Deutsch lernen ohne Schweizer Kinder

Spielerisch und mit viel Wiederholungen lernen fremdsprachige Kinder seit einem Jahr Deutsch. Die frühe Deutschförderung zeigt positive Auswirkungen: Was fehlt, ist der Kontakt zu deutschsprachigen Kindern.

Herbststimmung: Der Herbst ist das Thema in der Spielgruppe Äntli. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Spielerisch und mit viel Wiederholungen lernen fremdsprachige Kinder seit einem Jahr Deutsch. Die frühe Deutschförderung zeigt positive Auswirkungen: Was fehlt, ist der Kontakt zu deutschsprachigen Kindern.

Ein Kinderlied durchdringt die Spielgruppe Äntli an der Lothringerstrasse 110. Die Spielgruppen-Leiterinnen, Brigitte Baier und Doris Inan, sitzen mit fünf Kindern im Kreis und stimmen das Guten-Morgen-Lied an. Auf Baseldeutsch singend begrüssen sie alle Kinder mit ihrem Vornamen. Die Dreijährigen kennen das Lied, denn es gehört zum Morgenritual der Spielgruppe. 

Die Kleinen, die an diesem Morgen an der Lothringerstrasse sind, sprechen Albanisch, Türkisch, Ungarisch und Portugiesisch. Deutsch müssen sie aber erst noch lernen. «Die meisten Kinder kommen mit praktisch null Deutschkenntnissen zu uns», sagt Baier. 

Die fremdsprachigen Kinder müssen sich beeilen, denn in einem Jahr kommen die Kleinen in den Kindergarten. Die Spielgruppe besuchen sie, weil ihre Deutschkenntnisse gemäss Evaluation des Erziehungsdepartements (ED) für den Kindergarten nicht genügen. Damit dieser Rückstand aufgeholt werden kann und um den fremdsprachigen Kindern die gleichen Chancen zu geben wie deutschsprachigen, hat das ED im Jahr 2008 ein Förderprogramm lanciert

Spielerisch zur deutschen Sprache

Ziel des Förderprogramms ist, dass die fremdsprachigen Kinder spielerisch Deutsch lernen und dadurch besser auf den Kindergarten vorbereitet sind. Seit August 2013 ist die frühe Deutschförderung Pflicht: Die Kleinen müssen an zwei Halbtagen pro Woche eine externe Betreuungsstelle besuchen. Dieses Jahr wurden 592 Basler Dreijährige, deren Deutschkenntnisse für den Kindergarten nicht ausreichen, in eine Spielgruppe oder ein Tagesheim geschickt. 

Nach dem Morgenritual geht die Sprachförderung in der Spielgruppe Äntli weiter. Die Kleinen sitzen mit den zwei Leiterinnen im Kreis. Baier nimmt ein farbiges Stofftuch hervor und stellt einen Korb in die Mitte des Kreises. «Wer ist so mutig und fängt an?», fragt die Spielgruppen-Leiterin in die Runde. Tapfer steht ein Mädchen in den Kreis, Baier hängt ihm einen Stoffumhang um und es läuft mit einem Korb in der Hand durch das Zimmer. Ein weiteres Lied wird gesungen:

«Der Herr Oktober, der reichste Mann, den es gibt. Er bringt uns in seinem Körbchen viele schöne Geschenklein mit.»

«Der Kreis ist Teil unserer Sprachförderung», sagt Baier, «aber das Deutschlernen findet auch ausserhalb des Kreises statt.» Denn die Sprachförderung beginnt bereits bei der Eingangstür, wenn die Kinder mit einem «Guten Morgen» begrüsst werden. Die Betreuerinnen der Spielgruppe Äntli setzen auf Wiederholungen. Die Abläufe wie das Singen und das Kreisspiel seien immer gleich, damit die Kinder die Sprache verinnerlichen können. «Durch die immer gleichen Sequenzen soll die Sprache bei den Kindern gefestigt werden», erklärt Baier.

Als das Mädchen nach seinem Rundgang wieder zurück in den Kreis kommt, holt es einen Wachsapfel aus dem Korb und streckt ihn der Spielgruppenleiterin hin. «Ein Apfel», sagt Baier fragend und wiederholt: «Ein Apfel.» Das Mädchen setzt sich zufrieden zurück in den Kreis und das nächste Kind ist an der Reihe.

«Die Sprachförderung ist kein Unterricht», meint Baier. Es seien keine Vokabelabfragen, die auf die Dreijährigen in der Spielgruppe warten. «Denn das frustriert und überfordert die Kinder nur», erklärt die Leiterin. Es sei auch für die Eltern wichtig zu wissen, dass die Sprachförderung kein umfangreiches Lernprogramm sei. Vielmehr sei die Sprachförderung spielerisch in den Morgen integriert.

Deutschförderung nützt, aber nur beschränkt

Den Erfolg der frühen Deutschförderung in externen Betreuungsstellen hat die Psychologische Fakultät der Universität Basel evaluiert. Die Forscher haben die Deutschkenntnisse von 1685 Basler Kindern erhoben und festgestellt, dass vier von fünf Kindern mit einem Migrationshintergrund eine Sprachförderung benötigen.

Zudem haben die Psychologen auch die Veränderung der Sprachkenntnisse fremdsprachiger Kinder, die eine externe Bildungseinrichtung besucht haben, von 2009 bis 2012 untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass sich zwei Halbtage in einer Spielgruppe oder einem Tagesheim positiv auf die Deutschkenntnisse der fremdsprachigen Kinder auswirken.

Die Studie macht aber auch deutlich, dass die Deutschkenntnisse der fremdsprachigen Kinder trotz des Förderprogramms deutlich geringer sind als bei ihren deutschsprachigen Altersgenossen.

Für die Psychologen ist klar, dass zwei Halbtage pro Woche nicht ausreichen, um den Abstand gegenüber den Kindern mit Deutsch als Muttersprache aufzuholen. Den Forschern zufolge würden die fremdsprachigen Kinder am meisten von der Deutschförderung profitieren, wenn sie 20 Stunden pro Woche extern betreut würden.

«Eine stärkere Durchmischung wäre wünschenswert», meint Betreuerin Baier: «Kinder lernen viel schneller von anderen Kindern als von Erwachsenen.»

Baier ist nicht erstaunt, dass die Kinder nach einem Jahr noch nicht perfekt Deutsch sprechen. Aber sie ist überzeugt, dass der Übergang in den Kindergarten für die Kinder einfacher ist. «Durch die Zeit in der Spielgruppe kennen die Kleinen bereits die Abläufe und haben schon ein wenig Deutsch gelernt», erklärt die Spielgruppen-Leiterin.

Nach dem Kreisspiel setzen sich die Kleinen an den Tisch und essen Znüni. Alle haben eine Frucht mitgebracht. Ein Kind holt eine Banane aus dem Rucksack und Baier bemerkt sofort: «Eine Banane, sehr schön.» Ein anderes Kind packt eine Birne aus, und auch bei dieser Frucht lässt die Benennung nicht lange auf sich warten.



Znüni-Essen in der Spielgruppe Äntli: Die Kleinen sehen interessiert zu, wie die Spielgruppen-Leiterin einen Apfel schält.

Znüni-Essen in der Spielgruppe Äntli: Die Kleinen sehen interessiert zu, wie die Spielgruppen-Leiterin einen Apfel schält. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Für die Leiterinnen ist es wichtig, ihre Sprache bewusst zu verwenden. Die Sprache dürfe nicht gekünstelt sein, aber es sei sehr wichtig, die Handlungen immer wieder zu kommentieren. «Bei einem deutschsprachigen Kind würde man das vielleicht nicht so stark machen», räumt Baier ein.

Deutsch lernen die Kleinen von den beiden Betreuungspersonen, gleichaltrige deutschsprachige Kinder fehlen. «Wir sind für die Kinder Sprachvorbilder», sagt Baier, «wir sind hier die Einzigen, die Deutsch sprechen.»

Gefragt sind Kontakte ausserhalb der Familie 

«Eine stärkere Durchmischung wäre wünschenswert», meint Baier, «denn Kinder lernen viel schneller von anderen Kindern als von Erwachsenen.» Auch in der Studie der Universität Basel wird betont, dass sich die Deutschkenntnisse der Kinder verbessern, je häufiger sie Kontakt mit deutschsprachigen Kindern haben.

Die Analysen der Universität Basel zeigen sogar, dass die Deutschkenntnisse der anderen Familienmitglieder weniger relevant sind als die Kontakte mit deutschsprachigen Personen ausserhalb der Familie. Auch für Herbert Knutti, Leiter der Fachstelle frühe Deutschförderung, stellt sich die Frage, wie die Spielgruppen in Zukunft besser durchmischt werden könnten.

Bereits bei den Kleinen zeigt sich, dass (sprachliche) Integration ohne die Interaktion zwischen fremdsprachigen und deutschsprachigen Personen nicht auskommt. Um ihr Deutsch weiter zu verbessern, bräuchten die fünf Dreijährigen aus der Spielgruppe Äntli auch deutschsprachige «Gspänli». Kurz nach dem Znüni ist das aber für einen Moment egal. Die fünf turnen fröhlich in der Leseecke herum, blättern in Büchern und spielen miteinander. Auch ohne gemeinsame Sprache.

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