Diese Woche ist Glenn Greenwalds Buch «Die globale Überwachung» (Original: «No Place to Hide») über den NSA-Whistleblower Edward Snowden erschienen. In diesem Buchauszug beschreibt Greenwald den Tag, an dem Snowdens Tarnung aufflog und seit dem die ganze Welt seinen Namen kennt.
Am Donnerstag, den 6. Juni, fünf Tage nach meiner Ankunft in Hongkong, erwartete mich Edward Snowden mit einer «ein wenig beunruhigenden» Nachricht, wie er sagte, als ich in sein Hotelzimmer kam. Eine mit dem Internet verbundene Sicherheitsvorrichtung an dem Haus in Hawaii, in dem er mit seiner langjährigen Freundin gewohnt hatte, hatte zwei Personen von der NSA erfasst – einen Personalbetreuer und einen NSA-«Polizeibeamten» –, die auf der Suche nach ihm dort aufgetaucht waren.
Das bedeute mit ziemlicher Sicherheit, meinte Snowden, dass die NSA ihn als mutmassliche Quelle der Enthüllungen identifiziert hatte. Ich war jedoch skeptisch. «Wenn sie davon ausgingen, würden sie eine Horde FBI-Agenten mit einem Durchsuchungsbefehl und wahrscheinlich mehrere Sondereinsatzkommandos losschicken, keinen einzelnen NSA-Beamten in Begleitung eines Personalbetreuers.» Ich nahm an, dass es sich um eine automatisch erfolgende Routinekontrolle handelte, die veranlasst wird, wenn ein NSA-Mitarbeiter mehrere Wochen ohne Erklärung seinem Arbeitsplatz fernbleibt. Aber Snowden meinte, man wäre vielleicht betont unauffällig vorgegangen, um nicht die Aufmerksamkeit der Medien zu erregen, oder es sei ein Versuch gewesen, Beweismittel verschwinden zu lassen.
Was auch immer dieser Vorfall bedeutete, er unterstrich auf jeden Fall die Notwendigkeit, rasch unsere Artikel und das Video fertig zu machen, in dem Snowden sich als der Informant outete. Die Welt sollte zuallererst von Snowden selbst erfahren, was er getan hatte und warum, und nicht durch eine von der amerikanischen Regierung initiierte Diffamierungskampagne, während er sich versteckt hielt oder sich in Haft befand und nicht für sich selbst sprechen konnte.
Geplant waren noch zwei weitere Artikel im Guardian; danach wollten wir einen langen Artikel über Snowden zusammen mit einem auf Video aufgezeichneten Interview veröffentlichen, ausserdem ein gedrucktes Interview.
Das Versteckspiel
Die zwei vorangehenden Tage hatte Laura Poitras damit zugebracht, das Filmmaterial von meinem ersten Interview mit Snowden zu bearbeiten, aber sie meinte, es sei zu lang, zu detailliert und zu bruchstückhaft und daher ungeeignet. Deshalb wollte sie sofort ein neues Interview mit ihm filmen und schrieb eine Liste mit etwa zwanzig gezielten Fragen, die ich ihm stellen sollte. Ich ergänzte noch ein paar eigene, während Laura ihre Kamera aufbaute und uns anwies, wo wir sitzen sollten.
«Ähm, ich heisse Edward Snowden», beginnt der inzwischen berühmte Film. «Ich bin 29 Jahre alt. Ich arbeite für Booz Allen Hamilton als Infrastrukturanalytiker bei der NSA in Hawaii.»
Anschliessend beantwortete Snowden klar, ruhig und rational jede unserer Fragen: Warum hatte er sich entschlossen, diese Dokumente an die Öffentlichkeit zu bringen? Warum war das für ihn so wichtig, dass er dafür seine Freiheit opferte? Was waren die wichtigsten Enthüllungen? Wurde mit diesen Dokumenten etwas Kriminelles oder Illegales aufgedeckt? Was, glaubte er, würde mit ihm passieren?
Als er Beispiele für die illegalen, die Privatsphäre verletzenden Überwachungsmethoden nannte, wurde er lebhafter und leidenschaftlicher. Doch erst als ich ihn fragte, ob er mit Konsequenzen rechnete, merkte man ihm seine Besorgnis an, denn er fürchtete, die Regierung könnte an seiner Familie oder seiner Freundin Vergeltung üben. Er vermeide den Kontakt mit ihnen, um das Risiko zu verringern, sagte er, doch er wisse, dass er sie nicht wirklich schützen könne. «Das ist etwas, was mir nachts den Schlaf raubt – was mit ihnen geschehen wird», sagte er, den Tränen nahe. So hatte ich ihn in den Tagen zuvor noch nicht erlebt.
Die entspannte Atmosphäre der letzten Tage wich einer spürbaren Beklemmung: Es blieben nur noch 24 Stunden bis zur Bekanntgabe von Snowdens Identität, und wir wussten, dass danach alles anders sein würde – vor allem für ihn. Wir drei hatten eine kurze, aber ausserordentlich intensive und erfreuliche Zeit miteinander verbracht. Einer von uns, Snowden, würde die Gruppe bald verlassen und wahrscheinlich für lange Zeit ins Gefängnis gehen – eine Tatsache, die von Anfang an wie ein Schatten über allem gelegen hatte, zumindest für mich. Nur Snowden schien es nicht sonderlich berührt zu haben. Jetzt flüchteten wir alle in Galgenhumor.
«Ich kriege eine Koje in Guantánamo», witzelte Snowden, wenn er über die nahe Zukunft redete. Und wenn wir über die nächsten Artikel sprachen, die wir veröffentlichen wollten, sagte er Dinge wie: «Das kommt in die Anklageschrift. Die Frage ist nur, ob in ihre oder meine.» Meistens blieb er unfassbar gelassen. Selbst jetzt, da seine Zeit in Freiheit ablief, ging er immer noch um 22.30 Uhr zu Bett, wie jeden Abend, seit ich mich in Hongkong aufhielt. Während ich kaum zwei Stunden unruhigen Schlaf fand, blieb er unbeirrbar bei seinem Schlafrhythmus. «Also, ich haue mich in die Falle», verkündete er lässig jeden Abend, ehe er sich zurückzog. Nach siebeneinhalb Stunden gesundem Schlaf erschien er am nächsten Tag wieder, ausgeruht und munter. Als wir ihn fragten, wie er unter diesen Umständen so gut schlafen könne, erwiderte Snowden, er sei vollkommen im Reinen mit dem, was er getan hatte, und habe deshalb auch nachts keine Schlafschwierigkeiten. «Bald werde ich vermutlich kein so angenehmes Kissen mehr haben», scherzte er, «also sollte ich es noch ausgiebig geniessen.»
Das Outing
Am Sonntag, den 9. Juni, um 14 Uhr Ostküstenzeit, veröffentlichte der Guardian die Story, mit der Edward Snowden weltbekannt werden sollte: «Edward Snowden: der Whistleblower hinter den Enthüllungen der NSA-Überwachung». Am Anfang des Artikels verwiesen wir auf Lauras zwölfminütiges Video, und der erste Satz lautete dann: «Der Mensch, der für eine der bedeutendsten Enthüllungen in der politischen Geschichte der USA verantwortlich ist, heisst Edward Snowden. Er ist 29 Jahre alt, ehemaliger technischer Assistent bei der CIA und derzeit angestellt beim Technologieberater Booz Allen Hamilton.» Im Weiteren berichteten wir über Snowdens Geschichte und seine Beweggründe und erklärten: «Snowden wird als einer der wichtigsten Whistleblower Amerikas in die Geschichte eingehen und in einem Atemzug mit Daniel Ellsberg und Bradley Manning genannt werden.» Wir zitierten aus einer früheren Nachricht von Snowden an mich und Laura: «Mir ist klar, dass ich durch mein Handeln schmerzliche Konsequenzen zu tragen haben werde […] Aber wenn nur für einen Augenblick offengelegt wird, welches Konglomerat aus geheimen Absprachen, willkürlich gewährter Straffreiheit und überbordender Exekutivbefugnisse die Welt, die ich liebe, beherrscht, dann bin ich zufrieden.»
Die Reaktionen auf den Artikel und das Video waren überwältigend. Am nächsten Tag meldete sich Ellsberg persönlich im Guardian zu Wort und erklärte: «In der amerikanischen Geschichte hat es keine bedeutendere Enthüllung gegeben als das von Edward Snowden veröffentlichte NSA-Material – und das schliesst die Pentagon-Papiere von vor vierzig Jahren definitiv mit ein.»
Allein in den ersten Tagen wurde in Hunderttausenden von Facebook-Accounts auf den Artikel verlinkt. Fast drei Millionen Menschen sahen sich das Video auf YouTube an und noch viel mehr auf der Website des Guardian. In fast allen Reaktionen kam das Entsetzen der Menschen zum Ausdruck, viele fühlten sich aber auch durch Snowdens Mut inspiriert.
Laura, Snowden und ich verfolgten gemeinsam das Medienecho nach seinem Outing; zugleich diskutierte ich mit zwei Medienstrategen des Guardian, welche Fernsehinterviews ich am Montagmorgen geben sollte. Wir einigten uns auf Morning Joe bei MSNBC und anschliessend die Today Show auf NBC – die beiden frühesten Magazinsendungen, die dann die Berichterstattung über Snowden für diesen Tag prägen würden.
Doch bevor ich diese Interviews geben konnte, rief mich um 5 Uhr morgens einer meiner langjährigen Leser an, der in Hongkong lebt und mit mir in dieser Woche kurz Verbindung aufgenommen hatte. Bald werde die ganze Welt in Hongkong nach Snowden suchen, meinte er, und deshalb sei es äusserst wichtig, dass Snowden Anwälte mit guten Beziehungen hier vor Ort hätte. Er habe zwei der besten Anwälte für Menschenrechtsfragen an der Hand, die bereit seien, ihn zu vertreten. Ob er mit den beiden jetzt gleich zu mir in mein Hotel kommen könne? Wir vereinbarten ein Treffen um 8 Uhr. Ich schlief dann eine Weile, bis er mich etwa eine Stunde vor dem Treffen erneut anrief.
«Wir sind bereits hier, unten am Empfang», sagte er. «Ich habe die beiden Anwälte dabei. Im Foyer wimmelt es von Journalisten und Fotografen. Die Medien sind auf der Suche nach Snowdens Hotel. Es wird nicht lange dauern, bis sie es gefunden haben, und die Anwälte sagen, sie müssen unbedingt mit ihm sprechen, ehe die Medien ihn aufspüren.»
Verschlafen zog ich mir die nächstbesten Sachen über, die ich fand, und stolperte zur Tür. Als ich sie öffnete, setzte ein Blitzlichtgewitter ein. Offenbar hatte die Medienmeute jemand vom Personal bestochen, um meine Zimmernummer zu erfahren. Zwei Frauen stellten sich als Reporterinnen vom Hongkonger Büro des Wall Street Journal vor, andere, darunter ein Mann mit einer grossen Kamera, kamen von Associated Press.
Sie bombardierten mich mit Fragen und folgten mir, einen Halbkreis um mich bildend, zum Lift, drängten sich mit hinein und hörten nicht auf, mir Fragen zu stellen, auf die ich nur kurze und wenig hilfreiche Antworten gab.
Unten im Foyer wartete ein weiterer Schwarm von Reportern und Kameraleuten. Ich versuchte, meinen Leser und die Anwälte zu finden, konnte aber keine zwei Schritte tun, ohne von den Journalisten eingekeilt zu werden.
Besonders beunruhigte mich, dass die Medienmeute versuchen würde, mir zu folgen, und es den Anwälten unmöglich machen würde, zu Snowden zu gelangen. Also hielt ich im Foyer kurzentschlossen eine spontane Pressekonferenz ab und beantwortete Fragen der Reporter in der Hoffnung, dass sie dann verschwinden würden. Was die meisten 15 Minuten später auch taten.
Ich war sehr erleichtert, als ich auf Gill Philipps stiess, die Chefanwältin des Guardian, die auf ihrem Weg von Australien nach London in Hongkong einen Zwischenstopp eingelegt hatte, um uns beratend zur Seite zu stehen. Sie sagte, sie wolle alle Möglichkeiten des Guardian prüfen, Snowden zu schützen – «Alan Rusbridger vertritt unerschütterlich den Standpunkt, dass wir ihm im Rahmen unserer rechtlichen Möglichkeiten jede Unterstützung zukommen lassen». Ein Gespräch war jedoch unmöglich, da immer noch Reporter herumlungerten.
Schliesslich fand ich doch noch meinen Leser und die beiden Hongkonger Anwälte, die er mitgebracht hatte. Wir überlegten, wo wir ungestört miteinander reden könnten, und machten uns auf den Weg zu Gills Zimmer. Den paar Reportern, die uns hartnäckig verfolgt hatten, knallten wir die Tür vor der Nase zu.
Wir machten keine langen Worte, sondern kamen gleich zur Sache. Die Anwälte wollten möglichst schnell mit Snowden reden, um von ihm die formelle Vollmacht zu bekommen, seine Vertretung übernehmen zu können.
Ehe Gill bereit war, Snowden diesen uns unbekannten Anwälten anzuvertrauen, suchte sie auf ihrem Smartphone nach Informationen über sie und fand heraus, dass sie einen hervorragenden Ruf genossen, in der Menschenrechtsbewegung verankert waren und in Hongkong über gute politische Verbindungen verfügten. Während Gill ihrer spontanen Sorgfaltspflicht nachkam, loggte ich mich ins Chat-Programm ein. Snowden und Laura waren online.
Laura, die inzwischen auch in Snowdens Hotel wohnte, war sich sicher, dass die Reporter innerhalb kürzester Zeit ihren Aufenthaltsort herausfinden würden. Snowden selbst drängte darauf, das Hotel möglichst bald zu verlassen. Ich berichtete ihm von den Anwälten, die ihn in seinem Zimmer aufsuchen wollten. Sie sollten ihn abholen und an einen sicheren Ort bringen, antwortete Snowden und fügte hinzu: «Jetzt ist es an der Zeit für den Teil des Plans, wo ich die Welt um Schutz und Gerechtigkeit bitte. Aber ich muss aus dem Hotel kommen, ohne dass mich Reporter erkennen, sonst werden sie mich auf Schritt und Tritt verfolgen.»
Ich übermittelte den Anwälten seine Bedenken.
«Hat er eine Idee, wie sich das bewerkstelligen lässt?», fragte einer von ihnen.
Ich gab die Frage an Snowden weiter.
«Ich bin gerade dabei, mein Aussehen zu verändern», antwortete er; offensichtlich hatte er über dieses Problem bereits nachgedacht. «Man wird mich nicht erkennen.»
Die Flucht
Nun sollten die Anwälte direkt mit ihm sprechen, dachte ich. Ehe sie das tun konnten, musste Snowden sie jedoch formell mit seiner Vertretung betrauen. Ich schickte ihm den entsprechenden juristischen Satz, den er bei sich eintippte und mir wieder zurückschickte. Dann übernahmen die Anwälte den Computer und begannen mit Snowden zu sprechen. Zehn Minuten später verkündeten sie, dass sie sich sofort in sein Hotel begeben und ihn abholen würden.
«Und was werden Sie weiter mit ihm machen?», wollte ich wissen.
Wahrscheinlich würden sie ihn zur UN-Vertretung in Hongkong bringen, meinten sie, und dort für ihn offiziell um Schutz vor den amerikanischen Behörden bitten mit der Begründung, Snowden wäre ein Flüchtling, der um Asyl nachsuchen würde. Oder sie würden versuchen, eine sichere Unterkunft für ihn zu finden.
Aber wie sollten die Anwälte aus dem Hotel hinauskommen, ohne dass ihnen jemand folgte? Wir dachten uns einen Plan aus: Ich würde mit Gill das Hotelzimmer verlassen und ins Foyer hinuntergehen, um die Reporter, die immer noch vor unserer Tür warteten, auf meine Fährte zu locken. Einige Minuten später würden die Anwälte dann hoffentlich unbemerkt das Hotel verlassen können.
Der Trick funktionierte. In einem an das Hotel angrenzenden Einkaufszentrum plauderte ich dreissig Minuten lang mit Gill, dann ging ich zurück auf mein Zimmer und rief besorgt einen der Anwälte auf seinem Handy an.
«Er hat es gerade noch rechtzeitig rausgeschafft, bevor es auf der ganzen Etage von Journalisten wimmelte», sagte er. «Wir haben ihn in seinem Hotel getroffen» – vor dem Konferenzraum mit dem Alligator, wo Laura und ich ihm zum ersten Mal begegnet waren, wie ich später erfuhr – «und sind dann in ein nahe gelegenes Einkaufszentrum gegangen, wo unser Wagen bereitstand. Er ist jetzt bei uns.»
Wohin brachten sie ihn?
«Darüber sprechen wir besser nicht am Telefon», erwiderte der Anwalt. «Fürs Erste wird er aber in Sicherheit sein.»
Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich das hörte, doch mir war klar, dass wir ihn wahrscheinlich nie mehr sehen oder sprechen würden, jedenfalls nicht als freien Menschen. Das nächste Mal würden wir ihn höchstwahrscheinlich im Fernsehen sehen, im orangefarbenen Gefängnisoverall und mit Fussfesseln, in einem Gerichtssaal in Amerika, angeklagt wegen Spionage.
Während ich diese Nachricht verdaute, klopfte es an meiner Tür. Es war der Geschäftsführer des Hotels, der mir mitteilen wollte, dass an der Rezeption pausenlos Anrufe für mein Zimmer eingingen (ich hatte angeordnet, keinerlei Anrufe durchzustellen). Ausserdem drängten sich Scharen von Reportern, Fotografen und Kameraleuten in der Eingangshalle, die darauf warteten, mich zu Gesicht zu bekommen.
«Wenn Sie möchten», fuhr er fort, «können wir Sie unbemerkt über einen Lift im rückwärtigen Teil durch einen Hinterausgang hinausbringen. Die Anwältin des Guardian hat für Sie unter einem anderen Namen ein Zimmer in einem anderen Hotel gebucht, sofern Sie damit einverstanden sind.»
Das war typische Hotelmanager-Sprache: Wir wollen, dass Sie verschwinden, weil Sie so viel Unruhe hereinbringen, sollte das heissen. Trotzdem konnte ich der Idee durchaus etwas abgewinnen, denn ich wollte ungestört weiterarbeiten und hoffte immer noch, mit Snowden in Kontakt bleiben zu können. Also packte ich meine Sachen und folgte dem Geschäftsführer zu einem Hinterausgang. Dann ging ich als Erstes ins Internet, weil ich hoffte, von Snowden zu hören. Ein paar Minuten später war er auch online.
«Es geht mir gut», berichtete er, «und ich bin bis auf Weiteres sicher untergebracht. Aber ich weiss nicht, wie sicher diese Unterkunft ist und wie lang ich hier bleiben werde. Ich werde die Bleibe öfter mal wechseln müssen, und mein Internetzugang ist instabil, deshalb kann ich nicht sagen, wann und wie oft ich online sein werde.»
Offenbar wollte er nur ungern Details über seinen Aufenthaltsort preisgeben, und ich war auch nicht erpicht darauf. Mir war klar, dass ich nur in sehr begrenztem Mass dabei behilflich sein konnte, ihn zu verstecken. Inzwischen war Snowden der meistgesuchte Mann der Welt auf der Liste der mächtigsten Regierung der Welt. Die Vereinigten Staaten hatten die Hongkonger Behörden bereits aufgefordert, ihn festzunehmen und ihnen zu übergeben.
Also führten wir nur ein kurzes und unverbindliches Gespräch und brachten beide unsere Hoffnung zum Ausdruck, miteinander in Kontakt bleiben zu können. Ich sagte ihm, er solle auf sich aufpassen.
* * *
Als ich ins Studio kam, um mich für Morning Joe und die Today Show interviewen zu lassen, fiel mir sofort auf, dass sich der Tenor der Fragen grundlegend verändert hatte. Statt sich mit mir als Reporter auseinanderzusetzen, schossen sich die Interviewer jetzt lieber auf ein neues Ziel ein – auf Snowden selbst, diese zwielichtige Figur in Hongkong. Viele amerikanische Journalisten nahmen wieder ihre gewohnt servile Rolle gegenüber der Regierung ein. Nun war es nicht mehr von Belang, dass Reporter gravierende Gesetzesverstösse der NSA aufgedeckt hatten, sondern dass ein für die Regierung arbeitender Amerikaner «gegen seine Pflichten verstossen» und Straftaten begangen habe und dann «nach China geflohen» sei.
In den beiden Interviews mit den Moderatorinnen Mika Brzezinski und Savannah Guthrie verschärfte sich dann auch zusehends der Ton. Mir fehlte jedes Verständnis für die Kritik an Snowden, die sich hinter den Fragen verbarg – umso mehr nach dieser aufreibenden Woche, während der ich kaum Schlaf gefunden hatte. Meiner Meinung nach sollte jemand, der so viel Transparenz in das Treiben des Sicherheitsstaates gebracht hatte wie seit Jahren niemand mehr, vom Journalismus gefeiert und nicht gebrandmarkt werden.
Nach einigen weiteren Tagen mit Interviews beschloss ich, dass es Zeit war, aus Hongkong abzureisen. Offensichtlich war es mittlerweile unmöglich, Snowden noch einmal zu treffen oder ihn von Hongkong aus zu unterstützen, und zu diesem Zeitpunkt war ich körperlich, emotional und psychisch völlig erschöpft. Ich wollte nur noch zurück nach Rio.
Ich spielte mit dem Gedanken, über New York nach Hause zu fliegen, um dort einen eintägigen Zwischenstopp einzulegen und noch ein paar Interviews zu geben – nur um zu demonstrieren, dass ich durchaus dazu imstande war. Doch ein Jurist riet mir davon ab und meinte, es bringe nichts, ein solches rechtliches Risiko einzugehen, solange wir nicht wüssten, was die Regierung zu unternehmen gedachte. «Sie haben gerade eine der grössten Enthüllungen über die nationale Sicherheit auf den Weg gebracht, die es in der Geschichte der Vereinigten Staaten jemals gegeben hat, und auf allen Fernsehkanälen haben Sie eine Botschaft verbreitet, wie sie provokanter nicht sein könnte», meinte er. «Eine Reise in die USA ist erst dann sinnvoll, wenn wir eine Ahnung davon haben, wie das Justizministerium reagieren wird.»
Das sah ich anders: Ich hielt es für extrem unwahrscheinlich, dass die Regierung Obama einen Journalisten verhaftete, dessen Berichterstattung gerade dermassen im Licht der Öffentlichkeit stand. Aber ich war zu erschöpft, um zu widersprechen und dieses Risiko einzugehen. Also liess ich den Guardian den Rückflug nach Rio über Dubai buchen, weit weg von den Vereinigten Staaten. Fürs Erste, sagte ich mir, hatte ich genug getan.
Glenn Greenwald.
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