Der Weg des Kaffees führt ins St. Johann

Weg vom anonymen Beton hin zum lebhaften Austausch in unmittelbarer Nachbarschaft. Celâl Düzgün hat mit der Eröffnung des Café Jêle den Nerv der Zeit getroffen und einen Ort geschaffen, an dem die kulturelle Vielfalt willkommen ist.

(Bild: Nils Fisch)

Weg vom anonymen Beton hin zum lebhaften Austausch in unmittelbarer Nachbarschaft. Celâl Düzgün hat mit der Eröffnung des Café Jêle den Nerv der Zeit getroffen und einen Ort geschaffen, an dem die kulturelle Vielfalt willkommen ist.

Am Anfang unseres Gesprächs erzählt Celâl Düzgün die legendäre Geschichte des Kaffees:

Im 16. Jahrhundert, als das Osmanische Reich auf dem Höhepunkt seiner Ausdehnung war, liessen die Osmanen bei der fehlgeschlagenen Belagerung von Wien einige hundert Säcke Kaffeebohnen zurück. Ein findiger Geschäftsmann eröffnete damit eines der ersten Kaffeehäuser Europas und läutete eine Kaffeekultur ein, die bis heute anhält.

Die Osmanen hingegen hatten aufgrund des Verlusts wichtiger Gebiete keinen Zugang mehr zum Kaffeehandel. Sie mussten sich mit Schwarztee begnügen. Erst heute breitet sich der Kaffeegenuss wieder in den ehemaligen osmanischen Ländern aus, angeführt durch die Expansion von Starbucks.

Leidenschaft fürs Intellektuelle

Die Lebensstationen von Celâl Düzgün folgten dem Weg des Kaffees: Istanbul, Wien – und jetzt Basel, wo der Schweizer mit ostanatolischen Wurzeln 2013 das Café Jêle eröffnete (ausgsprochen wie «Gelée»). «Das Quartierleben im St. Johann war fast ausgestorben», sagt Celâl, der bei den Gästen unter seinem Vornamen bekannt ist. «Die Zentralisierung durch die Einkaufszentren könnte der Grund dafür gewesen sein, dass die Quartiere immer grauer und lebloser wurden.» Wie sehr sich die Bewohner über das Café freuten, zeigte sich schon bei der Eröffnung: «Da haben Leute sogar Blumen gebracht», erzählt Celâl.




Die Bücher und Zeitschriften laden zum Schmökern ein. (Bild: Nils Fisch)

Die Gäste setzten sich aus unterschiedlichsten Menschen zusammen. Über Familien mit Kindern, Studenten oder Ärzte, alle fänden in seinem Café Platz. Es sei ihm nie um eine bestimmte Zielgruppe gegangen. «Das Jêle soll ein Ort des Austauschs, der Begegnung sein, wo Leute zusammensitzen, arbeiten, lesen oder sich kulturell bereichern können.» Die Bücher und Zeitschriften, die über das ganze Lokal verteilt sind, zeugen von dieser Leidenschaft für das Intellektuelle und Nachdenkliche, die der studierte Soziologe Celâl an den Tag legt. Sogar an den pastellgrünen Wänden liegen die Bücher auf kleinen Ablagen und ermuntern zum Schmökern.

Der Berg Jêle

Und während wir da so reden, meldet sich plötzlich ein Gast zu Wort, der sich als Ismail vorstellt. Überraschenderweise ist Ismail Korkut, wie er mit vollem Namen heisst, Wirt des Restaurants Zazaa, das seine orientalischen Speisen am Petersgraben anbietet. «Ich komme oft hierher», sagt Ismail. «Eigentlich zum Ausruhen. Das Café ist fast wie ein Wohnzimmer für mich.»




«Zu jeder Tageszeit scheint die Sonne durch eines der beiden Fenster», sagt Celâl (Bild: Nils Fisch)

Obwohl Ismail, wie er sagt, in Deutschland aufgewachsen ist, teilen die beiden die gleichen Wurzeln. Celâl ist in einer Bergregion namens Dersim in Ostanatolien geboren, auch Ismails Vorfahren stammen von dort. «Jêle» bedeutet Naturgöttin und sei der Name eines Berges in dieser Region. Mehrere Minderheiten wie Armenier und Kurden teilen sich die Dersim-Region als Heimat. Eine weitere von dort stammende Volksgruppe bezeichnet sich als Zaza und spricht eine eigene Sprache, die ebenfalls Zaza heisst und stärker mit dem Altpersischen und damit den indogermanischen Sprachen verwandt ist als mit dem Türkischen. Durch mehrere Konflikte und Kriege wurden viele Dersimer vertrieben. In der Folge verstreuten sie sich über ganz Europa, besonders über Deutschland, Österreich und die Schweiz. Die Zaza zählen sich mit den anderen Dersim-Volksgruppen zum Alevitentum, das 2012 in Basel als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt wurde.

Ehrgeiziges Kulturprogramm

«Wir sind gut vernetzt, besonders die Künstler und Intellektuellen aus meiner ehemaligen Heimat», sagt Celâl. Gemeinsam versuchen sie die zu verschwinden drohende Kultur der Zaza zu bewahren, «wie Fotos aus einem brennenden Haus». Celâl unterrichtet an den Universitäten in Basel und Zürich die Sprache Zaza, wirkte mit bei der Erstellung von Lehrmitteln. Im Rahmen eines aktuellen Projekts organisiert er ein Konzert mit der Basler Sopranistin Maria Gessler und Musikern aus seiner Heimat.




Die Zaza-Sprache ist vom Aussterben bedroht. (Bild: Nils Fisch)

In seinem Café ist Celâl froh, Leute durch Gemeinsamkeiten zusammenbringen zu können, wie er sagt, nicht durch Unterschiede. «Das Fremde und Neue ist eine Bereicherung.» Er möchte mit seinem Lokal Menschen einen Raum bieten, um selbstinitiierte Projekte zu verwirklichen. In Zukunft sollen vermehrt Lesungen, Konzerte und Vorträge auf dem Programm stehen, denn «der Raum soll dem Quartier gehören».

Ausserdem plant er eine Erweiterung des kulinarischen Angebots. Bisher experimentierte er mit verschiedenen Gastköchen, um die Resonanz im Quartier abzuschätzen. «Die Rückmeldungen waren gut, das Potenzial ist vorhanden.» Vor dem Café soll die Rabatte mit Wildpflanzen erblühen, die Celâl schon sät. Kinder sollen da einen vom Verkehr geschützten Platz zum Spielen finden. Bisher sei es zur Mittagszeit eher ruhig, sagt Celâl, «dann setze ich mich hin und lese in einem Buch».

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Café Jêle, Mühlhauserstrasse 129, Basel. Geöffnet Dienstag bis Freitag von 8.30 bis 19.30 Uhr. Am Wochenende von 10 bis 19 Uhr.

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