Wenn über Birsfelden gesprochen wird, sind entweder Rekord-Beiträge aus dem Finanzausgleich das Thema oder der Stunk rund um Gemeindepräsident Claudio Botti. Von diesem Image hat die Gemeinde die Nase voll.
Die Birsfelder fühlen sich veräppelt, um nicht ein noch stärkeres, aber nicht so schönes und darum unangebrachtes Wort zu gebrauchen. Als ob die Gemeinde nicht schon genug mit dem Theater rund um ihren Gemeinderat und den umstrittenen Gemeindepräsidenten Claudio Botti (CVP) zu tun hätte, ist die Birsgemeinde auch noch als die ärmste Gemeinde des Baselbiets verschrieen.
Klar, Birsfelden erhält jährlich zwischen sechs und acht Millionen Franken aus dem Finanzausgleich des Kantons. Was rund zehn Prozent des gesamten Finanzausgleichs ausmacht. Das ist mehr ist als bei allen anderen Gemeinden im Baselbiet. «Aber Birsfelden trägt auch Lasten für den gesamten Kanton», sagt alt Landrat Peter Meschberger. «Die Millionen aus dem Finanzausgleich sind nicht Almosen. Sie sind die Leistung für die Aufgaben, die wir übernehmen», sagt der ehemalige SP-Landrat und Gemeindepräsident.
Einerseits wäre da die Abwasserreinigungsanlage an der Freulerstrasse, die das gesamte Wasser für den Bezirk Arlesheim reinigt; andererseits wäre da das Kraftwerk, das nicht nur Strom produziert für den Kanton, sondern auch noch einen Gewinn abwirft, der direkt die klammen Finanzen des Baselbiets aufbessert – von dem die Gemeinde aber direkt nichts sieht. Vor allem ist da aber der Hafen, der fast ein Drittel der Landfläche der Gemeinde einnimmt. «Und wir sind schon eine der Gemeinden mit der höchsten Bevölkerungsdichte des Kantons», sagt Meschberger.
Attraktivste Wohnlage ist Industriebrache
Die Birsfelder mögen ihren Hafen, sie mögen es nur nicht, dass sie dort nichts zu sagen haben: Der Kanton hat die Hoheit über das Land – und gerade dieses Land hätte Birsfelden nötig. Die Gemeinde zählt etwas über 10 000 Einwohner, aber die Steuereinnahmen sind bescheiden und decken kaum die Ausgaben. Neue – und vor allem gute – Steuerzahler kann Birsfelden kaum anlocken.
Obwohl die Gemeinde an die Stadt Basel grenzt und alles hat, was eine attraktive Gemeinde benötigen würde (Sporthalle, Schule, Geschäfte, Restaurants, Verkehrsanbindung) und direkt an Birs und Rhein liegt, siedeln die Gutbetuchten lieber am Südhang von Arlesheim oder Pfeffingen, sagt Hugo Holm. Der ehemalige Gemeindepräsident weiss auch warum: «Unsere attraktivste Wohnlage ist die Industriebrache hinter dem Hafen.»
Früher hatte das Areal seine Berechtigung, aber inzwischen benötigt die Hafengesellschaft das Gebiet weder als Umschlags- noch ist es als Industrieplatz unentbehrlich, sagt Holm. «Wir könnten dort aber neuen und exklusiven Wohnraum bauen.» Der SPler ist überzeugt: «Hätten wir die Hoheit über das Land, könnten wir uns vom Tropfen des Finanzausgleichs lösen.»
Birsfelden war schon immer arm
Die Aussage von Holm ist mutig und auch unter Genossen umstritten. Sie zeigt aber vor allem eines: Birsfelden fühlt sich nicht geschätzt und vernachlässigt. Einerseits wird die Gemeinde kritisiert, dass sie auf den Finanzausgleich angewiesen ist, andererseits hat sie keine Chance, auch nur zu versuchen, sich vom Tropf zu lösen. Wer das verstehen will, muss die Lage von Birsfelden kennen. Eingepfercht zwischen Rhein, Birs und den Nachbargemeinden kann sich die Gemeinde nicht mehr ausdehnen. Mit einer neuen Immobilienstrategie versucht man, dem entgegen zu wirken, aber es bleibt wohl mehr Flickwerk als Lösung.
Die Gemeinde hat bereits früh in die Höhe gebaut, das Sternenfeld-Quartier mit seinen Hochhäusern ist ein Vorbild für effektive Raumnutzung. Hie und da entsteht auch auf dem Platz eines Einfamilienhauses ein Mehrfamilienhaus, aber einen grossen Bevölkerungszuwachs kann so etwas nicht auslösen. Wer nach Birsfelden kommt, sucht günstigen Wohnraum. Seit jeher ist die Gemeinde ein Vorort von Basel. Ganz früher stoppten hier die Fuhrwerke, wenn die Stadt ihre Tore schloss. Beiz reihte sich an Beiz auf der Hauptstrasse, der Gemeinde ging es gut. Aber mit der Eisenbahn verschwanden erst die Fuhrwerke, dann die Einnahmen.
Was kam, waren die Arbeiter für die grossen Fabriken in der Stadt, auch die Zöllner, die Bahn- und Postangestellten. Es entstand ein klassischer Arbeitervorort, ein Ort der Mieter und Gewerkschafter. Gut für die SP, die noch heute die stärkste Partei im Ort ist – und als SP-Hochburg im Kanton gilt. Aber die Gemeinde konnte nie gesunden, bereits 1891 musste der Kanton eine Bürgschaft für Birsfelden übernehmen und eine Betreibung abwenden.
Rösti im türkischen Restaurant
Inzwischen leben in der Wohngenossenschaft auf dem Sternenfeld nicht mehr die Bundesangestellten, aber reicher sind die neuen Bewohner nicht geworden. Zugenommen hat hingegen der Ausländeranteil in der Gemeinde und inzwischen hat er über 25 Prozent erreicht. Was in anderen Gemeinden ein Grund zum Klagen wäre, wird in Birsfelden als Integrationsleistung gesehen. «Schauen Sie doch auf die Strasse», sagt René Broder, «sieht das nach einem Ausländer-Ghetto aus? Im Gegenteil.»
Die meisten Beizen im Ort seien längst in türkischer oder kurdischer Hand, aber noch immer stehe Rösti auf dem Menüplan. «Und es gibt nicht ein Quartier, wo die Ausländer in der Überhand sind – sie sind integriert und verteilt auf die Gemeinde. Keine Spur von Ghetto-Bildung.» Natürlich gebe es auch Probleme, sagt der ehemalige Gemeinderat. «Aber wir haben eine grosse Integrationsleistung vollbracht.»
Der Birsfelder tickt aus Sicht aller drei SPler aber auch etwas anders: «Der Hafen hat die Welt in die Gemeinde gebracht und auch die Offenheit», sagt Broder. Wer in Birsfelden lebe, der habe bereits wegen der Aussicht einen weiteren Horizont. «Wir sehen auf der anderen Seite der Birs die Stadt, drüben am Rhein Deutschland und dank der Bundesangestellten, die bereits früher hierher versetzt wurden, haben wir immer schon Menschen integriert – auch wenn sie nur aus dem Wallis oder Uri kamen.»
Wer immer am 3. März in den Regierungsrat gewählt wird, muss aus Sicht der Birsfelder deshalb vor allem drei Kriterien erfüllen: Er muss in Liestal endlich klar machen, was Birsfelden leistet für diesen Kanton. Er muss verstehen, dass das Unterbaselbiet anders tickt als das Oberbaselbiet. Und vor allem muss er grossräumiger denken: Birsfelden macht etwas über seine Grenzen hinweg für den Kanton und genau so müsse Zusammenarbeit auch mit Basel-Stadt funktionieren. «Wir blicken nach Basel, gehören aber zum Baselbiet», sagt Hugo Holm, «wir sind auf eine Zusammenarbeit angewiesen.»
Wer diese Kriterien für die Mehrheit in der SP-Hochburg erfüllt, daran gibt es weder für Broder, noch für Meschberger oder Holm einen Zweifel. Auch Energiepolitiker zu sein, zählt in der Gemeinde mit einem Kraftwerk als Vorteil. Wer das ist? Überraschend logisch, nicht?