Der Wüstenblues ist verstummt



Das Wüten der Islamisten im Norden Malis verursacht neben der humanitären Katastrophe auch eine kulturelle Tragödie. Starmusiker wie Vieux Farka Touré sind geflohen, das berühmte Festival Au Désert geht ins Exil.

Ist aus seiner Heimat Mali geflohen: Vieux Farka Touré.



Das Wüten der Islamisten im Norden Malis verursacht neben der humanitären Katastrophe auch eine kulturelle Tragödie. Starmusiker wie Vieux Farka Touré sind geflohen, das berühmte Festival Au Désert geht ins Exil.

Mali spielte in der Schweizer Wahrnehmung bisher kaum eine Rolle. Als Armenhaus Afrikas galt das westafrikanische Land, machte vielleicht allenfalls als Exportnation für Fussballer von sich reden. Musikinteressierte mit einem Fokus auf globalen Klängen waren mit Mali jedoch seit langem vertraut. Das Weltmusikland Nummer Eins wartete seit einem Vierteljahrhundert mit den größten Stars des Genres auf, von dene viele auch schon in der Region Basel Station gemacht haben: Aus dem subtropischen Süden stammt die Wassoulou-Queen Oumou Sangaré, in der Hauptstadt Bamako wirkt Prominenz wie Salif Keita, das blinde Paar Amadou & Mariam oder der Griot Toumani Diabaté, im Norden residiert der Wüstenblues mit Ali Farka Touré und Tuaregbands wie Tinariwen. Und mit dem «Festival Au Désert» bei Timbuktu hat sich aus einem traditionellen Stammestreffen der Saharanomaden seit Anfang des Jahrhunderts ein Spektakel entwickelt, das auch westliche Musiker wie Robert Plant, Patrice oder U2-Sänger Bono angelockt hat.



Islamisten verbieten «Die Musik des Satans»



Nun jedoch werden besonders die nördlichen Facetten der unschätzbar reichen malischen Musikkultur durch das Wüten der islamistischen Fanatiker systematisch vernichtet. Immer wieder erreichen dramatische Meldungen die westlichen Nachrichtenagenturen, seit Ende August in der Stadt Gao offiziell verkündet wurde, dass «die Musik des Satans» nicht mehr erwünscht sei. Im Zuge der Einführung der Scharia wird jegliche musikalische Verlautbarung mit einem Bann belegt, Radiosender gestört, Stereoanlagen zertrümmert, und die einzigen Handy-Klingeltöne, die die neuen Machthaber dulden, sind Koransuren.

Die BBC berichtet unter Berufung auf ihren lokalen Reporter Thomas Fessy, dass sich beim Exodus der 500’000 Malier aus den bedrohten Gebieten auch Dutzende bekannter Musiker befinden. So etwa die Sängerin Khaira Arby aus dem Umfeld von Ali Farka Touré, Alis Sohn Vieux und sein ehemaliger Mitmusiker Afel Bocoum. Sie alle flüchteten aus Niafunké nahe Timbuktu, wo der 2006 verstorbene Touré seine kargen pentatonischen Lieder schuf, die unter dem Prädikat «Desert Blues» weltberühmt wurden. Mittlerweile ist der Wüstenblues jedoch völlig verstummt. Arby drohten die selbsternannten Gotteskrieger, sie würden ihr die Zunge abschneiden, sollte sie weiter ihren Beruf ausüben.



Für das bitterarme Land stellt die Musik den einzigen Reichtum dar, der sich exportieren liess



Während eine Befreiungsfront der Tuareg im Norden Seite an Seite mit «Al-Qaida im Maghreb» kämpft, sind Künstler aus dieser Volksgruppe selbst von Verfolgung betroffen: Laut Andy Morgan, der als Malikenner für die englische Tageszeitung The Guardian berichtet, brechen die Milizen die Behausungen von Musikern auf, verbrennen das Equipment und kündigen an, man werde Rückkehrern die Finger abhacken. Es sind die gleichen Methoden, wie sie schon von den Taliban in Afghanistan angewandt wurden.

Hinzu kommt in Mali jedoch: Für das bitterarme Land stellt die Musik den einzigen Reichtum dar, der sich exportieren liess, den eine Björk oder ein Damon Albarn (Sänger der britischen Band Blur) erkannten und einem westlichen Poppublikum vermittelten. «Wenn es keine Musik mehr gibt in Mali, wird das unsere gesamte Kultur zerstören», sagte Altstar Salif Keita der BBC an die Adresse der Rebellen. Und sein Kollege Toumani Diabatém Meister auf der Kora-Harfe wird mit den Worten zitiert: «Die Kultur ist unser Brennstoff und die Musik unser Bodenschatz. Es gibt keinen internationalen Musikpreis, der nicht schon von einem malischen Musiker gewonnen wurde.»



In Bamako formiert sich Protest



Viele Musiker betonen, dass sie einen Islam der Toleranz leben und die Radikalen verachten. Vielmehr setzt man auf ein friedliches Miteinander der Religionen. «Wir wollen keine importierte Scharia», so der Spiesslauten-Solist Bassekou Kouyaté gegenüber dem Magazin «Rolling Stone». Er befürwortet das militärische Engagement des Auslands, damit die Hauptstadt Bamako nicht auch in Gefahr gerät. Auch dort sind die Bewohner eingeschüchtert, Nachtclubs müssen im Zuge der Wirtschaftskrise nach dem Putsch dicht machen. Doch es hat sich auch Protest formiert: Unter dem Namen «Sofas De La République» gründete sich eine Bewegung junger Künstler, der die Sängerin Naba TT, die jüngere Schwester der auch in Europa bekannten Sängerin Rokia Traoré angehört. Ihr Song «Mabilen So» ist gerade zur Fanfare der jungen Leute geworden, die die Untätigkeit der Politiker kritisieren und dafür eintreten, dass Mittel und Wege gefunden werden sollen, die Einheit des Landes wiederherzustellen.

Malis neuer Weltmusikstar Fatoumata Diawara hat vor wenigen Tagen in Bamako ihren Friedenssong «Mali-ko» vorgestellt, für den sie sage und schreibe 40 der bekanntesten Landsleute vor dem Mikro versammelt hat. Schon vor dem Putsch hatten Künstler wie der Rapper Amkoullel und seine Bewegung Plus Jamais Ça mit ihrem Song «SOS» gewarnt, die im Macht- und Rechtsvakuum des Nordens schwelende Bedrohung durch den maghrebinischen Arm von Al-Qaida endlich zu erkennen. Ihr Appell verhallte wirkungslos. Die vormalige Regierung belegte Amkoullels Song vielmehr mit Zensur, da sie nicht kritisiert werden wollte, statt Gehör erhielt er mehrere Morddrohungen. 



Musikkarawanen für den Frieden



Schon lange in Mitleidenschaft gezogen ist das «Festival Au Désert». Nachdem sich bereits 2007 Al-Qaida-Männer unter die Zuschauer mischten, es wenig später in der Nähe auch zu brutalen Überfällen auf Ausländer kam, verlegte man die Bühne vom traditionellen Ort Essakane nach Timbuktu.

2013 können die Konzerte nun auch dort nicht mehr stattfinden: In genau jenem Hotel, in dem noch letztes Jahr Stargast Bono nächtigte, haben die neuen Herren der Stadt ihr Tribunal installiert. Umbenannt in «Festival in Exile» hat das dreitägige Event Ende Februar nun in dem von Regisseur Christoph Schlingensief gegründeten Operndorf Laongo in Burkina Faso eine neue Heimstatt gefunden. Zwei grosse Musikkarawanen werden sich von Mauretanien und Algerien dorthin bewegen. Unter der Schirmherrschaft von Oumou Sangaré wollen sie mit mehreren Solidaritätskonzerten in Flüchtlingscamps auf ihrem Weg ein mobiles Mahnmal für ein Mali in Frieden sein. Festivaldirektor Manny Ansar bleibt unerschütterlich: «Anfangs wurde unsere Musik nur in Essakane gehört, jetzt hört sie die ganze Welt. Das ist genau das Gegenteil dessen, was die Islamisten wollen. Es ist unser Sieg – und ihre Niederlage.» Doch klingt das nach Zweckoptimismus.

Die Islamisten sind gut ausgerüstet, werden unter anderem vom reichen Qatar finanziert. Delikat: Die deutsche Regierung hat eben an jenes Emirat gerade 200 Leopardpanzer verkauft. Sollte es nun nach dem Eingreifen internationaler Truppen zu einem langen Krieg kommen, kann man am Beispiel Afghanistan ablesen, was dies für eine Musikkultur bedeutet: Dann wird der Wüstenblues auf lange Sicht nicht mehr an den Ufern des Niger gesungen werden können, sondern als nostalgische Klage über die Welt verstreut sein.

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