Die anstehenden Beratungen über die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative und den neuen Finanzausgleich werden einmal mehr zum grossen Seilziehen zwischen den Kantonen.
Wahrscheinlich haben Menschen auch aus der Basler Region in den vergangenen Wochen Erholung und Ausgleich in der Bergen gesucht. In Zweitwohnungen, so sie welche haben, oder in Mietwohnungen oder Hotels.
Das Verhältnis zwischen der sogenannten «Berg-Schweiz» und der sogenannten «Flachland-Schweiz» wird in der kommenden März-Session in zwei wichtigen Geschäften behandelt. Zum einen geht es um die Verabschiedung der Umsetzung der Zweitwohnungs-Initiative, zum anderen um die Reform des interkantonalen Finanzausgleichs (NFA).
Vor drei Jahren, im März 2012, hat eine knappe Volksmehrheit von 50,6 Prozent leicht überraschend die Zweitwohnungs-Initiative angenommen. Bundesrätin Doris Leuthard sprach von einem Alpengraben.
Inzwischen haben sich die damaligen Verlierer mit viel Energie und Geschick im Umsetzungsprozess dafür eingesetzt, dem ungeliebten und als verheerend bezeichneten Volksentscheid, wie man so sagt, die Zähne zu ziehen.
Diesem Volksverdikt folgt keine Androhung einer Durchsetzungsinitiative, wie man sie neuerdings bei Initiativen der rechtsnationalen Kräfte serviert bekommt. Das Komitee der Zweitwohnungs-Initiative um Franz Weber behält sich lediglich vor, das Referendum zu ergreifen, sollte die Umsetzung ihres Anliegens auf Gesetzesebene weiter verwässert werden. Die Hauptbestimmung der angenommenen Initiative will bekanntlich ein Verbot des Baus neuer Zweitwohnungen in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent.
Gemeindefusion als Umgehungstaktik
Zur Umgehung des Verbots ist bereits geprüft worden, ob sich Gemeinden mit über 20 Prozent mit Kommunen zusammenlegen könnten, die weniger als 20 Prozent haben. Solche Fusionen sind kompliziert und würden dauern. Doch allein ihre öffentliche Erwägung zeigt, wie wenig ernst der Entscheid von März 2012 genommen wird.
Auch die Materie selbst bietet leicht die Möglichkeit der Verwässerung oder, anders gesagt, des Kompromisses und Kuhhandels. Diese Möglichkeit ist in letzter Zeit auch eifrig genutzt worden.
Da geht es etwa um den Weiterverkauf von altrechtlichen Zweitwohnungen an neue Eigentümer, da geht es um Neuwohnungen innerhalb «erhaltenswerter» Gebäude, da geht es um die Bewirtschaftung von Zweitwohnungen durch echte oder fingierte Vermietungsangebote, um den Bau neuer, nicht bewirtschafteter Zweitwohnungen im Verbund mit Hotels und so weiter.
Dass überhaupt «Schlupflöcher» existieren, wird nun nicht den Nutzern, sondern den unpräzisen Formulierungen der Initiative zur Last gelegt. Ein Zeitungskommentar in der NZZ spricht von «Lehrstück Zweitwohnungen». Doch was lehrt es uns?
«Reiche» Städte, «arme» Peripherie
Es lehrt uns, dass es vor allem um das Immobiliengeschäft geht und um eingegangene Schulden auf potenzielles Bauland, das jetzt nicht mehr den gleichen Wert haben könnte. Als starkes Argument wird auch die Erhaltung von Arbeitsplätzen ins Feld geführt, auch wenn man mit dem Import von Fertigbauteilen das lokale Handwerk unberücksichtigt lässt. Umgekehrt geht es um Landschaftsschutz, ein Anliegen, das seit Jahrzehnten mit unumkehrbaren Folgen stets missachtet wird.
Schliesslich geht es um die grosse Frage, wer in der Schweiz zu welchen Teilen der Schweiz etwas zu sagen hat. Vereinfacht gesagt stehen sich dabei die tendenziell einkommensstarken in den Siedlungskernen wohnhaften Städter, die sich ein möglichst unverbautes Urlaubsreservat (wohlgemerkt mit den nötigen Unterkünften) erhalten möchten, und die Leute, die sich in der wirtschaftlich schwacheren Peripherie Existenzmöglichkeiten erhalten wollen, gegenüber.
Diese Gegenüberstellung ist rührend, muss aber stark relativiert werden, denn in der «armen» Peripherie gibt es eine finanzstarke Oberschicht, die das Spiel macht, und in den «reichen» Städten nicht wenige Menschen, die zu den Ohnmächtigen zählen.
Kuhhandel: Es ist schon erstaunlich, wann die helvetische Tugend der Kompromissfindung angerufen wird und wann nicht, und wie man je nach Lage à la carte kompromissbereit und stur sein kann. Gemäss der Ausschaffungs-Initiative auch von kleinkriminellen Ausländern soll es kein Pardon geben und auch bei der Masseneinwanderungs-Initiative wird erwartet, dass sie absolut wortgetreu umgesetzt wird.
Bei der Umsetzung der Immigrations-Initiative kommt mit der Festlegung von Menschenkontingenten bereits wieder der Kuhhandel ins Spiel: Welche Region und welche Branche sollen wie viel nichtschweizerische Arbeitskräfte beziehen dürfen? Prinzipien sind da sekundär. Und verwalten soll das alles eine Bürokratie, die man sonst gerne verteufelt.
«Griechisches Faulenzertum» in Bern
Gegen aussen ist der Kuhhandel indessen schwieriger. Da werden die Prinzipien wichtiger und auch von den Initianten der Masseneinwanderungs-Initiative unter Berufung auf den heiligen Volksentscheid bewusst stark betont. Dies in der Meinung, die Gegenseite solle ihre Prinzipien, vor allem dasjenige der Personenfreizügigkeit, relativieren.
Das Spiel des Kuhhandels mit der EU wird kaum funktionieren. Wer an ihrem Markt partizipieren will, muss das nach ihren Prinzipien tun. Analog zu einer prinzipiellen Regelung, welche die Schweiz unter ihren kantonalen Teilstaaten schon 1848 eingeführt hat.
Ein anderes Prinzip ist dasjenige des Finanzausgleichs, ob zwischen Gemeinden, Kantonen, Ländern oder Nationalstaaten. Da besteht eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit zwischen der Schweiz und der EU – mit dem Unterschied allerdings, dass die Schweiz tendenziell ihre Vorstellung von Schicksalsgemeinschaft auf ihre Kantone beschränkt und die EU sie auf die Staaten ausgedehnt hat.
Beim Finanzausgleich gibt es in der konkreten Ausgestaltung je nach Entwicklung der Verhältnisse durchaus Anpassungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten. Da wird gestritten und gehandelt und muss auf dem Boden des nicht infrage gestellten Prinzips ein Konsens zwischen Gebern und Nehmern gefunden werden.
Beide Seiten sind in das gleiche System eingebunden. Den Gebern steht ihre Finanzkraft, den Nehmern ihre politische Stimmkraft zur Verfügung. Auf der Geberseite gibt es Zürcher SVP-Stimmen, die den Bernern, welche aus strukturellen Gründen die grössten Ausgleichsbezüger sind, «griechisches Faulenzertum» vorwerfen. Wie das wohl bei der Berner SVP angekommen ist?
Auch aus der Sicht des Kantons Basel-Stadt kann es nur schwer einleuchten, dass man Kantone wie Obwalden unterstützen soll, die ihrerseits mit Steuergeschenken Grossvermögende anlocken und diese dann in ungenügendem Mass zur eigenen Kasse bitten. Im vergangenen Jahr hatten 13 von 16 Nehmerkantonen attraktivere Steuerbedingungen als der Durchschnitt der Geberkantone.
Kompromisssuche im Rahmen der Prinzipen
Die Geber, allen voran der Kanton Zug, der früher selbst einmal zum Nehmerlager gehörte, drohen jetzt mit «zivilem Ungehorsam» und wollen ihre Transferleistungen auf ein Sperrkonto einbezahlen.
Auf der Seite der Nehmerkantone muss man sich überlegen, wie weit man den Geberkantonen entgegenkommen soll. Auch hier geht es um Kompromiss und Kuhhandel, aber innerhalb eines nicht infrage gestellten Prinzips.
In der bevorstehenden Frühjahrssession ist der Nationalrat an der Reihe. Im Gegensatz zur Ständekammer, in der die Nehmerkantone stark sind, wird die Volkskammer für eine Reduktion der Geberleistungen votieren. Dann setzt zwischen beiden Kammern das Differenzbereinigungs-Verfahren ein. Wieder Kompromisssuche – und etwas, das, wenn man es bei der EU sieht, gerne als ewigen Streit und niederes Gefeilsche abtut.
Eine begrüssenswerte Neuerung zeigt sich allerdings im Streit um den eidgenössischen Ressourcenausgleich: Aus dem Bundes-Topf, der für Ausgleichszahlungen ebenfalls zur Verfügung steht, sollen neuerdings gegen 200 Millionen Franken an Kernstädte gehen, die mit besonderen Zentrums- und Sozialkosten besonders belastet sind.