrat Edi Engelberger. Seine Parteikollegin Corina Eichenberger findet dieses Argument jedoch «eher absurd». Und Civiva-Präsident Heiner Studer meint: «Als man damals Zivis in Altersheime schickte, fürchteten manche Bürgerliche, dass man nun fanatische Armeegegner auf Senioren loslassen würde. Dann zeigte sich: Das sind junge Leute, die einfach lieber alten Menschen helfen, anstatt Militär zu machen. Dasselbe wird bei den Schulen der Fall sein.» (Zurück zum Anfang des Textes.)

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