Angela Merkel macht Gregor Gysi Eindruck. Doch durch ihren Kurs der gesellschaftlichen Öffnung und die Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen kommt die CDU von rechts unter Druck.
Wenn jemand die politische Szene in Deutschland beherrschen kann, dann die Konservativen unter Angela Merkel. Vor einem Jahr hätte ich diesen Satz vielleicht noch unterschrieben, auch wenn es mich geärgert hätte, dass dem so sei. Diese Einschätzung resultierte aus zwei Beobachtungen.
Erstens, Angela Merkel ist es gelungen, die CDU gesellschaftspolitisch zu modernisieren. Frauen, die trotz Familie eine berufliche Karriere anstreben, sind inzwischen etwas Normales und werden gesellschaftlich akzeptiert. Dass die CDU da nachholte, war überfällig. Homosexuelle werden von der deutschen Gesellschaft nicht als Bedrohung der bürgerlichen Familie betrachtet, auch das hat die CDU begriffen. Schliesslich hat sich die CDU migrationspolitisch modernisiert und akzeptiert, dass es in Deutschland Menschen muslimischen Glaubens gibt.
Diese Modernisierungen stehen pars pro toto für den Kurs der Bundeskanzlerin, aus dem Erscheinungsbild des deutschen Konservatismus die letzten reaktionären Elemente zu tilgen. Kurz gesagt: Auch dem urbanen Bürgertum soll es möglich sein, CDU wählen zu können, ohne dass es ihm peinlich ist. Zur Modernisierungspolitik gehört auch, die neoliberale Ausrichtung sozialpolitisch zu flankieren: Diejenigen sozialen Gruppen, auf die man meint, nicht verzichten zu können, werden sozialpolitisch bedacht.
Dynamik von rechts
Zweitens jedoch muss auch registriert werden, dass die Sozialdemokratie nach der Regierungszeit von Gerhard Schröder eigentümlich machtunwillig geworden ist. Verbal bekennt sie sich zu einer Korrektur an der Agenda-Politik Schröders, ist jedoch unfähig, eine Idee einer fortschrittlichen Alternative zu formulieren. Damit «erlaubt» sie es den Grünen, die Idee einer etwaigen Koalition mit den Konservativen attraktiv zu finden, denn das Haupthindernis, die Atompolitik, wurde von Merkel aus dem Weg geräumt.
Auch in der Linkspartei (Die Linke) stärkt sie jene Mitglieder, die kein Vertrauen mehr in die Möglichkeit einer fortschrittlichen Alternative haben. In dieser Situation ist für die CDU nicht die Frage, dass sie regieren wird, sondern allenfalls, mit wem sie koaliert.
Aber es gibt einen Preis, den die Merkel-CDU zahlen musste. Indem sie die Themen der National- und der Rechtskonservativen nicht mehr aufgriff, fühlten diese sich parteipolitisch heimatlos. Die Gründung der Alternative für Deutschland (AfD) und die «Bürgerbewegung» Pegida machten deutlich, dass die politische Dynamik inzwischen auf der rechten Seite des Spektrums angelangt ist.
Nur eine EU, in der «deutsch gesprochen» wird, ist für Nationalkonservative akzeptabel.
Eine Konkurrenz von rechts – das ist für Konservative immer ein Problem. Die Gegner des Euro, die eine nationalkonservative Wende in der Europa-Politik wollen, setzen auch die CDU unter Druck. Die Zustimmung der CDU-Fraktion zu Griechenland-Hilfen (die auch aus linker Perspektive problematisch sind, da an unzumutbare Bedingungen geknüpft) war für die Kanzlerin nur zu bekommen, da der Finanzminister Wolfgang Schäuble einen äusserst harten Kurs gegenüber Griechenland fuhr, der wenig mit Solidarität, dafür viel mit Nötigung zu tun hatte.
Nur eine EU, in der «deutsch gesprochen» wird, ist für Nationalkonservative akzeptabel. Jetzt, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, kommen die Rechtskonservativen zum Zuge, deren Ressentiment sich beredten Ausdruck verschafft.
Real handelt es es sich vor allem um eine Krise der administrativen Kapazitäten, man hat sich nicht ernsthaft vorbereitet auf die massenhafte Ankunft schutzsuchender Menschen. Fällig wären ohnehin nötige Investitionen in den Wohnungsbau, in das Bildungssystem und für die Integration in Arbeitsmärkte. Und es handelt sich um eine Krise des Dublin-Systems, das dazu geschaffen wurde, die Flüchtlinge von Deutschland fernzuhalten.
Die Gefahr eine CDU-Krise
Wie stark die Kanzlerin von rechts bedrängt wird, sieht man einer Formulierung an, mit der sie Geschichte machen könnte: «Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.» Das ist nicht nur für Angela Merkel ein ungewöhnlich deutlicher, ein entschiedener und Partei nehmender Satz. Dieser Satz ist auch ungewöhnlich für deutsche Regierungschefs. Ich war wirklich beeindruckt.
Aber er zeigt eben auch, dass die Merkel-CDU vor einer Krise stehen könnte: Die Gegner des Merkel-Kurses, die lange vernachlässigt wurden, melden ihre Ansprüche oder das, was sie dafür halten, an. Die bisherige Garantie für Merkel war, dass sie erwiesenermassen Wahlen gewinnen konnte durch geschicktes Niederhalten ihrer parteipolitischen Gegner. Polarisierende Debatten liess sie erst gar nicht aufkommen.
Die Linke in Deutschland hat die Möglichkeit, aus der Herausforderung der Kanzlerin durch ihre rechten Gegner eine Chance für sich zu machen: Eine überzeugende Alternative (nicht nur für Deutschland) zu entwickeln, für die wählen zu gehen sich lohnen könnte.