Warum alte Schweden lieber arbeiten als Schweizer – und warum das wohl so bleiben wird

Am Basel Economic Forum zum Thema «Aging und Arbeitswelt» war zu erfahren, warum es viele Schweizerinnen und Schweizer nicht lange bei der Arbeit hält – obwohl das aufgrund der Überalterung nötig wäre. Doch viel Wille zur Veränderung war nicht zu spüren.

Diverse Studien zeigen: Ältere Arbeitende sind – bei richtiger Förderung – in jedem Team vorne mit dabei. In Schweden haben sie's am Besten.

(Bild: Jacob Wackerhausen)

Am Basel Economic Forum zum Thema «Aging und Arbeitswelt» war zu erfahren, warum es viele Schweizerinnen und Schweizer nicht lange bei der Arbeit hält – obwohl das aufgrund der Überalterung nötig wäre. Doch viel Wille zur Veränderung war nicht zu spüren.

Letzten Freitag wurde am Basel Economic Forum (BEF) eine neue Studie des Basler Think-Tanks Metrobasel mit dem Titel «Aging Workforce: Das Potenzial erkennen und mobilisieren» veröffentlicht. Das BEF 2016 widmete sich vollumfänglich diesem Thema. Denn die Frage, wie man ältere Angestellte länger im Arbeitsprozess halten kann, beschäftigt Gesellschaft, Forschung, Politik und Wirtschaft gleichermassen.

«Schon bald werden allein im Schweizer Gesundheitswesen 85'000 Fachkräfte fehlen»: Metrobasel-Direktorin Regula Ruetz führte durch das Basel Economic Forum 2016. (Im Hintergrund: Prof. Dirk Hofäcker (l.) und Prof. Joachim Möller).

Warum das so ist, brachte Metrobasel-Direktorin Regula Ruetz bei der Eröffnung des BEF prägnant auf den Punkt: Die Gesellschaft der Industrieländer, auch der Schweiz, werde in den nächsten zehn Jahren «massiv altern». Schon heute würden mehr Menschen aus dem Arbeitsprozess austreten, als Junge (Zuwanderung ausgenommen) eintreten. Woher sollen die nötigen Fachkräfte kommen, wenn auch die umliegenden Industrienationen überaltern? Ruetz rechnete vor, dass in Kürze allein im Schweizer Gesundheitswesen 85’000 Fachkräfte fehlen werden. 

Es täten sich darum, so Ruetz, viele Fragen auf – etwa auch, welche fiskalischen oder regulatorischen Anpassungen es von Seiten der Politik brauche. Dazu ganz allgemein, wie und welche Anreize es brauche, «damit das vorhandene Wissen und die Erfahrung älterer Mitarbeiter den Unternehmen erhalten bleibt».

Wechselbad der Gefühle vom Experten

Bemerkenswert die wissenschaftlichen BEF-Vorträge am Morgen: Auch in Deutschland (Medianalter der Bevölkerung 2013: 44,5 Jahre) werde die Bevölkerung schnell und «massiv» älter, sagte Professor Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA). Das habe aber weitreichendere Folgen als «mehr Rollatoren, mehr Medikamente, weniger Surfbretter».

«Die Alterung ist nicht aufhaltbar, aber der gesellschaftliche Wandel ist gestaltbar» – Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg (D).

Nein, vielmehr werde sich durch die Überalterung die Bevölkerungsstruktur des ganzen Landes verändern: Junge ziehen in die Zentren, während ländliche Gebiete überaltern. «Solche Effekte wird es in der Schweiz auch geben: Dass Metropolen wie Basel Zuwanderungseffekte haben werden, während das für ländliche Regionen nicht gilt», sagte Möller.



Deutschland ist vom selben Problem betroffen wie die Schweiz: Rot bedeutet älter – die Karte rechts zeigt das Land im Jahr 2030.

Deutschland ist vom selben Problem betroffen wie die Schweiz: Rot bedeutet älter – die Karte rechts zeigt das Land im Jahr 2030. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Die Botschaft des Wirtschaftswissenschaftlers war trotz Besorgnis erregender Ausgangslage eine hoffnungsvolle. Alles könne gut kommen, wenn die Politik die richtigen Weichenstellungen vornehme. «Die Alterung ist nicht aufhaltbar, aber der gesellschaftliche Wandel ist gestaltbar», lautete Möllers wissenschaftlich fundiert vorgetragene Kernbotschaft. «Wir haben die politischen Instrumente», so Möller, um – «im Zusammenspiel mit den Sozialpartnern» und «mit konzertierten Aktionen zwischen den Unternehmen» – ideale Bedingungen zu schaffen.

Alte Schweden arbeiten zufrieden

Besser als den Deutschen oder den Schweizern gehe es älteren Schweden – das führte Prof. Dirk Hofäcker vom Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik der Universität Duisburg-Essen in seinem Vortrag aus. Der Soziologe und Volkswirtschaftler konnte anhand eines Ländervergleichs zwischen Deutschland, Estland, Österreich und Schweden vier unterschiedliche Situationen aufzeigen – wobei die Situation in der Schweiz am ehesten mit der in Deutschland zu vergleichen sei.

Die aufgezeigten Unterschiede enthielten politischen Sprengstoff: So konnte Hofäcker zeigen, dass zwar in allen Ländern die Zahl der Erwerbstätigen in der Gruppe der 60- bis 64-Jährigen zwischen 2000 und 2014 anstieg. Trotz der (je nach Land unterschiedlich stark) erhöhten Teilnahme der Älteren am Arbeitsmarkt wurden laut Hofäcker aber neue soziale Ungleichheiten geschaffen.

«Es besteht Handlungsbedarf, auch in der Schweiz»: Dirk Hofäcker, Professor am Institut für Soziale Arbeit und Sozialpolitik der Universität Duisburg-Essen (D).

In Deutschland hat sich die Quote der Erwerbstätigen unter den 60- bis 64-Jährigen zwischen 2000 und 2014 mehr als verdoppelt, sie stieg von 27,7 auf 59,4 Prozent. Allerdings zeige sich in Deutschland, wie Hofäcker erklärte, dass Arbeitende mit tiefem oder mittlerem Bildungsabschluss nach wie vor aus finanziellen Gründen über das Ruhestandsalter hinaus weiterarbeiten – nur die Menschen mit höherem Bildungsabschluss arbeiten, weil sie es wollen.

Von den untersuchten Ländern zeigt einzig das Beispiel Schweden ein völlig anderes Bild. Schweden bietet zwar einerseits wenig finanzielle Anreize für eine Frührente – dafür aber eine verordnete, dauernde Weiterbildung sowie gezielte staatliche Förderung und diverse Programme für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmender.

Das Resultat: ein Beschäftigungsgrad der Gruppe der 60- bis 64-Jährigen von fast 70 Prozent. Und bei der Angabe von Gründen für die Arbeit über das Ruhestandsalter hinaus zeigt sich in Schweden bei allen Bildungsschichten: Nur eine Minderheit arbeitet aus finanziellen Gründen weiter. Die alten Schweden arbeiten grossmehrheitlich über das Pensionsalter hinaus, weil sie es können – und weil sie es wollen.

Was Hofäcker damit aufzeigte, ist die Tatsache, dass staatliche Regulierungsmassnahmen zum Umgang und zur Förderung von älteren Arbeitnehmern nicht etwa zu mehr Unfreiheit, sondern zu grösserer Freiheit für die individuellen Arbeitnehmer führen, bei gleichzeitig höchstem Beschäftigungsgrad aller untersuchten Länder.

Handlungsbedarf in der Schweiz

Hingegen sehe man in Deutschland – «und das lässt sich wohl durchaus auf die Schweiz übertragen», so Hofäcker – «qualitativ noch Defizite: Personen mit geringer Bildung drohen abgehängt zu werden», und nach wie vor verblieben «deutliche Ungleichheiten im Ruhestandsübergang respektive in der Notwendigkeit einer Weiterarbeit bis zum Ruhestandsalter oder darüber hinaus».

Dieses Problem konstatierte Hofäcker in der anschliessenden Diskussion verstärkt im Bezug auf die Schweiz. Er sagte, die vergleichsweise hohe Erwerbsquote älterer Schweizer sei zwar auf die Ansätze zur Privatisierung des Rentensystems zurückzuführen – «was dann aber genau zu dem Problem geführt hat, was wir auch gesehen haben», nämlich dass auch in der Schweiz mehr und mehr Leute nicht ausreichend versichert seien, sodass sie «gezwungenermassen über das Rentenalter hinaus arbeiten. Wir sehen in der Schweiz tatsächlich, dass bei den gering Gebildeten die grösste Wahrscheinlichkeit zur Weiterarbeit erkennbar ist – aber bei den gering Gebildeten ist auch die grösste Wahrscheinlichkeit zu erkennen, dass sie unfreiwillig weiterarbeiten.»

Auf die Frage, ob die geplante Senkung des Umwandlungssatzes in den Schweizer Pensionskassen – mit entsprechend tieferen Renten – zur Folge hätte, dass mehr Menschen aus finanziellen Überlegungen länger arbeiten werden, sagte Hofäcker: «Ja: Nach dem, was unsere Modelle zeigen, ist das tatsächlich ein zentraler Punkt.» Doch wie das Beispiel Schweden zeige, müsse das nicht so sein: «Die Herausforderung ist es, das politisch so zu gestalten, dass das Arbeiten nicht zu einer erzwungenen Pflicht wird, sondern mit den eigenen Qualifikationen und guten Arbeitsbedingungen im Einklang steht.»

Er selbst sei überrascht gewesen vom Ausmass der Unterschiede zwischen den untersuchten Ländern, sagte Hofäcker zur TagesWoche. «Eine Teilliberalisierung des Rentensystems ist unumgänglich», sagte er weiter, «aber meiner Ansicht nach ist es zentral, dass die sozialen Faktoren berücksichtigt werden», sprich, dass Weiterarbeit kein Müssen, sondern ein Dürfen ist. Dafür gebe es laut diverser Studien auch wirtschaftliche Gründe.

Die Metrobasel-Studie

Das bisher Gehörte wurde durch die Erkenntnisse der Studie des Think-Tanks Metrobasel «Aging Workforce: Das Potenzial erkennen und mobilisieren» untermauert. Studien-Mitverfasserin Dr. Monika Engler von der HTW Chur trug einige der wesentlichen Erkenntnisse vor.

«Lernen, das Potenzial der älteren Arbeitenden zu nutzen»: Monica Engler, Mit-Studienverfasserin, Dozentin und Projektleiterin am Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung der HTW Chur.

Grundlage der Studie bildet eine breite Befragung von Angestellten und Vorgesetzten der Schweizer Unternehmen Novartis und SBB. Sowohl die Mitarbeiter als auch die Vorgesetzten beantworteten Fragen zu Themen wie Motivation, Sinnhaftigkeit, Weiterbildung, Image, monetären Anreizen, Leistungsbereitschaft, Arbeitsbedingungen, Mitarbeiterförderung, Weiterbildung, der Einstellung gegenüber älteren Mitarbeitenden und viele weitere mehr.

Die Resultate machen nachdenklich: In der Schweiz sind schon 33 Prozent der 30- bis 39-jährigen Befragten wenig zuversichtlich, dass sie ausserhalb der derzeitigen Firma rasch eine neue Arbeitsstelle finden würden. Bei den 50- bis 59-Jährigen denken 73 Prozent, kaum eine Chance auf eine neue Stelle zu haben. Gleichzeitig schätzen ältere Arbeitnehmer ihre Kompetenzen und ihre Leistungsfähigkeit – wie die jüngeren – als hoch ein.

Laut der Studie plant über die Hälfte der über 50-Jährigen eine vorzeitige Pensionierung – auch das stimmt nicht gerade hoffnungsvoll bezüglich des Vorhabens, Fachkräfte länger im Arbeitsprozess zu halten. Nur: Von diesen 50 Prozent schliessen «nur 20 Prozent einen längeren Verbleib gänzlich aus», heisst es in der Studie weiter. Des Weiteren zeigt die Studie, dass fast neun von zehn der Angestellten, die bis zum Erreichen des AHV-Alters arbeiten wollen, grundsätzlich offen sind gegenüber der Vorstellung, darüber hinaus weiterzuarbeiten – wenn die Bedingungen stimmen.

Bedingungen für längeres Arbeiten

Eben: Die Bedingungen müssten stimmen – hier liegt der Hund begraben. Gute Bedingungen lassen sich laut Studie mit den drei Schlagworten «mehr Selbstbestimmung», «unverändert interessante Inhalte» sowie «Wertschätzung» beschreiben. So liege der Schlüssel zur längeren Erwerbstätigkeit, wie es die Studie formuliert, in der «Eigeninitiative der Mitarbeitenden».

Eigeninitiative, wie sie hier gemeint ist, bedeutet, Einflussnahme auf Inhalt und Ausführung des Berufs: «Job Crafting», die Einflussnahme auf die persönliche Arbeitssituation. Die Eigeninitiative, so die Studie, sei «der zentrale Ansatzpunkt», denn: «Mitarbeitende, die aktiv Einfluss auf die Arbeitsinhalte und -umgebung nehmen, bleiben insgesamt länger im Erwerbsprozess. Um das Potenzial der älteren Arbeitskräfte zu nutzen, ist dem inneren Antrieb und der Eigeninitiative deshalb grosse Beachtung zu schenken.»

Die konkreten Massnahmen, die die Studie vorschlägt, betreffen rein innerbetriebliche Bereiche. Im Zentrum stehen die älteren Mitarbeitenden selbst, die «eine aktive Rolle in der Gestaltung ihrer Arbeitsinhalte, Arbeitsbeziehungen und Arbeitserfahrungen wahrnehmen, so dass die Arbeit besser auf ihre Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnisse abgestimmt wird».

Alles nicht so schlimm?

Die politischen Vertreter am BEF signalisierten danach vor allem eins: Es sei womöglich alles nicht so schlimm. Regierungsrat Thomas Weber (SVP), Vorsteher der Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion des Kantons Basel-Landschaft – einem Kanton, dem eine massive Überalterung bevorsteht – betonte, in der Gruppe 50plus sei die Arbeitslosigkeit tiefer als bei der Gesamtbevölkerung, was einem langjährigen Trend entspreche.

«Bei der Gruppe 50plus liegt Arbeitslosenquote tiefer als bei der Gesamtbevölkerung. Das entspricht einem langjährigen Trend.» Thomas Weber, Regierungspräsident des Kantons Basel-Landschaft.

Die Arbeitslosigkeit sei aber, wenn sie einmal eintreffe, im Schnitt von längerer Dauer. Dafür gebe es aber «sehr unterschiedliche Gründe», etwa die von «langjährigen Laufbahnen ohne Weiterentwicklung» – Gründe können laut Weber aber «auch fehlende Offenheit, mangelnde Flexibilität oder auch Gesundheit» sein.

Die Empfehlungen der OECD-Studie zu Alter und Beschäftigung in der Schweiz würden schon «weitgehend umgesetzt», so Weber, der darauf mehrere im Kanton Basel-Landschaft laufende Programme aufzählte: Die Einarbeitungs-Zuschüsse (Stellensuchende, die eine spezifische Einarbeitung in ein Fachgebiet benötigen, können Zuschüsse vom RAV erhalten), das Programm Tandem 50 plus, finanziert durch den Bund, das es im Baselbiet seit Oktober 2015 gibt, das Beratungsangebot Chance 45 plus respektive Chance 55 plus der kantonalen Arbeitsmarktbehörde sowie weitere Workshops und Beratungen von RAV und RAV plus.

Regulieren? Ja nicht

Auch Dr. Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, betonte, die Schweiz schneide im OECD-Vergleich überdurchschnittlich gut ab, was den Beschäftigungsgrad der Über-50-Jährigen betreffe. Zudem werde das inländische Potenzial von 50 plus immer besser ausgeschöpft: Zwischen 2010 und 2015 seien in dieser Gruppe rund 40’000 Vollzeitäquivalente dazugekommen.

«Das Geheimnis unseres Erfolges liegt vor allem darin, dass wir in der Schweiz immer wieder den Strukturwandel mitgemacht und angekommen haben»: Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO).

Sind demnach die Sorgen von 50 plus bezüglich des Arbeitsmarkts nur Einbildung und Gefühl, und es gibt gar kein Problem? Zürcher: «Wenn die objektiven Fakten sagen: Es gibt kein Problem, dann heisst das noch lange nicht, dass es kein Problem ist, das wissen die Politiker. Wenn die Leute das Gefühl haben, das sei ein Problem – womit ich noch lange nicht sagen will, dass es keins sei, dass ich richtig verstanden werde – und wenn das Gefühl eben dominiert, dann ist es eben ein Problem. Und dann ist die Politik auch gefordert, etwas zu tun», sagte der Leiter der Direktion für Arbeit.

Aber was soll die Politik tun? Vor allem, wenn es kein Problem ist, das eben aus angeblich nur gefühlten Gründen doch eins ist?

Schrankenloser Strukturwandel

«Das Geheimnis unseres Erfolges liegt vor allem darin, dass wir in der Schweiz immer wieder den Strukturwandel mitgemacht und angenommen haben», dozierte Zürcher. Den müsse man als kleines Land mitmachen – und zudem sei auch die Bereitschaft, «den Strukturwandel willkommen zu heissen», sehr hoch. Schon aufgrund der Institutionen der Schweiz sei es «nicht möglich, dass eine Gruppe den technischen und wirtschaftlichen Strukturwandel dauerhaft aufhalten kann».

Der «Strukturwandel» – oder was auch immer den Menschen eingebildete Sorgen macht oder eben keine –, ist nach Zürchers Sicht der Dinge eine Art Naturgewalt, auf die keine noch so erfolgreiche Volkswirtschaft einen Einfluss hat. Man kann sich nur besser oder schlechter auf ihn einstellen (etwa, indem man viel für Bildung ausgibt, was in einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft unabdingbar sei).

In der Diskussion wurde Zürcher noch deutlicher, wie er seine Aufgabe sieht: «Als Wirtschaftsminister ist man eigentlich angestellt, um nichts zu machen, die Marktmechanismen laufen von selbst», flachste er. Und fügte, nicht ohne Widerspruch, an: «Aber das ist nicht der Punkt: Es gibt Massnahmen, und die sind erfolgreich. Bei den Älteren gibt es Potenziale.» So gebe es durchaus noch «ein paar 100’000 Leute, die keine nach-obligatorische Bildung haben, da kann man sicher noch etwas machen». Auf Zuwanderung werde die Schweiz mit ihren international ausgerichteten Unternehmen aber so oder so angewiesen bleiben.

Und sollte einer der anwesenden Wirtschaftskapitäne den Vertreter des Schweizer Staates noch nicht verstanden haben, fügte Zürcher an: «Man muss die Rollenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft in dieser Frage genau ausdifferenzieren. Der Staat sollte in erster Linie gute Rahmenbedingungen machen und nicht negative Erwerbsanreize setzen, sei es über steuerliche Sachen oder Regulierungen. Das ist die Hauptaufgabe.»

Die Studie wird von Unternehmen genutzt

Der Kontrast zum wissenschaftlich belegten Votum «der gesellschaftliche Wandel ist gestaltbar» von Joachim Möller von der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland und Boris Zürchers Vortrag am Nachmittag hätte nicht grösser sein können. Darauf eingegangen wurde am BEF allerdings nicht. Dem Zuhörer blieb nur das Fazit, dass von der Schweizer Politik – jedenfalls, wenn es nach dem Seco oder der Baselbieter Volkswirtschaftsdirektion geht – kaum Schritte zu erwarten sind, die Schweiz Richtung schwedisches Paradies für ältere Arbeitnehmer hin zu entwickeln.

«Mitarbeiter wollen mit zunehmendem Alter zum stützenden Muskel eines Unternehmens werden»: Thomas Bösch, Head HR Switzerland Novartis Pharma AG.

Immerhin scheint die Metrobasel-Studie bei den beteiligten Unternehmen konkrete Schritte auszulösen. Jedenfalls sagte Dr. Thomas Bösch, Human-Resources-Chef von Novartis Schweiz, die Studie helfe, das Problem anzugehen. Schliesslich spüre auch Novartis den drohenden Fachkräftemangel.

Bösch sagte, es gebe in Betrieben nach wie vor das Vorurteil «jung und dynamisch» – doch würde bei Novartis seit einigen Jahren «viel stärker differenziert» beim Anstellungsprozess, neue Rollen würden definiert, und ältere Bewerberinnen und Bewerber nicht von vornherein ausgeschlossen. Es habe sich bei den «Anforderungsprofilen» bei zu besetzenden Stellen jedenfalls viel getan.

Es sei, und auch das habe die Studie ja gezeigt, ein dauernder Prozess, den es zu begleiten gelte: Mitarbeiter wollten mit zunehmendem Alter nicht zur Last, also im übertragenem Sinne zum «Fett» am Körper des Unternehmens werden, sondern zum stützenden «Muskel»: «Als Unternehmen haben wir grossen Einfluss darauf, ob sich jemand als Muskel oder verlängerter Rücken fühlt. Und da müssen wir ansetzen.»

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