«Der Vorwurf des Polizeistaats ist an den Haaren herbeigezogen»

Nach dem harten Durchgreifen der Basler Polizei gegen eine Kunstaktion auf dem Messeplatz beziehen die Verantwortlichen für den Grosseinsatz Stellung. Für Sicherheitsdirektor Baschi Dürr und Polizeikommandant Gerhard Lips steht fest: Der Einsatz war ein Erfolg.

FDP-Sicherheitsdirektor und Kunstliebhaber Baschi Dürr (rechts) stellt sich gemeinsam mit Polizeikommandant Gerhard Lips den Fragen zum umstrittenen Grosseinsatz gegen die Kunstaktion auf dem Messeplatz. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Nach dem harten Durchgreifen der Basler Polizei gegen eine Kunstaktion auf dem Messeplatz beziehen die Verantwortlichen für den Grosseinsatz Stellung. Für Sicherheitsdirektor Baschi Dürr und Polizeikommandant Gerhard Lips steht fest: Der Einsatz war ein Erfolg.

Herr Dürr, sind Sie zufrieden mit dem Polizeieinsatz vom Freitag?

Baschi Dürr: Ja, es war alles in allem ein guter Einsatz, gut geplant und ruhig durchgeführt. Wir haben unsere Zielsetzung erfüllt.

Welche Zielsetzung hatten Sie denn?

Dürr: Keine Kundgebung zuzulassen – dies nach den Erfahrungen des letzten Jahres, als unsere Leute bei der sogenannten Gegen-Favela attackiert worden sind, als sie nach zahlreichen Abmahnungen und Ultimaten die sehr laute Musikanlage abstellen wollten. Auch im Nachgang dazu, nach der Demonstration im St. Johanns-Park, wurden unsere Leute massiv angegangen und verletzt. Als wir sahen, dass heuer etwas geplant würde, haben wir die Aktivisten informiert, dass wir das nicht wollen. Als diese dennoch zum Messeplatz gingen, haben wir eine Personenkontrolle durchgeführt und die Leute nach der Kontrolle wieder entlassen.

Wer hat diesen Einsatz angeordnet?

Dürr: Grössere Einsätze, die auch ein gewisses politisches und mediales Interesse nach sich ziehen, werden mit mir abgesprochen. Das geschah auch in diesem Fall so. Die operative Verantwortung liegt bei der Kantonspolizei.

Unverzüglich abgeführt: Die Polizei nahm jeden ab, der einen weissen Pappteller in der Hand hielt. (Bild: Inken Zierenberg)

Sie haben mit Enrique Fontanilles unter anderem auch den stellvertretenden Direktor der Schule für Gestaltung abgeführt. Spätestens dort hätte Ihnen doch einleuchten müssen, dass hier keine kriminellen Chaoten am Werk waren.

Lips: Ich kenne Herrn Fontanilles nicht. Es spielt aber auch keine Rolle, ob Herr Fontanilles grundsätzlich gewaltbereit ist oder nicht. Wir wollten keine Veranstaltung auf dem Messeplatz, die an die letztjährige Favela-Aktion erinnert.

Welche Parallelen sahen Sie bestätigt zwischen den Vorfällen letztes Jahr und der Aktion vom Freitag? Entsprach der Einsatz der vom Gesetz verlangten Verhältnismässigkeit?

Lips: Die Legitimation ergibt sich aus der Beurteilung im Vorfeld und nicht im Rückblick, sonst könnten wir ja gar keine Aktion mehr durchführen.

So wäre die Aktion der Kunststudenten geplant gewesen – mit weissen Tortenböden den Polizeieinsatz des Vorjahres nachstellen. (Bild: Inken Zierenberg)

So wäre die Aktion der Kunststudenten geplant gewesen – mit weissen Tortenböden den Polizeieinsatz des Vorjahres nachstellen. (Bild: Inken Zierenberg) (Bild: Inken Zierenberg)

 

Sie könnten einräumen, die Situation falsch eingeschätzt zu haben.

Lips: Das können wir nicht. Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn wir die Aktion zugelassen hätten. Die Kartonteller wurden von uns übrigens auch nicht als gefährliche Gegenstände gewertet, sondern als Ausdruck einer Kundgebung.

Dürr: Wir wissen alle nicht, was hätte passieren können. Es hätte eine Kunstaktion mit Papptellern sein können, die nach einer Viertelstunde vorbei ist. Es hätte sich aber auch weiterentwickeln können, genau wie letztes Jahr, als sich mehr und mehr Personen der Kundgebung anschlossen, die Stimmung immer aggressiver wurde und schliesslich massiv Polizisten angegriffen wurden.
Wir wollten deshalb – zugegeben – auf der sicheren Seite sein. Grundsätzlich aber, wie ausgeführt, pflegen wir einen sehr liberalen Umgang mit Aktionen im öffentlichen Raum. Selbst unbewilligte Demos werden, wenn es irgendwie vertretbar ist, toleriert. Wegen der sehr speziellen Vorgeschichte mit der massiven Gewalt, die unsere Polizisten erfahren haben, haben wir aber in diesem Fall keine Kundgebung zugelassen …
 
Lips: … keine Kundgebung – oder keine Performance, das spielt keine Rolle.

Es muss doch definiert werden, was geduldet wird und was verboten. Sonst setzen Sie sich dem Vorwurf der Willkür aus.

Lips: Es wird nicht willkürlich entschieden. Sobald eine bestimmte Anzahl von Personen auf öffentlichem Grund ein gemeinsames Ziel verfolgt, ist das bewilligungspflichtig, sofern ein sogenannter gesteigerter Gemeingebrauch vorliegt.

Also wären auch die Art-Besucher bewilligungspflichtig, weil diese sich alle aus demselben Grund auf dem Messeplatz aufhalten.

Lips: Nein, eben nicht. Die Art-Besucher brauchen den öffentlichen Grund nur, um von A nach B zu kommen. Wenn jetzt die Art-Besucher den Platz nutzen zu einem bestimmten Zweck, der über den Messebesuch hinaus geht, dann würde das bewilligungspflichtig.

«Eine Wasserschlacht kann als grober Unfug gewertet werden.»

Baschi Dürr 

Aber im letzten Jahr lud gar explizit ein Favela-Café zum Aufenthalt auf dem Platz, initiiert von der Art Basel.

Lips: Ja, mit Bewilligung. Die Erfahrung hat uns eben gelehrt, dass wir dieses Jahr gar nichts zulassen sollten. Denn zum Favela Café kam spontan das alternative Café hinzu, das wir erst toleriert hatten, welches dann aber immer grösser und unkontrollierter wurde.

Dürr: Der Willkür-Vorwurf ist falsch. Denn die polizeiliche Generalklausel gibt der Polizei ein weites Handlungsfeld. Die Polizei könnte eine «Zero Tolerance»-Politik verfolgen und alles abwürgen, was auch nur entfernt potentiell gefährlich ist. Sie kann aber auch fast alles zulassen. Entsprechend gross ist die Verantwortung, richtig zu entscheiden. Wir suchen immer erst Gründe, etwas zuzulassen. Beispielsweise besagte Wasserschlacht, die wir toleriert haben.

Welche Gefahr hätte denn von einer Wasserschlacht ausgehen können?

Dürr: Eine Wasserschlacht kann als grober Unfug bewertet und damit für illegal erklärt werden.

Das ist jetzt aber nicht Ihr Ernst?!

Dürr: Doch.

«Die Gefahr bestand, dass sich die Veranstaltung unkontrolliert weiterentwickelt.»
Gerhard Lips 

Ihre Herangehensweise erinnert an die Argumentation eines Polizeistaates: Mit dem Verweis auf potentielle Unruhen unterbinden Sie das Recht auf freie Meinungsäusserung. Eine Güterabwägung scheint nicht stattgefunden zu haben.

Dürr: Selbstverständlich! Die Kantonspolizei nimmt ständig Güterabwägungen vor. Wir hätten, um beim Beispiel zu bleiben, die Wasserschlacht unterbinden können, aber dies natürlich bewusst nicht gemacht. Der Vorwurf des Polizeistaats ist völlig an den Haaren herbeigezogen – und letztlich eine Beleidigung all jenen gegenüber, die in solchen Ländern leben müssen. Wir pflegen einen ausgesprochen liberalen Umgang gerade auch mit unbewilligten Anlässen. Vor dem Hintergrund der schweren und tragischen Ereignisse des Vorjahres, als mehrere unserer Leute verletzt worden waren, wollten wir für einmal auf der sicheren Seite stehen.

Wir merken: Auch bei der Verhältnismässigkeit Ihres letztjährigen Einsatzes gehen die Meinungen auseinander. Daher noch einmal die Frage: Haben Sie die Gefahrenlage falsch eingeschätzt?

Lips: Die Gefahr bestand, dass sich diese Veranstaltung, obwohl sie völlig ruhig abläuft, unkontrolliert weiterentwickelt. Jetzt kann man uns vielleicht vorwerfen, dass wir eine falsche Einschätzung getroffen haben. Im Nachhinein lässt sich aber nicht sagen, ob dank unseres Einsatzes keine Eskalation erfolgte, oder ob sowieso nichts passiert wäre.

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