Die Basler Sozialhilfe ist eine Zweiklassengesellschaft

Ein Grossteil der Basler Sozialhilfe-Empfänger landet auf dem Abstellgleis. Eine neue Reform sollte dies ändern, doch nun verhindert der Budgetstreit den nötigen Personalzuwachs.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Ein Grossteil der Basler Sozialhilfe-Empfänger landet auf dem Abstellgleis. Eine neue Reform sollte dies ändern, doch nun verhindert der Budgetstreit den nötigen Personalzuwachs.

Der Budgetstreit trifft die Basler Sozialhilfe in ihrem Kern. Monatelang hatte man in der Behörde an einem neuen Konzept gearbeitet, hatte die Zahlen ein ums andere Mal durchgerechnet und es tatsächlich geschafft, die Regierung davon zu überzeugen, Geld für mehr Personal zu sprechen.

15 zusätzliche Stellen sollte die Sozialhilfe bekommen, ein politischer Kompromiss. Gebraucht hätte man eigentlich mindestens 30 neue Fachkräfte. Nun sind es, dem Sparbudget des Grossen Rats sei Dank, noch 10 Stellen.

Damit soll im laufenden Jahr die grosse Reorganisation, die auf das technokratische Kürzel «Q3» hört, angegangen werden. Es ist mindestens die dritte in den letzten 15 Jahren. So genau lässt sich das nicht sagen, weil auf jeden Strategiewechsel im Umgang mit Sozialhilfeempfängern hastige Kurskorrekturen folgten.

Klienten werden abgewickelt

Die Basler Sozialhilfe ist 2015 wieder einmal am Punkt angelangt, wo vieles besser werden soll, aber einiges viel schlimmer werden könnte. Mit nur 10 zusätzlichen Stellen, sagen von der TagesWoche zur leidvollen Geschichte der Sozialhilfe konsultierte ehemalige und aktuelle Mitarbeiter, sei die Reform zum Scheitern verurteilt.

Intern gilt als unabdingbar, dass sich die Sozialhilfe neu aufstellt. Dass sie wegkommt davon, ihre Klienten abzuwickeln statt sie anzuleiten. In Basel nahm dieses Prinzip seinen Anfang, als Rolf Maegli 1999 Vorsteher des Amts wurde. Damals war die Sozialhilfe noch der Bürgergemeinde unterstellt.

Maegli trifft auf eine Behörde, die vor der Computerisierung steht, in der oftmals nach Gutdünken und nicht nach definierten Abläufen entschieden wird. Erhebungen, Qualitätskontrollen fehlen; was mit dem eingesetzten Geld erreicht wird, lässt sich nicht so genau sagen.

Zuerst baut Maegli den Rechtsdienst um, um die Massnahmen wasserdicht zu gestalten. Dann verteilt er die Gelder um, baut das Backoffice aus und setzt auf kaufmännische Angestellte statt auf Sozialarbeiter. Verelendung zu begegnen wird zum administrativ-juristischen Verwaltungsakt. Gleichsam gibt man sich damit zufrieden, dass Hunderte von Sozialhilfebezügern auf dem Abstellgleis landen.

Verelendung zu begegnen wird zum administrativ-juristischen Verwaltungsakt.

Tatsächlich gearbeitet wird nur mit einer Art Elite unter den Sozialhilfefällen. Für Klienten, die gute Voraussetzungen mitbringen, wieder in die Arbeitswelt zurückzufinden («Ressourcen» nennt man das im Fachjargon), wird ein gesondertes Programm aufgezogen. Mit dem «Case Management» hatte Maegli ein Vorzeigeprojekt, mit dem sich demonstrieren liess, wie erfolgreich sich Basel um seine Abgehängten kümmert.

Doch die Masse wird bereits nach der Triage aufgegeben. Man kann das mit einem Spital vergleichen, das nur noch Armbrüche operiert und Herzinfarkte mit Schmerzmitteln behandelt.

Maegli argumentierte so, dass es für die Beratung in Basel genügend ausserstaatliche Angebote gebe. Suchtberatungsstellen, Schuldenhilfe, Schwarzer Peter. Die Sozialhilfe sollte vor allem die materielle Grundversorgung sicherstellen. Doch die Anlaufstellen sind damit überfordert, zumal die Fallzahlen in Basel stetig steigen.

Misstrauen gegenüber Sozialarbeit

Die explodierende Sozialhilfequote überlastet auch die Mitarbeiter. Während die Sozialarbeiter zunehmend frustriert reagieren, sind die kaufmännischen Angestellten überfordert mit Fällen, die mehr verlangen, als eine rein administrative Prüfung. Doch Maegli pflegt ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber der Sozialarbeit, gegen die «Kollusion einer Zweierkiste», wie sich Maegli einmal ausdrückte, also gegen das gemeinsame Sache Machen zwischen Berater und Ratsuchendem.

2006 kommt es zur ersten Kündigungswelle. Sämtliche Teamleiter, allesamt mit jahrelanger Erfahrung in der Beratungsarbeit, verlassen die Behörde. Sie werden grösstenteils durch Quereinsteiger ersetzt.

Mitarbeiter lassen sich krankschreiben oder melden sich gleich monatelang mit Burn-out ab, neues Personal muss das Amt bis heute in Deutschland suchen, weil der Arbeitgeber Sozialhilfe Basel-Stadt einen schlechten Ruf in der Branche geniesst. Die Fluktuationsrate steigt auf 12 Prozent im Jahr 2008, wobei die Abgangsquote unter den Sozialarbeitern deutlich höher ist.

«Schwierige Situation»

Nach dem Wechsel von der Bürgergemeinde zum Kanton 2009 soll alles besser werden. Externe Berater werden beigezogen, sie bringen ein System namens Opal mit. Von nun an landen die Fälle viel früher auf den Tischen der Sozialarbeiter. Weil es davon viel zu wenige gibt, und die Fälle immer mehr werden, kollabiert das System rasch. 

2011 nimmt Rolf Maegli eine neue Stelle im Luzernischen an, ein anderer Mitarbeiter wechselt zu jener Consultingfirma, die mit Opal betraut war und für dessen Umsetzung er bei der Sozialhilfe verantwortlich gewesen war.

«Als ich die Stelle antrat, stiess ich auf eine sehr schwierige Situation», rechtfertigt Rolf Maegli heute die damalige Umstrukturierung und die damit verbundenen Probleme. «Die interinstitutionelle Zusammenarbeit mit der Arbeitslosenversicherung und Invalidenversicherung harzte.» Wegen den ständigen Budgetrestriktionen hätten ausserdem die Kräfte gebündelt werden müssen. «Die Sozialhilfe wurde unter meiner Leitung zu einem Betrieb mit Innovationen, ich war im In- und Ausland als Referent gefragt, die nationalen Medien haben oft über Basel positiv berichtet.»

Ein Mitarbeiter pro 130 Schicksale

Sozialdirektor Christoph Brutschin beordert nach Rolf Maeglis Abgang die frühere BastA!-Politikerin Nicole Wagner als Nachfolgerin. Sie soll den strukturell angeschlagenen Laden wieder aufrichten. Für die Reorganisation nimmt sie sich Zeit, um nicht wieder in eine Falle zu geraten, die das Team überfordert.

Um wieder an einheimisches Personal zu gelangen, will Wagner eine Zusammenarbeit mit den Hochschulen aufbauen. «Es war und ist nicht einfach, gut ausgebildetes Personal zu finden», räumt sie ein. Mit der Kesb, der professionalisierten Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde, ringt zudem ein neuer Konkurrent um Sozialarbeiter.

Damit sich Fachkräfte überhaupt bewegen lassen, bei der Basler Sozialhilfe anzuheuern, muss Nicole Wagner die Arbeit wieder attraktiv machen. Das ist nicht einfach: Durchschnittlich muss ein Mitarbeiter 130 Schicksale betreuen.

Das Projekt «Q3» soll zumindest den Job der Sozialarbeiter aufwerten. Künftig tragen wieder sie die Fallverantwortung, materielle und persönliche Hilfe werden als zusammengehörend verstanden. Die Beratung soll mehr Gewicht erhalten, die rein finanzielle Abwicklung Schritt für Schritt aufgegeben werden.

Auch in Zukunft wird es bei der Sozialhilfe eine Zweiklassengesellschaft geben.

Dazu braucht es aber die zusätzlichen Stellen, die nun nicht kommen – und eigentlich noch viel mehr. Die Folge davon kann nach Meinung am Reformprozess Beteiligter nur eine sein: Auch in Zukunft wird es bei der Sozialhilfe eine Zweiklassengesellschaft geben.

Den einen hört man zu, man nimmt sie ernst, man hilft ihnen, aus der staatlichen Abhängigkeit herauszufinden. Die anderen – Sozialhilfeempfänger, die nie gearbeitet haben, die keine Ausbildung vorweisen können, die vom Alkohol oder anderen Stoffen abhängig sind – werden vom Moment an, in dem sie das Securitas-gesicherte Gebäude an der Klybeckstrasse betreten, aufgegeben.

Für ihren Lebensunterhalt kommt über Jahre der Staat auf, für die Gesundheitskosten ebenfalls. Auch für den, der sparen will, ein Alptraum.  

Artikelgeschichte

Dieser Beitrag wurde am 21.1.2015 mit einer Stellungnahme des ehemaligen Amtsleiters der Basler Sozialhilfe, Rolf Maegli, ergänzt.

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