Milo Dukanović herrscht seit 1991 über die kleine Adriarepublik Montenegro. Kritiker werfen ihm einen diktatorischen Regierungsstil, Korruption und enge Kontakte zur organisierten Kriminalität vor. Trotzdem könnte er am Sonntag wiedergewählt werden.
Seine scharfe Zunge brachte ihm den Spitznamen «Rasierklinge» ein. Seine Anhänger nennen ihn liebevoll «Milo», während seine Gegner ihn als «Diktator» und «Verbrecher» beschimpfen. Milo Dukanović steht seit nunmehr 25 Jahren, mit kleinen Unterbrechungen, an der Spitze Montenegros. Im Alter von 29 Jahren wurde er 1991 als Mitglied des kommunistischen Bundes und Protegé von Slobodan Milosević zum Premierminister. Er ist somit der letzte Staatschef aus dem Kader der jugoslawischen Kommunisten.
Später wandte sich Dukanović vom grossen Bruder in Belgrad ab und forcierte die Eigenständigkeit Montenegros. Bei einer Volksabstimmung im Mai 2006 sprachen sich 55,5 Prozent der Bürger für eine Abspaltung von Serbien und für die nationale Eigenständigkeit aus. Der Name von Dukanovićs Demokratischer Partei der Sozialisten (DPS) ist ein Überbleibsel aus alten Zeiten, da die Bekämpfung der massiven Ungleichheit im Land nicht zu den Prioritäten der Partei zu gehören scheint.
Seinen eigenen Reichtum soll Milo Dukanović durch illegale Machenschaften erworben haben. Die britische Zeitung «The Independent» schätzte sein Vermögen im Jahr 2010 auf rund 11,5 Millionen Euro. Montenegro entwickelte sich in den Neunzigerjahren zu einer Drehscheibe des europäischen Zigarettenschmuggels. Dukanović weist den Vorwurf zurück, selbst am Schmuggel beteiligt gewesen zu sein, macht aber keinen Hehl daraus, dass mit den Gewinnen aus dem kriminellen Geschäft die montenegrinischen Staatskassen gefüllt wurden, um Beamte, Schulen und Krankenhäuser zu finanzieren.
Verliert er das Amt, droht ihm Strafverfolgung in Italien
Viele Anhänger von «Milo» sehen ihren Premier als einen modernen Robin Hood, der in Zeiten von Balkankriegen und Uno-Handelssanktionen zum Wohl seines Landes gehandelt hat. Seine Kritiker werfen ihm indes vor, Montenegro in seinen Privatbesitz verwandelt zu haben. Ihm und seinen engsten Parteifreunden wird Korruption im grossen Stil nachgesagt.
Sein Bruder Aco wurde führender Bankinhaber. Als Jungunternehmer betätigt sich seit Jahren auch der einzige Sohn Blažo, die Schwester Ana Kolarević ist eine bekannte Anwältin. Ihr Name war in den Berichten über angebliche Schmiergelder bei der Privatisierung der montenegrinischen Telekom im Jahr 2005 aufgetaucht. Dukanović nahm vor Jahren die Schwester auch vor dem Parlament in Schutz.
Die Behörden in Italien und Deutschland haben gegen den montenegrinischen Premier ermittelt. 2004 wurde er in Italien wegen Schmuggels schuldig gesprochen, konnte sich aber der Strafe entziehen. Auch zu späteren Zeitpunkten wurde Dukanović von den italienischen Behörden verhört, geniesst aber diplomatische Immunität. Sollte er dieses Wochenende die Wahlen und sein Amt verlieren, droht ihm Strafverfolgung. Der italienische Staat hat wegen des Zigarettenschmuggels aus Montenegro auf Einnahmen in Milliardenhöhe verzichten müssen.
Wahlen gelten als Referendum über Nato-Mitgliedschaft
Das wichtigste Thema im Wahlkampf waren aber nicht die Vorwürfe gegen Dukanović, sondern der Nato-Beitritt Montenegros. Viele Analysten interpretieren die Wahlen als Referendum über die Mitgliedschaft in dem Militärbündnis. Der Oppositionsblock der pro-russischen Demokratischen Front (DF) setzt sich gegen einen Beitritt zur Nato, gegen eine Anerkennung des Kosovo und für eine Abschaffung der Sanktionen gegen Russland ein. Inzwischen wurden Ermittlungen gegen die DF aufgenommen, weil sie Wahlkampfgelder aus Russland angenommen haben soll. Russland versucht einen Nato-Beitritt Montenegros zu verhindern, wodurch das Land zum Spielball zwischen Ost und West wird.
Die kleine Republik an der Adria ist wirtschaftlich abhängig von russischen Investoren und Touristen. Während es Schweizer, Deutsche und Österreicher eher nach Kroatien zieht, verbringen in Montenegro vor allem Russen, Ukrainer und Serben ihren Urlaub. In einem Land, indem über 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Tourismus erwirtschaftet werden, sind diese Gäste ein überlebenswichtiger Wirtschaftsfaktor. Ausserdem befindet sich ein grosser Teil des Immobiliensektors, vor allem an den Küsten, in russischer Hand.
Das zweite grosse Oppositionsbündnis nennt sich Ključ (Schlüssel) und ist eher pro-europäisch ausgerichtet. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die beiden Oppositonsblöcke miteinander koalieren werden, was Dukanovićs Machterhalt wahrscheinlicher macht. Eigentlich steht Ključ der DPS politisch nahe. Sie stören sich aber an der Person Dukanović, den sie vom Thron stürzen wollen.
Die Wirtschaft boomt, die Ungleichheit wächst
Die Konjunktur in Montenegro zieht an. Der Internationale Währungsfonds hat erst in der Vorwoche die Wachstumsprognose für das laufende Jahr auf 5,1 Prozent des BIP angehoben. Zuvor war von 4,7 Prozent die Rede. Das Pro-Kopf-Einkommen lag 2015 mit 5800 Euro höher als in den Nachbarstaaten. Diese Erfolge werden vor allem Dukanović zugutekommen.
Allerdings ist die Ungleichheit zwischen den recht wohlhabenden Küstenregionen und dem Landesinneren enorm. Während an der Küste im Sommer teure Sportwagen über den Asphalt brettern, sind weite Teile des Landesinneren aufgrund der schwachen Infrastruktur und fehlender Strassen weitgehend abgeschottet.
Demokratiedefizite
Vor allem bei demokratischen Standards und bürgerlichen Grundrechten bestehen in Montenegro Defizite. Auch das hat viel mit der Herrschaft Milo Dukanovićs zu tun, dem die Opposition vorwirft die Pressefreiheit einzuschränken und das Wahlergebnis zu seinen Gunsten zu drehen.
Die montenegrinische NGO MANS rechnet nicht mit fairen Wahlen. Sie wurde stutzig, nachdem eine 111-jährige Frau aus Budva auf den Wählerlisten entdeckt wurde. Diese Frau weilt wie viele andere im Wählerregister längst nicht mehr unter den Lebenden. Ausserdem finden sich dort auch verschiedene Personen mit denselben Fingerabdrücken, woraus sich schliessen lässt, dass manch einer zwei Stimmen für Dukanovićs DPS abgegeben haben könnte.
Attacken gegen kritische Journalisten gehören in Montenegro zur Tagesordnung. Laut dem Ranking von Reporter ohne Grenzen liegt Montenegro auf Rang 106 und damit noch hinter Kuwait. Dukanović ist aber lange nicht so beliebt, wie man es bei einem Staatschef annehmen könnte, der seit nunmehr 25 Jahren im Amt ist und gute Chancen hat, wiedergewählt zu werden. Die DPS hat ein Klientelsystem geschaffen, in dem die zahlreichen Posten beim Staat nach Parteibuch und Kontakten vergeben werden. Und kaum jemand möchte die Hand beissen, die ihn füttert. Vor allem deswegen ist es wahrscheinlich, dass Milo Dukanović bald auf sein dreissigstes Amtsjahr zusteuert.