Der unsichtbare Aussenminister

Wo steckt eigentlich Didier Burkhalter? Der eidgenössische Aussenminister tritt öffentlich kaum in Erscheinung. Trotzdem wird ihm gute Arbeit attestiert.

Mann im Hintergrund: Im Gegensatz zu seiner schillernden Vorgängerin Micheline Calmy-Rey, die ihren Platz auf den grossen Bühnen der Welt sah, ist Didier Burkhalter mehr ein Mann für die Zwischenböden. (Bild: Freshfocus)

Wo steckt eigentlich Didier Burkhalter? Der eidgenössische Aussenminister tritt öffentlich kaum in Erscheinung. Trotzdem wird ihm gute Arbeit attestiert.

Eines hat Didier Burkhalter ganz bestimmt nicht: Flugangst. Der neue Schweizer Aussenminister reist emsig hin und her, seit er Anfang Jahr den Posten von Micheline Calmy-Rey übernommen hat. Elf Auslandsreisen haben sich seit seinem Amtsantritt kumuliert, und bis Ende Jahr sind weitere Visiten in Frankreich, Italien und Spanien geplant. Burkhalter will kitten, was unter Calmy-Rey auseinander­gebrochen ist.

Das gute Verhältnis zu den Nachbarn ist nach einer Reihe von ausser Kontrolle geratenen Konflikten um Fluglärm oder ums Schwarzgeld schwer belastet. Burkhalter hat deshalb die Pflege der Kontakte zu den engsten Nachbarn ins Zentrum seiner Aussenpolitik gestellt. Er hat das ­jahrzehntelange Tagesgeschäft der Schweizer Diplomatie zur Priorität ­erklärt und sich damit von seiner schillernden Vorgängerin abgegrenzt, die ihren Platz auf den grossen Bühnen sah. Burkhalter ist mehr ein Mann für die Zwischenböden.

Im Zwischenboden verschollen

Dort scheint er sich so wohl zu ­fühlen, dass man sich nun fragt: Wo steckt eigentlich der Schweizer Aus­senminister?
Burkhalter war schon als FDP-Ständerat und dann als Vorsteher des Innendepartements das, was gemeinhin unter dem Typus «stiller Schaffer» verstanden wird. Einer, der beharrlich das Gespräch sucht, weil er Konflikte als Folge von Missverständnissen und verletzten Eitelkeiten versteht, aber dabei immer Gefahr läuft, vereinnahmt zu werden und am Schluss mit leeren Händen dazustehen.

So geschehen im Gesundheits­departement, wo Burkhalter so konsequent konsensorientiert gearbeitet hatte, dass der allgemeine Konsens am Schluss war, die bundesrätliche Managed-Care-Vorlage in Grund und Boden zu versenken. Immerhin bewies Burkhalter ein Gespür fürs ­Timing. Er entschloss sich, noch vor dem Debakel an der Urne ins Aussendepartement (EDA) abzuschleichen.

Irritierte Diplomaten

Im EDA sorgte er erstmal für Irrita­tionen. Im diplomatischen Korps fühlte man sich dem Vernehmen nach vor den Kopf gestossen, als er Yves Rossier aus dem Innendepartement mitzügelte und zum Staatssekretär berief. Ein Nicht-Diplomat soll das Oberhaupt einer Bruderschaft sein, die im festen Glauben durch Raum und Zeit wandelt, von allem ein bisschen mehr zu verstehen als der Rest?

Auch sein wenig prestigeträchtiges Programm kam zunächst schlecht an. Calmy-Rey hatte erfolgreich vermittelt zwischen Türken und Armeniern, zwischen Russland und Georgien. Sie hatte die Friedensförderung in den Fokus ihrer Politik gestellt. Da strahlte Licht von gehöriger Wattleistung auf die Schweizer Diplomatie. Die Schweiz konnte sich als unbestech­liche Mittlerin im «great game» der Weltpolitik präsentieren. Auch für die Öffentlichkeit fiel etwas vom Glanz ab: Man war wieder jemand.

Auch Burkhalter bestritt einen ersten Gehversuch auf internationalem Parkett, als er in der Syrien-Krise zum Round Table aufrief, was kritisch betrachtet wird (siehe Interview). Burkhalter berichtete später, er habe die Zeit genutzt, mit seinen Tischnachbarn Gespräche über Freihandelsabkommen und ähnlich Sachfernes zu führen.

Ernsthafter geht es dort zu, wo ­seine Prioritäten liegen. Burkhalter will das EDA auf jenen Platz zurückführen, den das Schweizer Macht­gefüge vorgesehen hat: Es soll wieder vermehrt innenpolitischer Dienstleistungsbetrieb sein für die wirkungsmächtigen Finanz-, Verkehrs- und Wirtschaftsdepartemente.

Geri Müller: «Er macht einen guten Job»

Für den grünen Aussenpolitiker Geri Müller ist das die richtige Herangehensweise: «Die Aussenpolitik muss den Boden bereiten für gute Verhandlungen mit der EU.» Burkhalter macht in seinen Augen einen guten Job. «Er hat sich in heikle Dossiers gut eingearbeitet, er ist seriös und er hat Mut, die Probleme mit der EU anzugehen», sagt Müller.

Tatsächlich hat Burkhalter geschafft, was Calmy-Rey nie gelang. Er hat den Bundesrat auf eine Linie gebracht, als er im Frühjahr Vorschläge ausarbeitete, wie mit den immer drängenderen Forderungen, die Schweiz müsse EU-Recht übernehmen, umzugehen ist. Das Papier war nach einem öffentlichen Konsulta­tionsverfahren aufgesetzt worden – auch das ein neuer Stil in der oft intransparenten Europapolitik des Bundesrats.

Doch so einträchtig wird es nicht weitergehen. Die EU hat bereits Widerspruch signalisiert. Und auch innenpolitisch droht Ärger. Die SVP will das geplante Stromabkommen mit der EU, an dem Burkhalter den neuen Umgang mit EU-Recht durchexerzieren will, mit allen Mitteln bekämpfen. Dann muss Burkhalter aus dem Schatten treten und kämpfen statt nur schlichten. Sonst kommt es früher als gedacht zum Déjà-vu.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 31.08.12

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