Morgen für Morgen fahren 36’000 Menschen aus Süddeutschland zur Arbeit in die Nordwestschweiz und abends wieder zurück. Die Landesgrenze verschwamm mit der Personenfreizügigkeit immer mehr zu einer imaginären Linie. Das könnte sich nun ändern, verunsichert sind die Grenzgänger bereits jetzt.
Es ist kurz vor 18 Uhr. Schulter an Schulter stehen die Deutschen am Badischen Bahnhof in Basel. Sie warten wie jeden Tag auf den Südbadenbus Nummer 55, Fahrtrichtung Kandern. Der schneeweisse Bus kommt abrupt zu stehen, die Türen öffnen sich und die Wartenden drängen durch die Türen. Die letzten freien Sitzplätze sind bald besetzt und die Leute stehen in den Gängen. Szenen wie jeden Tag, doch einen Tag nach der Annahme der SVP-Masseneinwanderungsinitiative ist es nicht die übliche Fahrt über die Grenze. Die Verunsicherung bei den Grenzgängern ist spürbar.
Mit wem wir hier auch sprechen, der Volksentscheid lässt niemanden unberührt. Steffen N.* war jahrelang selber Grenzgänger und lebt nun in der Nähe von Basel. Persönlich mache er sich keine Sorgen, sagt er, als in einer vorderen Reihe eine Frau aufsteht und mit zügigem Schritt auf uns zukommt. Sie habe gerade mitgehört, sagt sie, bevor sie ihre Haltung verliert und ihrer aufgestauten Wut freien Lauf lässt. Ein «Scheissentscheid» sei das gewesen am Sonntag. «Was wärt ihr denn ohne Ausländer?», ruft sie und gibt die Antwort gleich selber. «Nichts! Ihr habt ja nicht einmal eine Autoindustrie. Wenn wir weg sind, müsst ihr eure Toten selber unter die Erde bringen und euren Alten selber den Arsch putzen!»
Den Schweizer Entscheid bezeichnet er als «logische Folge der weltweiten Migration», wo die Zuwanderung gross ist, nehmen auch die Bedenken zu. Eine weltweite Öffnung von Türen, das gebe es nicht. Die Schweizer Demokratie lobt er als vorbildlich. Was er im Fall einer Abstimmung wie dieser gestimmt hätte? «Möglicherweise ja.» Dabei geht es ihm wie vielen Deutschen auch, die Folgen des Volksentscheides sind ihm unklar. Doch Sorgen um seine Stelle macht er sich keine, «ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schweiz in drei Jahren sagt, ‹so und jetzt machen wir zu›.»
Der Grenzgänger und Gemeinderat Sebastian Weil hat viel Verständnis für den Volksentscheid.Bild: Alex Preobrajenski (Bild: Alex Preobrajenski)
Während dem Gespräch ist vor dem Fenster der Bus nach Basel vorbeigefahren. Es war der letzte. Und so sitzen wir eine Viertelstunde später im Taxi von Frederike Stoyan. Die ehemalige Mitarbeiterin beim Basler Erziehungsdepartement arbeitet seit vielen Jahren als Taxifahrerin im Grenzgebiet. Via Schweizer Radio verfolgt sie die politischen Diskussionen in der Schweiz, sobald sie mit ihrem Taxi genügend nah an der Schweizer Grenze ist, wechselt sie den Sender.
Seit vielen Jahren ist diese Taxifahrerin im Grenzgebiet unterwegs. Sie sagt, die Deutschen fühlten sich «auf den Schlips getreten».Bild: Alex Preobrajenski (Bild: Alex Preobrajenski)
Angesprochen auf die Abstimmung reagiert sie enttäuscht und wiederholt, was wir an diesem Abend bereits einige Male gehört haben: Die Schweiz profitiere doch sehr von den Ausländern. «Die Grenzgänger», sagt Stoyan, «fühlen sich auf den Schlipps getreten.» Wir fahren über die verlassene Zollstation an der Freiburgerstrasse. Hundert Meter hinter der nächsten Kurve stehen drei Grenzwächter in Leuchtwesten. Die Schweizer winken das Fahrzeug vor uns zur Kontrolle an den Strassenrand.
* Namen der Redaktion bekannt.