Sie können das Sticheln nicht lassen, ärgert man sich bei den Basler Sozialdemokraten. Ausgerechnet vom engen Partner, von der Grünen Partei, erfährt man den heftigsten Widerstand gegen die aus Parteisicht wichtige Wohnschutzinitiative, über die Basel-Stadt am 10. Juni abstimmt.
Erst hat der Grünen-Vordenker, der umtriebige Unternehmensberater Daniel Wiener, in seiner Zeitungskolumne eine Breitseite abgefeuert, dann legte der einflussreiche grüne Grossrat Jürg Stöcklin in der Parteipostille nach.
Wiener lehnt die Wohnschutzinitiative ab, welche einen Kündigungsschutz für ältere Mieter in Zeiten der Wohnungsnot sowie eine Mietzinskontrolle bei Sanierungen verlangt, um Renditekündigungen zu vermeiden. Er schreibt aus gewohnt paternalistischer Optik:
«Die Wohnschutzinitiative löst die Probleme der Armen nicht, sondern verkompliziert nur flächendeckend das Investieren in einer Stadt, die dringend mehr Wohnungsbau benötigt.»
Wiener ist die prägende Figur bei den Basler Grünen, wenn es ums Wohnen geht. Er hat die Wohnstrategie der Partei verfasst, die im Wesentlichen aus zwei Komponenten besteht: Die Stadt müsse mehr Wohnungen bauen und mehr Bäume pflanzen. Eine sozialpolitische Dimension sucht man bis auf den Verweis auf Genossenschaften vergeblich. Für ein linkes Papier eher aussergewöhnlich.
Morin lässt nicht los
Zu Wieners Zirkel zählen die heutige Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann, welche im Parlament die Wohnschutzinitiative als gefährlich bezeichnete. Dazu gesellt sich Ackermanns Vorgänger Guy Morin, der seine Wohnpolitik in Gefahr sieht, sowie der altgediente Grossrat Jürg Stöcklin. Als seine Regierungspräsidentin im Grossen Rat ihr Urteil über die Initiative des Mieterverbands fällte, war für Stöcklin klar: Das Vorhaben gehört bekämpft.
An der entscheidenden Parteiversammlung setzt sich die grüne Parteielite durch und brachte eine Mehrheit hinter sich: Mit 17 zu 9 Stimmen beschlossen die Grünen die Ablehnung der Initiative. Die Nein-Parole wurde später in eine Stimmfreigabe umgewandelt. Allzu fest wollte man die linken Partner nicht verärgern.
In der Parteizeitung «Grünwärts» hat Stöcklin ausführlich begründet, warum die Wohnschutzinitiative abzulehnen ist. Stöcklin schreibt: «Die geforderten Massnahmen würden die Wohnungsnot erhöhen, die Mieten verteuern und die PendlerInnen nähmen zu, weil mehr Leute in der Stadt arbeiten und keine Wohnung finden.»
Investoren sollen es richten
Das bürgerliche Gegenkomitee zu den Wohninitiativen hat die Passage genüsslich in einem Flyer aufgenommen und an alle Haushalte verteilt.
Stöcklin ärgert sich über die Aktion, er sei nicht angefragt worden. Inhaltlich steht er zu seiner Kritik an der Initiaitve: «Der Mieterverband schiesst weit über das Ziel hinaus. Die in der Initiative verlangte Mietzinskontrolle ist eine viel zu drastische Massnahme», sagt Stöcklin. Und ungeeignet, für genügend bezahlbaren Wohnraum in der Stadt zu sorgen. Dafür brauche es vor allem auch genügend neue Wohnungen. «Wir sind auf die privaten Investoren angewiesen, also sollten wir ihnen das Leben nicht unnötig erschweren.»
Dass er seinen linken Partnern in den Rücken falle, gegen diese Auslegung verwehrt sich Stöcklin: «Das ist gelebte Diskussionskultur, bei den Linken hat es Platz für unterschiedliche Meinungen.»
Stöcklins unfreiwillige Unterstützung der Bürgerlichen bringt Heidi Mück in Rage, Co-Präsidentin der linken BastA!. Sie veröffentlichte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ein Bild des Abstimmungsflyers und schrieb dazu:
Aus dem Flyer der bürgerlichen Gegnerschaft von #4xJA That's what friends are for, danke @GrueneBasel Ich ... euch auch pic.twitter.com/etOeT3bUOH
— Heidi Mück (@HeidiMueck) 31. Mai 2018
Sie habe den Tweet als Privatperson abgesetzt, sagt sie, als liesse sich auf den sozialen Medien Politleben und Privates trennen. Mehr will sie dazu nicht sagen, sie will die öffentliche Auseinandersetzung meiden. Der Wähler, weiss Mück aus jahrelanger Erfahrung, mag keinen Streit.
Wüthrich stellt sich quer
Doch der Streit ist längst Tatsache, und zwar nicht nur im Hintergrund. Die Gegenseite, also der Mieterverband, hat den grünen Grossrat Michael Wüthrich als Verbündeten gewonnen. Im Pro-Flyer wirbt Wüthrich leidenschaftlich für ein Ja zur Wohnschutzinitiative:
«Ökologisch sinnvolle Renovationen und Umbauten sind möglich. Sie widersprechen überhaupt nicht der Forderung der Wohnschutzinitiative.»
Unökologisch seien dagegen Luxussanierungen und Neubauten.
Der Mieterverband setzt in seiner Abstimmungswerbung stark aufs ökologische Argument. An der Urne, befürchtet man beim Verband, könnten die grünen Stimmen den Unterschied machen.
«Ich habe unsere Partei schon nicht ganz verstanden», sagt Wüthrich. Er befürchtet eine nachhaltige Verstimmung unter den Linken über den Abstimmungssonntag hinaus: «Der Parteientscheid trifft auf viel Unverständnis. Es ist schon möglich, dass ein Schaden zurückbleibt.»
Inhaltliche Debatte fällt aus
Bei der SP ärgert man sich, dass eigene Ansätze, wie ein ökologisch und sozial sinnvoller Städtebau möglich ist, von der grünen Parteispitze ignoriert werden. Parteipräsident Pascal Pfister verweist auf eine Studie des Architekten Lukas Gruntz. Dieser ist so etwas wie der Parteiarchitekt und hat in der Vergangenheit intensiv die Idee beworben, durch Dachaufbauten mehr Wohnraum zu schaffen, ohne die Bewohnerschaft zu vertreiben.
Seine jüngste Studie geht noch einen Schritt weiter. Dort legt er dar, wie durch eine Verdichtung des Bestands viel Wohnraum geschaffen werden kann. Anhand einer Beispiel-Überbauung im Iselin-Quartier demonstriert Gruntz, wie die Mieterschaft durch kreative Ein- und Ausbauten verdoppelt werden kann – ohne Abriss oder Luxussanierung.
Eine inhaltliche Debatte, wie sich die Stadt weiterentwickeln kann, wenn sie den Bestand und die Mieter besser schützt, hat aber bislang nicht stattgefunden. Sagt die Stimmbevölkerung am 10. Juni Nein zur Wohnschutzinitiative, wird sie vermutlich auch nicht geführt werden.
Für die Grüne Partei, die durch den Abstimmungskampf irrlichtert, könnte das ungemütlich werden.