Der Präsident geht

Der libysche Parlamentspräsident hat diese Woche seinen Rücktritt erklärt. Er zog damit die Konsequenzen aus einem Gesetz, das alle hohen Funktionäre der Gaddhafi-Ära von politischen Ämtern ausschliesst.

Opfer eines umstrittenen Gesetzes: Mohammed Magarief, Parlamentspräsident in Libyen, tritt zurück. (Bild: Keystone)

Der libysche Parlamentspräsident hat diese Woche seinen Rücktritt erklärt. Er zog damit die Konsequenzen aus einem Gesetz, das alle hohen Funktionäre der Gaddhafi-Ära von politischen Ämtern ausschliesst.

Mit stehenden Ovationen reagierten die Abgeordneten des libyschen Nationalkongresses auf die Rücktrittsankündigung ihres Präsidenten. In einer vom Fernsehen übertragenen Rede hatte Mohammed Magarief am Dienstagabend sein Amt niedergelegt. Er befolgte damit ein Gesetz, das die Kammer am 5. Mai verabschiedet hatte. Es schliesst alle höheren Funktionäre der 42 Gaddhafi-Jahre von politischen und staatlichen Ämtern aus. Ausnahmen gibt es keine, auch nicht für Persönlichkeiten wie Magarief, der 30 Jahre im Exil lebte und zu den verfolgten Gründungsmitgliedern der Exil-Opposition gehörte. Der in England ausgebildete Ökonom aus Benghazi war in den frühen 80er-Jahren Botschafter in Indien; ein eindeutiges Ausschlusskriterium im Gesetz über die politische Isolation.

Parallelen zum Irak

Er respektiere das Gesetz erklärte er, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es unter Androhung von Waffengewalt zustande gekommen war. Bewaffnete Milizen hatten während Tagen mehrere Ministerien besetzt gehalten, um sicher zu stellen, dass keine Ausnahmen beschlossen werden. Und er vergass auch nicht zu erwähnen, dass Verbindungen zwischen mehreren Abgeordneten und diesen Milizen bestanden. Eine Nation, die die Opfer ihrer Kinder nicht anerkenne, praktiziere kollektive Ungerechtigkeit, sagte der Parlamentspräsident, der auch die Funktion eines Interimspräsidenten inne hatte, nach seinem Rücktritt. Bis zur Wahl eines Nachfolgers wird sein erster Stellvertreter, Juma Attaiga, dem Nationalkongress vorstehen.

«Die Revolution frisst ihre nationalen Symbole» lautete einer der vielen Kommentare im Internet. Die Auswirkungen des Gesetzes, das offiziell am 5. Juni in Kraft tritt, auf die im Aufbau begriffenen neuen staatlichen und politischen Institutionen wird massiv sein. Sie könnten von erfahrenen Leuten entleert werden, die kaum zu ersetzen seien, warnte Tarek Mitri, der Leiter der UN-Mission in Libyen. Klar ist auch bereits, dass es Unstimmigkeiten über eine ganze Reihe von Funktionären geben wird, ob sie nun betroffen sind oder nicht. Die genauen Kriterien der Umsetzung müssen erst noch von einer Kommission ausgearbeitet werden. Das libysche Isolationsgesetz drängt Parallelen zum Ent-Baathifizierungsgesetz im Irak auf, das zum Kollaps von vielen staatlichen Funktionen führte. Die Auswirkungen sind auch nach zehn Jahren noch zu spüren.

Nationale und internationale Bedenken

In Libyen wird die gesamte neue Machtpyramide erschüttert. Neben dem Parlamentspräsidenten werden mindestens zwei Dutzend  der 200 Abgeordneten und mehrere Minister vom neuen Gesetz betroffen sein. Der liberale Politiker Mahmoud Jibril nannte die Zahl von einer halben Million Personen, die von dem Bann getroffen werden könnten. Die Rebellen hatten das Gesetz mit dem Argument verlangt, das neue Libyen brauche neue Gesichter und neue Mechanismen. Im Parlament könnten als Nachrückende für die vakanten Plätze vor allem die Islamisten profitieren, die bei den Wahlen schlecht abgeschnitten hatten. Sie waren denn auch die vehementesten Befürworter des Gesetzes gewesen. Der Sprecher des Parlamentes hatte sogar eingeräumt, dass es zu Ungerechtigkeiten führen werde und betont, dass es sich um einen politischen Bann und nicht um eine Kriminalisierung der betroffenen Personen handle.

Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen hatten das Gesetz scharf kritisiert. Es werde nicht das gewünschte Resultat bringen und das Land in eine sinnlose Krise stürzen, hatte das libysche Observatorium für Menschenrechte gewarnt. Human Rights Watch befand, es sei diskriminierend und enthalte ungerechte Restriktionen. Das Recht der Betroffenen gehört zu werden, sei nicht garantiert und es verletzte internationale Menschenrechtsverpflichtungen, die Libyen eingegangen sei, kritisierte die internationale Menschenrechtorganisation.

Nächster Artikel