Der lange Weg zurück

Sturm Sandy hat einen Teil von New York verwüstet. Die Menschen haben keinen Strom, kein Wasser. Die Stadt lässt sich aber nicht unterkriegen, berichtet eine TagesWoche-Leserin. Sie erlebte den Sturm hautnah in Manhattan.

Der Versuch von Alltag: Lisa Kravchenko in der Nähe von New York trägt ihr Halloween-Kostüm. (Bild: John Minchillo)

Sturm Sandy hat einen Teil von New York verwüstet. Die Menschen haben keinen Strom, kein Wasser. Die Stadt lässt sich aber nicht unterkriegen, berichtet eine TagesWoche-Leserin. Sie erlebte den Sturm hautnah in Manhattan.

Nach dem Jahrhundertsturm Sandy erwacht Manhattan langsam wieder zum Leben. Zwei Tage nach dem Sturm öffnete ein Grossteil der Geschäfte, Restaurants und Museen wieder die Türen. Busse verkehren, wenn auch im reduzierten Wochenendfahrplan. Touristen säumen die 5th Avenue und New Yorker gehen wieder ihrer Arbeit nach. Man versucht, so rasch wie möglich zur Normalität zurückzukehren, um zu zeigen, dass auch der Jahrhundertsturm die New Yorker nicht in die Knie zwingen kann.

Die Spuren von Sandy werden einem jedoch an jeder Ecke von Manhattan vor Augen geführt. Insbesondere «Downtown» New York, der südliche Teil von Manhattan, wurde aufgrund massiver Überschwemmungen in Mitleidenschaft gezogen und wird längere Zeit benötigen, um wieder zum Normalbetrieb überzugehen. Noch heute ist ein Grossteil der Bewohner ohne Strom und ohne warmes Wasser. Im nördlichen Teil von Manhattan fallen einem entwurzelte Bäume, abgesperrte Strassenzüge, der geschlossene Central Park und ein vom Wind verbogener Baukran an der Spitze eines der höchsten Gebäude New Yorks auf. Ganz New York ist weiterhin vom Ausfall der U-Bahn betroffen und nur langsam nehmen die Flughäfen wieder ihren Betrieb auf.

Lange Schlangen vor Starbucks-Filialen

Im Gespräch mit Passanten auf der Strasse und Mitarbeitern in Einkaufhäusern oder Cafés hört man eine Vielzahl von Anekdoten: So berichtet beispielweise ein Mitarbeiter eines Kaufhauses, dass er für seinen Arbeitsweg vom Stadtteil Brooklyn bis nach Manhattan über vier Stunden benötigte und den Arbeitsweg mittels Bussen und zu Fuss zurücklegte. Normalerweise dauert derselbe Weg gerade mal eine halbe Stunde. Andere berichten, dass sie seit Samstagabend ohne Strom und warmes Wasser leben. Dies führt dazu, dass sich schon frühmorgens Personen vor die noch geschlossenen Starbucks Cafés drängen und dank dem frei verfügbaren Internetzugang seit Tagen zum ersten Mal ihre E-Mails lesen oder sich ein Bild der Verwüstung machen können. Steckdosen sind in Cafés und Geschäften ständig belegt, um Notebooks und Handys zu laden. Es sind mühsame, aber erträgliche Schwierigkeiten im vorübergehenden Alltag von New Yorkern.

Die tragische Seite des Sturms ist vor allem in der 24-stündigen Berichterstattung im US-amerikanischen Fernsehen allgegenwärtig. Mittlerweile sind über 55 Todesopfer im Zusammenhang mit dem Hurrikan Sandy zu beklagen, darunter auch Kinder. Das Fernsehen zeigt laufend noch nicht gesehenes Bildmaterial von der unvorstellbaren Zerstörung. So hat Sandy ganze Kleinstädte zerstört und die Existenz von vielen Amerikanerinnen und Amerikanern innerhalb von einer Nacht vernichtet.

Alltägliches wird zu Grundlegendem

Wir erlebten die Tage des Sturmes glücklicherweise nur zu Beginn hautnah mit. Nachdem wir am Samstagabend in unser Hotel in «Downtown» New York zurückkehrten, wurden wir am Hoteleingang darauf aufmerksam gemacht, dass wir noch zwei Stunden Zeit hätten, bis wir das Hotel verlassen müssen, da das gesamte Gebäude evakuiert wird. Glücklicherweise wurde uns sofort ein anderes Hotelzimmer in «Uptown» zur Verfügung gestellt. Noch kurz konnten wir auf dem Weg zum neuen Hotel Wasser und einige Nahrungsmittel einkaufen, so dass wir im Falle eines Stromausfalls oder gar der trinkbaren Wasserversorgung problemlos die folgenden Stunden und Tage überstehen würden.

Die nächsten 48 Stunden verbrachten wir gezwungenermassen im Hotel und verfolgten dabei laufend die Berichterstattung am Fernseher mit. Der Bericht über die Evakuierung von zwei Häuserblocks aufgrund eines möglichen Absturzes eines Baukrans betraf uns glücklicherweise nur knapp nicht. Die ständige Unsicherheit, ob man in der kommenden Stunde wieder das Hotel verlassen muss, lässt einen nie wirklich zur Ruhe kommen. Allgegenwärtig ist auch die Frage, ob in der nächsten Stunde nicht der Strom ausfällt. Wir versuchten deshalb, ständig Handys und Notebook voll zu laden. Es sind Sorgen, die man sich im gewohnten Alltag nicht machen muss, aber genau in solchen Umständen absolut grundlegend werden.

Zwei Tage nach dem Hurrikan Sandy scheint in New York wieder die Sonne. Es könnte ein ganz normales Halloween-Fest sein, wenn da nicht die unbeschreibliche Zerstörung wäre. Der Weg zurück zur Normalität wurde eingeleitet. Die Behörden arbeiten mit Hochdruck daran, die Stromversorgung wieder herzustellen und den öffentlichen Verkehr, welcher in normalen Zeiten täglich über sieben Millionen Menschen transportiert, wieder aufzunehmen. Schliesslich sollen auch die Schulen in den kommenden Tagen wieder öffnen und so auch für Kinder und Jugendliche den Alltag zurückzubringen. Die betroffene Region ist in den letzten Tagen näher zusammengerückt. Die Hilfsbereitschaft ist wahrlich vorbildlich. Mit diesem Zusammenhalt wird New York den Wiederaufbau schaffen und gestärkt aus diesen schwierigen Tagen hervorgehen.

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