Deutsche Ärzte meiden die Schweiz – nur Basel hat ein Herz für sie

Deutschschweizer Spitäler sollen wegen Fremdenfeindlichkeit gegen deutsche Staatsbürger verschärft unter Fachkräftemangel leiden. Basel-Stadt ist davon allerdings nicht betroffen – im Gegenteil.

Man mag «Schwoobe»-Witze reissen – aber man mag sie: Basel hat ein Herz für deutsche Ärzte.

(Bild: Nils Fisch)

Allein im Gesundheitssektor werden in der Schweiz bald 85’000 Fachkräfte fehlen, so ein Befund, der am Basel Economic Forum 2016 zu reden gab. Die Schweiz wird in nächster Zukunft – noch viel mehr als heute – auf die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte angewiesen sein. Unter diesen Umständen erschreckt der Bericht der NZZ vom Dienstag umso mehr: «Deutsche Ärzte fürchten Schweizer Ressentiments», titelte die Zeitung.
Die Symptome: Deutsche Ärzte blieben der Schweiz eher fern – oder sie kehrten ihr gar den Rücken zu. 2015 haben laut BAG 126 deutsche Ärzte ihre Berufsbewilligung in der Schweiz wieder abgegeben – die Mehrheit von ihnen noch keine 50 Jahre alt. Diese Ärzte sind, davon ist auszugehen, wieder nach Deutschland zurückgereist.

Ist die Deutschschweiz krank?

Die Diagnose: «Die Fremdenfeindlichkeit, die offenbar ein Teil der deutschen Zuwanderer zu spüren bekommt», so die NZZ. So würden deutsche Ärzte auf Foren für Berufskolleginnen und -kollegen potenzielle Stellensuchende vor Jobs in der Schweiz warnen. Einige der Erfahrungsberichte, die der Zeitung vorliegen, geben zu denken: Ein Zahnarzt berichtet vom Mobbing gegen seine Frau – seine Kinder seien in der Schule als «blöde Nazis» beschimpft worden. Eine Ärztin beschreibe das Land wie folgt: «Die Schweiz ist gut für Menschen ohne Kinder, Humor und Moral, die ist durch Geld ersetzt.»

Hysterie? Oder liegt im Staate Schweiz wirklich eine Erkrankung vor? Laut Julia Balensiefen von der Firma B-Plus, die Ärzte für Schweizer Praxen und Spitäler rekrutiert, trifft der Befund laut NZZ zu: «Es ist für uns deutlich schwieriger geworden, Deutsche zu finden, die bereit sind, in einem Schweizer Spital zu arbeiten oder eine Praxis zu übernehmen.»

Balensiefen bestätigt ihre Aussage gegenüber der TagesWoche: Es gebe in der Schweiz zwei «völlig unterschiedliche Märkte» mit «ganz klaren Unterschieden»: Die Romandie und die deutsche Schweiz. Die Ärzte-Vermittlerin: «Deutsche Ärzte, die wir in Spitäler in die Westschweiz vermitteln, haben nie solche Probleme, im Gegenteil. Aber wir hören Klagen über solche Situationen in der deutschen Schweiz.» 

«Das Problem stellt sich in Basel nicht»

Was Balensiefen nicht sagen kann: Ob es Unterschiede zwischen verschiedenen Deutschschweizer Regionen gibt. Das sehe sie in ihren Dossiers nicht. Sicher ist nur: Die schlechte PR über die unfreundlichen Schweizerinnen und Schweizer östlich des Rösti-Grabens bleibt nicht ohne Folgen. Ein potenzieller deutscher Einwanderer hat sich laut NZZ schon entschieden, «Zürich und Basel zu meiden».

Dazu gibt es allerdings – zumindest, was Basel betrifft – nicht den geringsten Grund, wie ein Blick in die Zahlen beweist. «Das Problem, wie es in der NZZ dargestellt wurde, stellt sich bei uns nicht», sagt Martin Jordan, Mediensprecher des Universitätsspitals Basel-Stadt.

Tatsächlich: Der Anteil der deutschen Ärztinnen und Ärzte ist am USB von 2013 bis Juli 2016 leicht angestiegen, von 39,1 Prozent auf 39,8 Prozent; der Gesamt-Anteil der deutschen Mitarbeitenden (inkl. Pflege) stieg im selben Zeitraum von 26 auf 27,4 Prozent. Zum Vergleich: Schweizweit haben laut dem Schweizerischen Ärzteverband FMH 17,7 Prozent der Ärzte einen deutschen Pass.

Chefarzt Herzchirurgie: «Sehr freundlich aufgenommen»

Dass Basel ein Herz für deutsche Ärzte hat, durfte der Chefarzt Herzchirurgie des Universitätsspitals Basel am eigenen Leib erfahren: Professor Friedrich Eckstein sagt: «Auf meine Erfahrung trifft der Bericht der NZZ nicht zu.»

Eckstein, mit seiner Familie wohnhaft in Riehen, seit 2008 am USB, sei «sehr freundlich aufgenommen» worden: «Die Menschen hier sind nett und umgänglich, das gilt sowohl fürs Private als auch hier im Spital.» Der Herzchirurg ist Vizepräsident der Schweizerischen Gesellschaft für Herz- und thorakale Gefässchirurgie. Auch hier gelte, was im Spital Alltag sei: «Es geht nicht um die Nationalität, sondern um die Kompetenz.» Eckstein betont: «Auch in Bern habe ich nichts Negatives erlebt, da war ich von 1999 bis 2008. Wir haben uns auch da sehr wohl gefühlt.» 

«Schwoobe»-Witze

Eins könne man nicht ändern, sagt Eckstein: «Wenn man nicht Dialekt spricht, dann outet man sich als Deutscher.» Aber er betont: «Feindseligkeit habe ich persönlich deswegen noch nie erlebt.» Es sei halt so mit Dialekten: «Ein Schwabe hat es in Bayern auch nicht leicht, und in Hamburg auch nicht – es gibt sprachliche Ressentiments.»

Zwar mag es an der Fasnacht «Schwoobe»-Witze geben, aber: «Die Badener machen ja auch Witze über die Schweizer. Gleichzeitig sind auch in den deutschen Grenzstädten und Restaurants sehr viele Schweizer anzutreffen. Und als Deutscher wird man hier in Basel in den Geschäften und Restaurants freundlichst bedient. Von Fremdenfeindlichkeit keine Spur.»

Fachkräftemangel

«In Zürich ist es womöglich etwas anders», sagt Friedrich Eckstein, «aber durch Basels Lage am Dreiländereck gibt es hier schon von vornherein einen anderen Mix und eine andere Mentalität.» Die Schweiz müsse aufpassen, dass sie nicht mit schlechter Presse an Attraktivität verliere.

Der zunehmende Fachkräftemangel bereite auch ihm Sorgen – denn anders als noch vor wenigen Jahren bewerben sich lange nicht mehr so viele Ärzte auf offene Stellen – auch viel weniger deutsche Ärzte. Das habe aber sicher nichts mit der Stimmung am Unispital zu tun, sondern mit der veränderten konjunkturellen Lage in Deutschland selbst: «Deutschland hat selbst ein Problem mit Fachkräftemangel – es gibt auch in Deutschland zu wenige deutsche Assistenzärzte.»

Sind Sie deutscher Staatsbürger und leben und/oder arbeiten Sie in der Schweiz? Wie sind Ihre Erfahrungen mit Schweizerinnen und Schweizern im Alltag und im Beruf? Sind die im NZZ-Artikel geschilderten Ressentiments ein Thema, oder haben Sie negative Erlebnisse machen müssen aufgrund Ihrer Nationalität? Oder wurden Sie im Gegenteil freundlich aufgenommen? Wir sind an Ihren Erfahrungen interessiert.Senden Sie uns einfach eine E-Mail mit dem Betreff «DE–CH», Ihren Erfahrungen sowie Ihren Kontaktangaben an redaktion@tageswoche.ch. Alle persönlichen Angaben werden vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben.

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