Der Neat-Ausbau ist gefährdet

Heissen die Stimmbürger das Milliardenprojekt von Stuttgart 21 gut, droht eine Verzögerung beim Ausbau der Neatzubringerstrecke nördlich von Basel.

(Bild: Keystone)

Bei einem Ja zu Stuttgart 21 droht der Schweiz Ungemach.

Selten weichen Antworten so stark ab, wie auf die Frage, ob ein Ja zum Grossprojekt Stuttgart 21 die Zubringerstrecke zur Neat von Karlsruhe bis zur Schweizer Grenze verzögere. Läuft das Aufnahmegerät, ist die Antwort von offizieller Seite stets dieselbe: Stuttgart 21 und das Ausbauprojekt hätten nichts miteinander zu tun. «Wir zählen darauf, dass Deutschland die Neat-­Zubringer­strecke am Oberrhein ausbauen wird – unabhängig davon, wie es mit dem Projekt Suttgart 21 weitergeht», antwortet etwa das Bundesamt für Verkehr. Schliesslich habe sich Deutschland mit ­einem Staatsvertrag im Jahr 1996 zu diesem Ausbau verpflichtet.­

Doch sobald das Aufnahmegerät abgeschaltet ist, melden die Experten plötzlich ihre Zweifel an. Denn Stuttgart 21, über das am 27. November abgestimmt wird, ist teuer. Budgetierte Kosten: über vier Milliarden Euro. Und die Gelder für neue Infrastrukturbauten für die Bahn sind in Deutschland hart umkämpft, vor allem aber knapp.

Wie knapp zeigt eine neue Studie der Allianz pro Schiene in Zusammenarbeit mit der deutschen Beratungsfirma SCI Verkehr. Deutschland investiert in die Infrastruktur der Schiene nicht einmal einen Fünftel gemessen an den Investi­tionen der Schweiz. Im europäischen Vergleich lag Deutschland im Jahr 2010 mit Ausgaben von 53 Euro pro Kopf weit hinten. Sogar Spanien, Italien und Frankreich geben pro Kopf rund doppelt so viel aus für ihre Schieneninfrastruktur. Vergleicht man die Wirtschaftskraft der Länder mit den getätigten Investitionen fällt Deutschland weiter zurück, landet noch knapp vor der Türkei.

Genau hier liegt das Problem, sagt Franz Schmider, Redaktor bei der «Badischen Zeitung». Die Mittel sind dermassen knapp, dass ein Grossprojekt wie Stuttgart 21 sich auch auf den Neatzubringer auswirken wird. Die Strecke von Karlsruhe nach Basel ist zwar teilweise schon ausgebaut, doch jetzt ist der Ausbau ins Stocken geraten. Heftiger Widerstand der Bevölkerung blockiert die Planer. «In der Schweiz wird immer wieder behauptet, die Anwohner seien grundsätzlich gegen den Ausbau. Das stimmt nicht. Sie wehren sich nur gegen die geplante billige Variante, die sie kaum vor Lärm schützen würde», sagt Journalist Franz Schmider.

Engpässe sind programmiert

Doch wenn die Bahn und der Staat den Forderungen der Anwohnerinnen und Anwohner Rechnung tragen, verteuert sich der Ausbau der vier Spuren. Dank vier Spuren lässt sich der langsamere ­S-Bahn- und Güterverkehr von den schnellen Reisezüge trennen, was die Kapazität enorm steigert. Dann bremst kein langsamer Güterzug mehr einen schnellen ICE, der hinterherfährt.

Der Basler Verkehrsplaner Stephan Maurer warnt davor, den Schwarzen ­Peter in Sachen Neat-Zubringer jetzt den Deutschen zuzuschieben. «Wir haben unsere Hausaufgaben auch nicht gemacht. Von der deutschen Landesgrenze bis zum Norportal des neuen Gotthardtunnels in Erstfeld haben wir noch zahlreiche Engpässe. Diese müssten wir ­dringend ausbauen, wenn wir die Neat auslasten wollen.» Stuttgart 21 hin oder her.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25/11/11

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