Der Kreml baut auf der Krim ein Paradies für die russische Jugend

Die Ferienanlage Artek in der Nähe von Jalta galt als eines der bedeutendsten Sommerlager der Sowjetunion. Mit der Annexion der Krim soll das Lager wieder zu alter Bedeutung zurückkehren. Doch der Ausbau aus Russland stösst auf Widerstand – selbst bei Anhängern von Wladimir Putin.

(Bild: Simone Brunner)

Die Ferienanlage Artek in der Nähe von Jalta galt als eines der bedeutendsten Sommerlager der Sowjetunion. Mit der Annexion der Krim soll das Lager wieder zu alter Bedeutung zurückkehren. Doch der Ausbau aus Russland stösst auf Widerstand – selbst bei Anhängern von Wladimir Putin.

Ein Gedicht aus Meer, Sandstrand und Fels: Wie ein Wal taucht der sanfte Bergrücken des Aju-Dag aus dem Schwarzen Meer, um die Bucht von Hursuf nach Norden abzuschliessen. Weiter Richtung Süden ragen zwei felsige Inseln wie zwei Trutzburgen aus dem Türkis des Meeres. «Schön bist du, Tauriens Gestade, wenn vor dem Schiff im Morgenstrahl du aufsteigst aus dem Meerespfade», schrieb der russische Dichter Alexander Puschkin schon 1820 über diese Bucht.

Die Jugend-Ferienanlage Artek liegt an der Südküste der Krim, eine halbe Autostunde von der Schwarzmeerstadt Jalta entfernt. Der Direktor Aleksej Kasprschak, ein sonnengebräunter End-Dreissiger mit schulterlangem Haar und Sonnenbrille, führt durch die Anlage. Gläserne Wohnheime, Sportanlagen und üppige Alleen säumen die Strasse. Das Meer funkelt zwischen dem Olivenhain in der Juli-Sonne. «Wir wollen, dass die Kinder das Lager als selbstbewusste und nützliche Mitglieder der Gesellschaft verlassen», doziert Kasprschak.




Der Herr im Lager: Aleksej Kasprschak führt durch die Ferienanlage. Sehr gesprächig ist der Enddreissiger nicht. (Bild: Simone Brunner)

Die Geschichte von Artek ist so wechselvoll wie die der Halbinsel selbst. 1925 als Erholungsheim für Kinder im Bürgerkrieg gegründet, entwickelte sich Artek in der Sowjetunion zu einem bekannten Sommerlager der sowjetischen Jugendorganisation der «Pioniere.» Mit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 wurde das Lager ukrainisch.

Seit der russischen Annexion 2014 wird das Ferienlager wieder von Moskau kontrolliert. Die ukrainische Rechtsauffassung ist naturgemäss eine andere: Mit der Annexion der Krim wurde das Kinderlager – wie auch die gesamte staatliche Infrastruktur auf der Halbinsel – rechtswidrig enteignet.

Jubel, Trubel, Heiterkeit – jetzt halt russisch: Feuerwerk im Artek. (Bild: http://artek.org)

Die Kreml-Führung feiert das Kinderlager indes als russische Erfolgsstory. Kremlnahe Medien porträtieren das Lager als einen «Traum», als «Jugend-Paradies» wird es von Moskauer Beamten bezeichnet. Der Direktor Kasprschak selbst wurde von seinem Posten als Vize-Gouverneur im zentralrussischen Twer abgezogen, um «das beste Kinderlager der Welt», wie es auf der Website steht, zu leiten.

Die 90-Jahr-Feier nahm der russische Premier Dmitri Medwedew persönlich ab. Die schillernde Pressesekretärin des Aussenministers, Maria Sacharowa, beteiligte sich dieser Tage an den allmorgendlichen Turnübungen und kochte mit den Artek-Zöglingen chinesischen Tee als Zeichen der neuen Allianz zwischen Moskau und Peking, von zahllosen russischen Fernsehstationen begleitet.




(Bild: Simone Brunner)

Das Kinderlager ist auch im Ort Hursuf mit seinen knapp 9000 Einwohnern allgegenwärtig. «Schaffe!» – «Handle!» – «Fantasiere!» – «Lebe!» – «Respektiere!», steht auf Hauswänden und Schautafeln.

Meterhohe Zäune durchziehen das Ortsgebiet mit Plakaten von lachenden Kindern in bunten Artek-Uniformen, ihre Halstücher nach Pionierart um den Hals geknotet. Artek ist nicht nur ein Kinderlager, sondern eine Nostalgie einer untergegangenen Welt.  




Werbung in eigener Sache: Artek ist überall präsent.

Ständig werden neue Wohnheime mit Glasfronten und bunten Wänden aus dem Boden gestampft. Es wird gehämmert, gebaggert, gegraben. Bis 2020 sollen 21 Milliarden Rubel (knapp 320 Millionen Franken) an staatlichen Mitteln in den Ausbau des Lagers gesteckt werden, erzählt der Direktor.

Seit der Annexion der Krim sind die Besucherzahlen explodiert: Von 6000 im Jahr 2014 auf 20’000 Kinder im vergangenen Jahr. Bis 2020 sollen hier jährlich 40’000 Kinder zwischen acht und 17 Jahren zu «Patrioten ihres Landes» ausgebildet werden, wie es auf der Website heisst. Kostenpunkt: 65’000 Rubel, umgerechnet rund 920 Franken, für eine «Putjowka», einen Aufenthalt von drei Wochen.

320 Millionen Franken will Russland ins Feriencamp investieren, 40’000 Kinder sollen ab 2020 jährlich hier ihren Urlaub verbringen – für rund 920 Franken für drei Wochen. (Bild: Simone Brunner)

Doch mit der Expansion ist es in der malerischen Bucht von Hursuf eng geworden. 40 zusätzliche Hektar Land hat der Krim-Premier Sergej Aksjonow der Artek-Führung für seine Expansion per Verordnung zugesprochen. Dass darunter zwei öffentlich zugängliche Strände, zwei Friedhöfe sowie zahlreiche Zufahrtsstrassen fallen und ausserdem 1500 Personen umgesiedelt werden sollen, hat für Unmut unter den Anrainern gesorgt.

«Seit diesem Jahr werden wir an den Checkpoints des Kinderlagers nicht einmal mehr durchgelassen», empört sich Igor Barischnikow, ein gedrungener Mann mittleren Alters, wenige Meter vom Kinderlager entfernt.

Dass Russland auf der Krim völlig legitim die Macht übernommen habe, daran möchte Barischnikow keinen Zweifel aufkommen lassen. Er ist ein glühender Anhänger der «Heimholung der Krim.» So sehr, dass er den russischen Präsidenten auch heute noch, zweieinhalb Jahre nach der Annexion der Krim, beim Wort nehmen möchte.

«Präsident Wladimir Putin hat uns versprochen, dass wir nach dem Referendum nicht schlechter leben werden als vorher.» Doch inzwischen spricht Barischnikow sogar von «Krieg». Damit meint er aber nicht den bewaffneten Konflikt im mehr als 600 Kilometer entfernten Donezk, sondern den Kampf mit der russischen Bürokratie.




Die Ausbreitung des Feriendorfes bedrängt die Anwohner: 1500 Menschen sollen umgesiedelt werden, zwei Friedhöfe und zwei öffentliche Strände wegfallen. (Bild: Simone Brunner)

Barischnikow und seine Mitstreiter haben keine Gelegenheit ausgelassen, ihrem Unmut Gehör zu verschaffen. In zahlreichen Treffen haben sie den Premier der Krim, Sergej Aksjonow, mit der «illegalen Aneignung» in Hursuf konfrontiert. 5000 Unterschriften haben sie gegen die Expansion des Kinderlagers gesammelt, sich mit Beschwerden an russische Institutionen und Parteien gewandt.

Zuletzt hat Barischnikow mit vier weiteren Anrainern sogar eine Klage vor dem Kreisgericht in Simferopol eingebracht. «Unsere Kinder werden das Meer künftig nur noch vom Zaun aus sehen. Das werden wir nicht zulassen», hat sich sein Kollege Juri Skotik in einer Youtube-Botschaft direkt an Putin gewandt: «Wir sind nicht gegen Russland, sondern gegen die Methoden der Beamten.»

Mit «Strojgasmontasch», dem Unternehmen von Arkadi Rotenberg, wurde aber ausgerechnet ein Putin-naher Oligarch mit dem Ausbau des Ferienlagers beauftragt. Die Ansprüche der Anrainer von Hursuf würden «den Sicherheitsanforderungen des Objektes mit einem Kontingent von mehreren tausend Kindern» widersprechen, teilt die Pressestelle in einem offiziellen Statement mit.

Für den Strandzugang sieht Artek hingegen die lokalen Behörden in der Pflicht. Der Premier der Krim, Sergej Aksjonow, hat allerdings bereits zugegeben, dass das Territorium fälschlicherweise an Artek übereignet wurde.




Schöne Unterkunft für eine schöne Zeit: «Wir wollen, dass die Kinder das Lager als selbstbewusste und nützliche Mitglieder der Gesellschaft verlassen», sagt der Direktor über Artek. (Bild: Simone Brunner)

 

Der Protest gegen Artek ist auf der Krim kein Einzelfall. Immer wieder regt sich Unmut gegen die Projekte der neuen Machthaber. So ist es zuletzt auch im Kap Fiolent nahe Sewastopol zu einem offenen Widerstand gegen die illegale Aneignung von öffentlichen Stränden gekommen. Die Korruption wird indes als Erbe der alten, und nicht der neuen Macht angesehen.

Wenngleich sich die Bewohner im Kampf auf demokratische Grundrechte beziehen, an die sie sich in den 23 Jahren unter der Ukraine gewöhnt haben – wie die Versammlungs- und Pressefreiheit –, die aber in Russland nur noch sehr eingeschränkt gelten: Da eine Demonstration in Hursuf selbst verboten wurde, mussten die Aktivisten Ende Juni im knapp 20 Kilometer entfernten Jalta demonstrieren. Bei einem Lokalaugenschein mit einem  Fernsehsender wurden Barischnikow und Skotik daraufhin wegen «Aufruf zu Massenunruhen» verhaftet.




Interviews sind erlaubt – so lange sie die richtigen Informationen transportieren. (Bild: Simone Brunner)

Das Material wurde im lokalen Fernsehen nie ausgestrahlt. Während Aksjonow bereits eingeräumt hat, das Territorium unrechtmässig übergeben zu haben, schweigt Moskau zum Konflikt – und lässt die Artek-Führung gewähren. Barischnikow ist mit seinem Latein schon langsam am Ende. «Wir wissen nicht, was wir noch tun sollen, damit wir endlich angehört werden!»

«Russland braucht ein Paradies», soll der Fürst Potemkin zur russischen Zarin Katharina der Grossen gesagt haben, bevor er Ende des 18. Jahrhunderts die Halbinsel Krim annektierte. Paradies oder Potemkinsches Dorf – was die Bucht von Hursuf heute ist, zeigt den Krim-Bewohnern erst die Zukunft.

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