Im Osten der Ukraine hält die Waffenruhe weitgehend, dafür bricht nun ein Konflikt auf, vor dem Experten immer gewarnt haben: Die Oligarchen wehren sich gegen eine Eindämmung ihres Einflusses.
In der Nacht zu Mittwoch hat Petro Poroschenko einen Machtkampf entschieden, der die Ukraine seit Tagen in Atem hielt: Der ukrainische Präsident gab die Entlassung von Igor Kolomojski, Gouverneur der ostukrainischen Region Dnepropetrowsk, bekannt. Der Oligarch hat verloren. Fürs Erste.
Es war Sonntagabend, da warf Kolomojski dem ukrainischen Präsidenten im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt den Fehdehandschuh hin. 30 maskierte Männer ohne Abzeichen, mit Maschinengewehren bewaffnet, stürmten da die Zentrale des Öl- und Gasförderers «Ukrnafta», dann errichteten Handwerker ein massives Metallgitter vor dem Eingang.
Die Stabilität des Staates steht auf dem Spiel
Als später in der Nacht der sichtlich gut gelaunte Kolomojski selbst auftaucht und den Journalisten erklärt, dass er das Unternehmen auf diese Weise vor einer drohenden Übernahme durch seine Konkurrenten schütze, die Teil des organisierten Verbrechens seien, sind die letzten Zweifel beseitigt – der Kampf der Oligarchen um ihren Einfluss ist in der Ukraine offen ausgebrochen. Und wenn Leute wie Kolomojski ihre privaten Interessen mitmilfe bewaffneter Sturmtrupps im Zentrum Kiews verteidigen, steht nicht weniger als die Stabilität des Staates auf dem Spiel.
Grund für Kolomojskis Vabanque-Spiel ist ein Gesetz, welches das ukrainische Parlament in der vergangenen Woche erliess und das ganz im Sinne der westlichen Geldgeber für mehr Transparenz sorgen soll: Es erlaubt, Aktionärsversammlungen auch unter Beteiligung von 50 Prozent der Aktionäre abzuhalten und nicht mehr bei einem Quorum von 60 Prozent. Das Gesetz ist zweifellos eine «Lex Kolomojski»: Denn mit seinem Anteil von 42 konnte der Oligarch bislang nicht nur den eigentlich mehrheitlich staatlichen Ölproduzenten «Ukrnafta» kontrollieren, sondern einen Grossteil der ukrainischen Ölförderung und -verarbeitung. Sowohl bei «Ukrnafta» als auch beim 100 Prozent staatlichen «Ukrtransnafta», das die Ölpipelines des Landes kontrolliert, sass bislang ein dem Oligarchen treu ergebenes Management.
Unter Polizeischutz: Der Hauptsitz von «Ukrtransnafta». (Bild: VALENTYN OGIRENKO)
Imperien geraten ins Wanken
Als der Aufsichtsrat in der vergangenen Woche den Direktor von «Ukrtransnafta» absetzte, setzte Kolomojski zum ersten Mal seinen Sturmtrupp ein. Der Konflikt schien nach einem Treffen mit Präsident Poroschenko jedoch gelöst – Kolomojski gab sich damit zufrieden, dass ein ausländischer Wirtschaftsprüfer aus der Reihe der «Big Four» die Geschäfte des Unternehmens überprüfen werde – und nicht der neue Generaldirektor.
Warum der Konflikt gerade in der Ölbranche aufgebrochen ist, erklärt der Politologe Jurij Romanenko: «Die Ressourcen der Oligarchen schwinden, damit verstärkt sich der Kampf der Oligarchen um jene Bereiche, in denen leicht Kapital zu verdienen ist.» Zudem fürchteten Oligarchen wie Kolomojski, dass der Kontrollverlust über einen Bereich ihre Imperien insgesamt zum Wanken bringt.
Dabei gehört die Entflechtung des undurchsichtigen ukrainischen Energiesektors zu den wichtigsten Forderungen der westlichen Geldgeber. Insbesondere das Staatsunternehmen «Naftogas», zu dem auch die beiden nun umstrittenen Tochterunternehmen gehören, ist für die Ukraine ein Fass ohne Boden: Im vergangenen Jahr musste der Staat das Unternehmen mit acht Milliarden Dollar subventionieren.
Die Interessen der USA
In den innerukrainischen Streit mischen sich sogar die USA ein: Botschafter Geoffrey Pyatt traf sich nach der Besetzung von «Ukrtransnafta» mit Kolomojski und erklärte nach dem Treffen, er hoffe, dass der Oligarch und die anderen Mitglieder der Elite verstünden, dass die «Gesetze des Dschungels» aus der Zeit von Janukowitsch in die Katastrophe führen. Keine 48 Stunden später besetzten Kolomojski Leute die Zentrale von «Ukrnafta.»
Kolomojski ist nicht der einzige Oligarch des Landes, aber bislang schien er wie der absolute Gewinner unter ihnen. Manchen Beobachtern galt er gar als unantastbar, weil er das Land im Osten gegen die Separatisten verteidigt.
Igor Kolomoisky, Milliardär und der mächtigste Oligarch – bisher. (Bild: VALENTYN OGIRENKO)
Die anderen Oligarchen dagegen sind im vergangenen Jahr tief gefallen. Rinat Achmetow, immer noch der reichste Ukrainer, hat mit dem Zusammenbruch der von ihm finanzierten «Partei der Regionen» seinen politischen Einfluss und mit der Abspaltung der «Volksrepubliken» die Kontrolle über seine wichtigsten Aktiva verloren. Dmitri Firtasch, eine Schlüsselfigur in den ukrainisch-russischen Beziehungen und im ukrainischen Gassektor, sitzt seit letztem Frühjahr in Wien fest, von wo ihm die Auslieferung an die USA droht.
Derzeit versucht er, sich mit seiner «Agentur zur Modernisierung der Ukraine» zu rehabilitieren, an der als Berater europäische Elder Statesmen wie Peer Steinbrück beteiligt sind. Und der Röhrenproduzent Viktor Pintschuk, Schwiegersohn des Ex-Präsidenten Kutschma, hat durch die Krise mit Russland seinen wichtigsten Kunden verloren. Zudem kämpft Pintschuk derzeit vor einem Londoner Gericht mit Kolomojski um die Besitzrechte an einem ukrainischen Bergwerk. Bei dem Streit geht es um Aktiva in Höhe von bis zu zwei Milliarden Dollar.
Ein Zusammenbruch wäre gefährlich für das Land
Wie schwierig es sein kann, die Macht der ukrainischen Oligarchen zu brechen, zeigt sich am Beispiel von Kolomojski: Mit knapp zwei Milliarden Dollar (laut «Forbes») ist er nicht nur einer der reichsten Männer des Landes. Seine Bank «Privat» ist die grösste des Landes, ein Zusammenbruch würde den gesamten Bankensektor zerstören. Seit dem Sturz von Janukowitsch hat sich Kolomojski zudem bedeutendes politisches Kapital erarbeitet: Er liess sich von der Übergangsregierung zum Gouverneur seiner Heimatregion Dnepropetrowsk ernennen und verhinderte eine Ausbreitung der Separatisten aus dem benachbarten Donbass in südlicher und westlicher Richtung.
De facto kontrollierte Kolomojski bis zu seiner Entlassung neben seinem eigenen Gebiet auch die benachbarten Gebiete Odessa und Saporoschje. Mit der Aufstellung eigener Freiwilligenbataillone wie «Dnepr-1» nach dem Beginn der separatistischen Bewegung im Osten des Landes schuf Kolomojskij sich eine Privatarmee, die er gegen die Separatisten einsetzt, die aber – wovor Beobachter immer wieder gewarnt hatten – auch für eigene Interessen im Rest des Landes zum Einsatz kommen könnte. Genau dies ist jetzt offenbar geschehen: Auf die Frage, wer sie seien, antwortete der Kommandeur der Bewaffneten vor der «Ukrnafta»-Zentrale: «Dnepr-1».
Auch die direkte Macht der Oligarchen über Abgeordnete, ein Markenzeichen der postsowjetischen Ukraine, ist offenbar ungebrochen: Am Tag nach dem Konflikt um «Ukrnafta» verliessen vier offenbar von Kolomojski kontrollierte Abgeordnete aus Protest die Parlamentsfraktion des Präsidenten. In Dnepropetrowsk riefen sie zu einer «Volksversammlung» für den kommenden Samstag auf. Kolomojskis Stellvertreter Gennadij Korban drohte derweil unverhohlen mit einem Marsch auf Kiew: In Kiew sässen «Diebe», und es sei an der Zeit, dort für Ordnung zu sorgen.
Politologe Romanenko sieht in der Entlassung Kolomojskis einen taktischen Rückzug. Er rechnet mit Versuchen Kolomojskis, die politische Situation zu destabilisieren: «Die nächsten anderthalb Monate werden entscheidend sein für die Macht Poroschenkos.»