Dicke Luft in Sotschi

Milliardenschwere Umbauten und Bauarbeiten haben bleibende Schäden in der einzigartigen Natur um Sotschi hinterlassen. Die Rechnung bezahlen nicht nur die Umwelt, sondern vor allem auch die Einwohner.

(Bild: Vitus Saloshanka , n-ost)

Milliardenschwere Umbauten und Bauarbeiten haben bleibende Schäden in der einzigartigen Natur um Sotschi hinterlassen. Die Rechnung bezahlen nicht nur die Umwelt, sondern vor allem auch die Einwohner.

Endspurt kurz vor den Olympischen Winterspielen 2014: In diesen Tagen schaufeln die Bagger von Sotschi noch immer Tag und Nacht. Schon vor Beginn brechen die Kosten alle Rekorde: Mit rund 50 Millarden Euro gehören die Spiele in Russland zu den teuersten in der Olympia-Geschichte.

Der Sommerkurort am Schwarzen Meer war bislang das Urlauberparadies der Sowjetunion. Noch im Frühwinter liegen die Temperaturen hier um die 18 Grad. Jetzt wurde der beschauliche Kurort mit seinen sandsteingelben Häusern und knapp 350’000 Einwohnern zur Stadt der Bulldozer, Bagger und Kräne. Spektakuläre Arenen und Hotelbauten sind entstanden, Bäume und Wiesen wichen Straßen, Tunneln, Bahntrassen.

Verkehrsschneise mitten durch die Natur

Eine vierspurige Hauptverkehrsader verbindet die beiden Hauptaustragungsorte Sotschi am schwarzen Meer mit dem knapp 50 Kilometer entfernten Krasnaja Poljana, dem Austragungsort der alpinen Wettkämpfe. Die Schnellstraße führt entlang des Flusses Mzytma, eine Verkehrsschneise mitten durchs Flussbett und die Natur.

Der Kreml-Kritiker Boris Nemzow rechnete vor, dass ein Kilometer der Verbindungsstraße 200 Millionen Euro kostet – vor allem die Korruption mache die Straße so teuer. Schätzungen zufolge sind die Infrastrukturprojekte für mehr als die Hälfte der Gesamtkosten verantwortlich. Glaubt man Umweltschützern, gehen die Olympischen Winterspiele 2014 außerdem aber vor allem auf Kosten der Natur.

Seit in Sotschi gebaut wird, hat der Fluss Mzymta mehrere Male die Baustellen von Olympia geflutet. Die neu gebaute Straße nach Krasnaja Poljana stand allein in diesem Jahr schon zweimal unter Wasser. In dem Stadtteil Sotschis gleich an der Flussmündung ins Schwarze Meer wohnt die 21-jährige Alla Kola. Sie hat in einem der neu gebauten Hotels Arbeit als Rezeptionistin gefunden und gehört damit zu jenem kleinen Teil der Einwohner, die von Olympia profitieren.

Der Fluss Mzymta wurde eigens für die olympischen Spiele begradigt.

Besonders die Überschwemmung in diesem Herbst ist Alla in Erinnerung geblieben: «Das Wasser stand mir bis zu den Knien, als ich von meiner Wohnung an die Bushaltestelle lief.» Sinnbildlich bedeutet der Name Mzymta in der Sprache der einst hier ansässigen Ubycher «wild». Für die Olympischen Winterspiele war der «wilde» Mzytma begradigt worden. Umweltschützer kritisieren, dass neben der Zerstörung des natürlichen Flusslaufes, die Planung nicht ausreichend sorgfältig gewesen sei. Starke Niederschläge, wie sie in der Region um Sotschi häufig sind, seien nicht miteinberechnet worden. Mit großer Geschwindigkeit schießt der Fluss nun ins Tal, wo jegliche Abflussmöglichkeiten fehlen.

Außerdem erinnert sich Alla auch noch an die dichten Schaumkronen, die im Frühling vor zwei Jahren von den Wellen an den Strand des Meeres gespült wurden. Was sie damals nicht wusste: Der Schaum auf dem Wasser zeugte von einer Verschmutzung, ebenfalls ausgelöst durch die «teuerste Straße Russlands», wie der Kreml-Kritiker Boris Nemzow kritisiert. Bei Bauarbeiten an der Verkehrsstraße war ein Auffangcontainer für verschmutztes Bohrwasser übergelaufen.

Tatsächlich ist etwa die Belastung durch das zusätzliche Abwasser seit Beginn der Bauarbeiten dramatisch gestiegen. Während Olympia ist durch die erwarteten 120’000 Besucher mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Denn das meiste Abwasser aus den Häusern in Sotschi fließt nicht etwa in die Kanalisation, sondern ins Schwarze Meer. Auch die Olympiamilliarden haben an der Situation nichts verändert.

2000 Familien zwangsumgesiedelt

An der sozialen Lage der Bewohner von Sotschi hat Olympia ebenfalls nichts geändert. Im Gegenteil: Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sind rund 2000 Familien zwangsumgesiedelt worden, weil ihre Häuser neuen Straßen und Stadien weichen mussten. Nicht alle von ihnen haben vom Staat Entschädigungszahlungen ausbezahlt bekommen. Sie wohnen heute in leerstehenden, sowjetischen Ferienheimen.

Im Tal zwischen dem Schwarzen Meer und Krasnaja Poljana liegt das kleine Dorf Achschtyr. Seit im Oktober 2013 durch Medienberichte bekannt wurde, dass zwei illegale Steinbrüche unweit des Dorfes zusätzlich als Mülldeponien genutzt wurden, rollen regelmäßig Journalistengruppen unter der Führung von lokalen Umweltschützern in das kleine Dorf. Von einer Anhöhe blickt man hinunter ins Tal, wo die Mzymta um die Brückenpfeiler der neu gebauten Straße und Bahngleise fließt.

Die Steinbrüche stehen mitten im Natur- und Wasserschutzgebiet. Wie stark der Boden durch den abgeladenen Müll vergiftet wird, können Umweltschützer nur schwer abschätzen. Beide Steinbrüche werden rund um die Uhr von Sicherheitsdiensten bewacht. Dennoch spricht das Organisationsteam Sotschi 2014 weiter von den grünsten Spielen aller Zeiten und hält daran fest, Müll umweltverträglich zu entsorgen.

Schon lange kritisieren Umweltschützer die aus ihrer Sicht fehlende Nachhaltigkeit des gesamten Projekts Sotschi 2014. Eine Bedingung des Internationalen Olympischen Kommitees IOK ist die Bereitstellung von 42’000 Hotelzimmern. Das hatte zur Folge, dass in ganz Sotschi und Krasnaja Poljana Hotels wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.

«Sotschi ist eine Stadt, der man das Gesicht geraubt hat.»

Olga Petrovnavon, Umweltschützerin

Hotelbetreiber prophezeien eine große Pleitewelle, auch wenn sie die eigenen Anlagen aus der Einschätzung herausnehmen. Für eine Stadt wie Sotschi mit nicht einmal 350’000 Einwohnern sind die neu erstellten Infrastrukturen überdimensioniert.

Umweltschützerin Olga Petrovnavon der Ökologischen Wacht Nordkaukasus ist in Sotschi geboren. Die 37-Jährige sieht die Milliarden-Investitionen in den Wind geschossen: «Sotschi ist eine Stadt, der man das Gesicht geraubt hat.» Für die Plakate mit der Aufschrift «Es ist deine Olympiade!» hat sie nur ein müdes Lächeln übrig.

«Unsere Olympiade? Die Einzigen, die davon profitieren, sind korrupte Geschäftsmänner und Behörden, die Steuergelder in die eigene Tasche stecken.» Mit ihrer Meinung ist Olga Petrovna nicht alleine, 65 Prozent der Russen sind der Meinung, dass das Geld in Sotschi von der Regierung «verschwendet» wird. Das ergab eine Umfrage des unabhängigen Levada-Instituts im vergangenen Sommer.

Präsident Putin quälen derweil ganz andere Sorgen, als die Stimmung zu Olympia im Land. Kurz vor Jahresende sind bei Bombenanschlägen in Wolgograd, ausgeführt von nordkaukasischen Terroristen, 34 Menschen ums Leben gekommen. Die indirekte Mitteilung an Putin als Vorwarnung auf Sotschi hätte deutlicher nicht sein können.

Der Flughafen wird zum Militärstützpunkt

Mit einem riesigen Aufgebot an Polizisten und Armeeangehörigen möchte Putin der Lage Herr werden. Der Flughafen in Sotschi wird nicht nur für die Touristen ausgebaut, sondern auch zum militärischen Stützpunkt während den Spielen. Aus Angst vor Flugzeugangriffen in den Bergen sind neben den Pisten und Skiliften Abwehrgeschütze in die Hänge des Kaukasus gebaut worden.

Doch es ist eine unlösbare Aufgabe, das gesamte Land während der olympischen Spiele vor Anschlägen zu schützen. Mit dem Austragungsort Sotschi hätte Putin kaum näher an den Gefahrenherd Norkaukasus heranrücken können. Von Zentrum Olympias an der Schwarzmeerküste sind es gerade einmal 15 Kilometer zur Grenze zu Abchasien. Die Angst tschetschenische Terroristen könnten über diesen Weg nach Sotschi gelangen ist so groß, dass die Grenze während Olympia vollständig geschlossen wird.

«Ein normales Leben während Olympia wird unmöglich sein.»

Helene Magdeeva, Bewohnerin Sotschis

Angesichts der enormen Sicherheitsvorkehrungen machen sich viele Anwohner Sotschis Sorgen: «Für mich gibt es während Olympia nur eines: Weg von hier! Ein normales Leben während Olympia wird unmöglich sein», beschwert sich Helene Magadeeva. Während Helene sich überlegt, wohin sie verreisen soll, suchen die Verantwortlichen der Spiele noch immer verzweifelt nach Verwendungszwecken für die neu errichteten Gebäude nach Olympia.

Einige Spiele der Fußball-WM 2018 sollen in Sotschi stattfinden, auch Partien der Eishockey-WM 2016. Ein Freizeitpark soll ganzjährig Besucher locken. Doch damit nicht genug: Derzeit entsteht in Sotschi die modernste Rennstrecke Russlands – direkt am Meer. Im Herbst 2014 soll zum ersten Mal der Große Preis von Russland stattfinden. Mit Ruhe und frischer Luft im einstigen Kurort Sotschi dürfte es damit zu Ende sein.

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