Der Agrarsektor steht in der Schweiz sogar über Sparzielen. Dabei würde manches für weniger Rücksicht gegenüber der Landwirtschaft sprechen.
Die Buure-Zmorge zum 1. August erinnerten wieder einmal daran, dass die Bauern ein wichtiger Pfeiler der schweizerischen Gesellschaft sind. Wichtig zum Teil aus Gründen der Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, wichtig auch als Pfleger unserer Landschaft. Doch sind sie auch wichtig für unsere kollektive Identität?
Manches würde für eine Haltung gegenüber der schweizerischen Landwirtschaft sprechen, die von weniger Rücksicht geprägt ist als es traditionell der Fall ist: Die mengenmässig bescheidene Bedeutung des Agrarsektors – vier Prozent der Beschäftigten, ein Prozent des Bruttoinlandprodukts, das im Vergleich mit anderen Ländern moderate «Bauernhofsterben» im Kontext einer ohnehin unvermeidlichen Strukturbereinigung –, sodann das Gebot der Opfersymmetrie, wenn auch andere, ihrerseits wichtige Sektoren ebenfalls Abstriche hinnehmen müssen.
Warum wird all dem wenig bis gar nicht Rechnung getragen? Warum die Ausnahme, wenn ansonsten flächendeckend Sparübungen angesagt sind? Die vorgesehene Kürzung von 56 Millionen im Agrarbereich wurde kürzlich als einzige Ausnahme fallen gelassen, obwohl sie bei den Milliarden-Subventionen nicht übermässig wehgetan hätte.
Warum sieht das Alkoholgesetz eine komplizierte Regelung vor, die den Schnapsbrennern und ihren Obstlieferanten vorteilhafte Bedingungen bieten? Warum sollen Bauland-Bauern Steuerprivilegien erhalten, die den unter Spardruck stehenden Fiskus jährlich 200 Millionen Franken kosten? Warum ist in der Volkskammer eine Mehrheit für eine Erschwerung von Lebensmittelimporten (mit der Aufhebung des Cassis-de-Dijon-Prinzips) zustande gekommen?
Erklärungsbedürftiges Entgegenkommen
Das enorme und irgendwie erstaunliche und darum auch erklärungsbedürftige Entgegenkommen könnte man mit dem bäurischen Herkommen der schweizerischen Gesellschaft erklärten, mit der bereits jahrhundertealten Ideologie, dass die Schweiz im Unterschied zu Nachbarländern, ein Bauernstaat sei. Aber auch mit der jüngeren «nur» etwas mehr als 100 Jahre alten und noch immer lebendigen Ideologie, dass das Bauernmilieu ein Jungbrunnen sei und zugleich einen Damm bilde gegen die Zersetzungs- und Zerfallserscheinungen des modernen Lebens.
Diese in den Tiefenschichten des kollektiven Bewusstseins abgelagerten Auffassungen erleichtern den erfolgreichen Kampf für die Bauerninteressen. Die Haupterklärung liegt aber in der exzellenten und gut funktionierenden Organisation der Interessenvertretung.
Treuherzig beteuert CVP-Nationalrat Markus Ritter als Präsident des Schweizerischen Bauernverbands (SBV) in der NZZ, dass man im Gegensatz zu anderen Branchen «keine bezahlten Lobbyisten habe, die in der Wandelhalle grosse Versprechungen und kleine Deals machen». Für die im «Landwirtschaftsclub» zusammengefassten Bundesparlamentarier, die sich in grosser Zahl und zuweilen mit nicht weniger grosser Vehemenz für die Landwirtschaft einsetzen, mag er die Bezeichnung des «Lobbyismus» nicht verwenden. Das sind allesamt einfach vom Volk gewählte Politiker.
Selbst SP-Präsident Levrat stimmte gegen Einschränkungen der Landwirtschaftsförderung.
Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen Wahlchancen und Unterstützung der Bauernsame. Darum hat auch der aus Bulle («Terre de Gruyère») stammende SP-Präsident und Jurist Christian Levrat, im Ständerat nicht für Einschränkungen der Landwirtschaftsförderung gestimmt, obwohl er dies gemäss Parteilinie eigentlich tun müsste. Die ansonsten stets lauthals gegen Subventionen und Bürokratie schimpfende SVP ist quasi durchwegs für die Unterstützung der Bauern. Einmal gab es einen halben Ausrutscher, als der Industrielle Blocher als Bundesrat 2004 an der Olma gegen die «Agrarbürokratie» polemisierte (schuld waren da aber nicht die Bauern, sondern die Beamten der Bundesverwaltung); er forderte eine Nahrungsmittelproduktion ganz ohne staatliche Lenkung und Unterstützung.
Einigermassen konsequent kritisiert wird die Agrarlobby von Avenir Suisse, Economie Suisse und FDP: Der Zürcher Nationalrat Ruedi Noser, Präsident der Wirtschaftskommission, geht sogar so weit, den Bauern vorzuwerfen, sie würden die Bundeskasse als Selbstbedienungsladen betrachten. Abweichend positioniert sich innerhalb der FDP, Nationalrat Jacques Bourgeois (Freiburger wie Levrat), was seiner Funktion als Direktor des SBV geschuldet ist.
Unter dem Radar der Reform-Allianz
Selbst gutbürgerliche Zeitungen bringen ihre Unzufriedenheit mit der Bauernpolitik deutlich zum Ausdruck. So schrieb die NZZ, Bauernvertreter würden die politische Grosswetterlage geschickt nutzen, um mehr Subvention und Marktabschottung herauszuholen. Und: Das Parlament erfülle den Bauern fast jeden Wunsch. Die Vorstösse der Landwirtschaftsvertreter würden scheibchenweise vorgebracht und so unter dem Radar der Reform-Allianz hindurchlaufen.
Es wird auch darauf aufmerksam gemacht, dass es der Bauernlobby gelingt, Nichtbauern in ihre Interessenmaschinerie einzubauen, beispielsweise den Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann, ehemaliger Lehrer, Betriebsökonom, Finanzfachmann. Als Präsident des Gemüsebauern-Verbands wache er jetzt auch über die Tomaten- und Blumenkohlproduktion, so die «NZZ am Sonntag».
Das eben zitierte Blatt schlägt harsche Töne an: Die Bauern hätten es geschafft, ihre Industrie (!) abzuschotten und jährlich Milliarden von Franken an Subventionen zu erhalten; ihren Erfolg würden sie einem verklärten Landwirtschaftsbild, einer hervorragenden Organisation und harten Einschüchterungsmethoden verdanken.
Die aus Eigeninteressen agierenden Kräfte stützen sich auf Autarkiemodelle, die nie der Wirklichkeit entsprochen haben.
Städter mögen wegen ihrer urbanen Lebenswelt wenig Verständnis für die Nöte der Landwirtschaft und als Konsumenten nur ihre eigenen engen Interessen im Kopf haben. Oder sie verbinden mit Bauerntum das Bild des einsamen Landmanns mit seinem 17-Stunden-Tag, möglicherweise an steilen Berghängen. Es gibt die schutzbedürftigen Kleinbetriebe, tonangebend dürften aber die Grossen sein.
Der vom Bund zusammengestellte und in echtem Bauerndeutsch betitelte «Swiss Agriculture Outlook» prognostiziert, dass es, ausgehend vom jetzigen Bestand von 55’000 Bauernbetrieben in den Jahren 2014 bis 2024 eine Aufgaberate von rund zwei Prozent geben werde, ein wichtiger Teil der aufgegebenen Betriebe aber von bestehenden Höfen absorbiert werde, so dass die überlebenden Höfe grössere Flächen bearbeiten und über ein weiter ansteigendes Einkommen verfügen würden. Diese Konzentration wird von der Kleinbauern-Vereinigung beklagt, sie wünschte sich, dass die kleinen Betriebe in «junge Hände» gingen, die es durchaus gebe.
Ohne hochprofessionelle Organisation wären nicht innert drei Monaten 150’000 Unterschriften zusammen gekommen für eine Initiative, die sich in einer Schweiz, in der Versorgungsüberfluss herrscht, für «Ernährungssicherheit» stark macht. Die aus engen Eigeninteressen agierenden Kräfte brandmarken freien Agrarhandel als nationale Gefahr und stützen sich indirekt auf alte Autarkiemodelle, die nie der Wirklichkeit entsprochen haben – auch nicht während des Aktivdienstes 1939–1945. Moderne Landwirtschaft war schon früher und ist auch heute stark abhängig von importierten Dünge- und Futtermitteln, Saatgut und Treibstoff – und nicht zuletzt auch von importierten Arbeitskräften.
Der Anpassungsschock wird kommen
Zum Interessenkonglomerat gehören nicht nur die Landarbeiter auf der Scholle, sondern auch die Hersteller von Landwirtschaftsmaschinen, die Lieferanten von Pflanzenschutzmittel, das Baugewerbe, das Ställe und Silos baut, in bescheidenem Ausmass wohl auch die Banken, die Investitionskredite zur Verfügung stellen.
Gordana Mijuk und Michael Furger von der «NZZ am Sonntag» machen die Durchschnittsinformierten (zu denen sich in diesem Fall auch der Schreibende zählt) im bereits erwähnten Artikel darauf aufmerksam, dass hinter den Bauern der Milliarden-Konzern Fenaco steht (eine der 40 grössten Schweizer Firmen). Er ist als Genossenschaft im Besitz von 43’000 Anteilhabern, die in den Genuss von sechs Prozent Zinsen kommen. Fenaco ist in Schlüsselbereichen sowohl für den Einkauf wie den Verkauf tätig und nimmt eine starke Machtstellung ein.
Der Bauernlobby gelingt es im Moment noch, ihre Interessen durchzusetzen. So muss man damit rechnen, dass Öffnungsschritte leider erst möglich sind, wenn einmal mehr Druck von aussen kommt. Wenn sich EU und USA auf ein Freihandelsabkommen einigen, wird sich die Schweiz im Interesse ihrer Gesamtwirtschaft um eine Beteiligung bemühen müssen. Dies könnte dann mit grosser Wahrscheinlichkeit für die Bauern zu einem heftigen Anpassungsschock führen.