Die Bösen von aussen

Boulvard und Rechte heulten auf, weil die Stadtpolizei Zürich die Staatsangehörigkeit von Verdächtigen nicht mehr automatisch nennen will. Ein paar Überlegungen zur überhitzten Debatte mit ein paar Tagen Distanz.

Ah, ein Ausländer: Wenn ständig die Nationalität von Verdächtigen genannt wird, schürt das Vorurteile. (Bild: Keystone)

Richard Wolff, Polizeivorsteher der Stadt Zürich, gab vor rund zwei Wochen bekannt, künftig die Nationalität von mutmasslichen Tätern in Polizeimeldungen nur noch auf Anfrage bekannt zu geben. Er setzte damit ein Postulat um, das vom Zürcher Gemeinderat mit 46:72 Stimmen überwiesen worden war. 

Er tat dies nach eingehender Expertenkonsultation (Chefredaktoren, Medienethiker, andere Polizeidienste) mit sorgfältiger Begründung. Und er reaktivierte damit eine Ordnung, die bereits in den 1990er-Jahren bestanden hatte. Zur Beruhigung: Bei schweren Delikten (Mord etc.), bei Fahndungen und in der jährlichen Kriminalitätsstatistik bleibt die Nennung der Nationalität erhalten. 

Vorwurf der Verschleierung

Wolffs Entscheid löste trotzdem eine Welle der Empörung aus. Wenig überraschend titelte der auf Vox populi spezialisierte «Blick», die Zürcher Polizei sei «Meister der Verschleierung». Die Zürcher SVP kündigte sogleich eine Volksinitiative an, die «Transparenz» garantieren soll. 

Wenige Monate vor den städtischen Wahlen ist der Moment für einen solchen Vorstoss natürlich günstig. Die «Transparenz», um die es der SVP geht, betrifft allerdings nicht ihre eigene obskure Parteifinanzierung und sie bezieht sich auch nicht auf die inländische Steuerhinterziehung, denn Letztere will ihr Zürcher Nationalrat M. verewigen.

Von bürgerlicher Seite wird geurteilt, dass die Neuregelung ein «Eigentor» sei. Fremdenfeindlichkeit werde damit nicht ab-, sondern aufgebaut. Diese Kommentatoren gehen davon aus, dass sich Wolff von der Alternativen Liste mit seinem Entscheid im Hinblick auf die anstehenden Wahlen bei der übrigen Linken beliebt machen wolle.

Müsste man nicht, um «vollständig» zu sein, auch die Kantonszugehörigkeit von tatverdächtigen Schweizern nennen?

Dem Vorwurf der Verschleierung hat Rafaela Roth im «Tages-Anzeiger» eine lesenswerte Replik entgegengehalten. Darin zählt sie auf, was die Polizei alles nicht kommuniziert, weil sie es nicht mitteilen muss. War der oder die Tatverdächtige alkoholisiert? Oder war er/sie psychisch schwer krank?

Fragwürdig ist die Verlautbarung der Berner Polizei, die erklärt, dass ohne Nennung der Nationalität ein «unvollständiges Bild» entstehe. Müsste man in der föderalistischen Schweiz nicht, um «vollständig» zu sein, automatisch auch die Kantonszugehörigkeit von tatverdächtigen Schweizern nennen? Tessiner? Jurassier? Oder Basler!

«Es gilt die Unschuldsvermutung»

Wolff hat recht, wenn er dezidiert erklärt, dass Nationalität mit Kriminalität nichts zu tun habe. Auf die Frage, womit denn dann, antwortete er: «Mit Armut, tiefem Bildungsniveau, Drogenabhängigkeit, Perspektivenlosigkeit oder auch mit Kriegstraumata.» 

Die noble NZZ befand, Wollf habe seinen Entscheid «fast wie ein Hochschuldozent» und mit einigen «fast philosophisch anmutenden Auslegungen» begründet. Das war nicht unbedingt anerkennend gemeint.

Rafaela Roths Aufforderung sollte beherzigt werden: «So wie man keinen einzelnen Menschen vorverurteilt, sollte man auch keine Nationalität vorverurteilen. Es gilt die Unschuldsvermutung.» 

Ein albanischer LKW-Fahrer als «Ritter der Landstrasse» – wie würde dies unser Bild «der» Albaner beeinflussen?

Dem Argument, man möchte mit dem Verzicht auf die Nennung der Nationalitäten negative Verallgemeinerung vermeiden, wird mit einer ad absurdum führenden Gegenargumentation begegnet. Dann müsse man auch von der Nennung anderer Daten absehen, weil auch da die Tendenz zur Generalisierung bestünde: bei Autounfällen, die von «Jungen» und «Alten» verursacht werden, oder bei Gewaltdelikten, die sich vor allem das männliche Geschlecht zuschulden kommen lässt. Selbst Oberkriminologe Martin Killias sandte eine Aussage in dieser Richtung aus. 

Man hätte auch noch Religion oder Konfession ins Spiel bringen können. Menschen mit diesen Eckwerten wären tatsächlich ebenfalls der Tendenz zur Negativpauschalisierung ausgesetzt, heute weniger die Katholiken oder Protestanten, neuerdings vielmehr die Muslime und immer, immer wieder die Juden.

Was aber macht die Nationalität so wichtig, dass man sie unbedingt genannt haben oder eben ungenannt behalten möchte? Bei gewissen Nationalitäten wird stereotypisierende Verallgemeinerung weitaus stärker praktiziert und werden bei Vergehen die bereits bestehenden Negativbilder von Ausländern zementiert. 

Pauschalisierende Assoziationsketten entwirren

Positive Generalisierung gibt es nicht oder kaum. Wenn ein albanischer Lastwagenfahrer als «Ritter der Landstrasse» ausgezeichnet würde, wie würde dies unser Bild «der» Albaner beeinflussen? Oder wenn nur zum Beispiel ein Deutscher eine liegengebliebene Brieftasche (inkl. Inhalt) auf den Polizeiposten brächte?

Die Meldung, ein Chinese sei in ein Geschäft eingebrochen, würde kaum pauschale Vorurteile gegen Chinesen verstärken.

Die meisten Nennungen gelten zunächst bloss Tatverdächtigen. Auch da zeigt sich, dass Ausländer schneller in diese Kategorie geraten als Inländer. Andererseits ist nicht zu bestreiten, dass der Ausländeranteil an Straffälligen, wie Wolff eingeräumt hat, aus verschiedenen Gründen und sicher nicht nur wegen einer spezifischen Nationalität überproportional gross ist. 

Das will die Nichtnennung von Nationalitäten nicht verschleiern. Es geht darum, dass bei der Leserschaft die pauschalisierende Assoziationskette nicht bekräftigt wird: Ausländer = Krimineller. Sozialpsychologen können bestätigen, dass es analog zu positiven Assoziationen (z.B. tolles Auto = Partnerschaft mit einer schönen Frau) es eben auch negative Verknüpfungen von Dingen gibt, die objektiv nicht zusammengehören.

Konkret leben bekanntlich über zwei Millionen Ausländer in der Schweiz. Man kann den Verzicht auf Nationalitätennennung tatsächlich als Vorbeugung gegen allgemeine Ausländerfeindlichkeit verstehen. Ausländer (d.h. Bürger und Bürgerinnen anderer Staaten!) bilden auf der Vorstellungsebene eine abstrakte Problemkategorie. 

Es gibt bestimmte Nationen, deren Angehörige als besonders problematisch eingestuft werden. Die Mitteilung, dass ein Chinese zu schnell gefahren oder in ein Geschäft mit Elektronikwaren eingebrochen sei, wird hingegen kaum ein pauschales Negativbild von Chinesen verstärken.

Um die Transparenz kann es nicht ernsthaft gehen, weil auf Anfrage die Nationalität bekannt gegeben wird.

Was ist nun richtig? Bereits die Diskussion über die richtige Lösung – nicht nur unter Experten, auch im grösseren Publikum – ist eine gute Sache, weil sie die Selbstverständlichkeit der nationalen Zuordnungen infrage stellt.

Es geht um eine Güterabwägung. Wie aber lauten die Güter auf den beiden symbolischen Waagschalen? Hier Transparenz und Effizienz, dort Prävention gegen nationalistische Vorverurteilungen? Hans-Jörg Käser, der Berner Präsident der Kantonalen Polizeidirektorenkonferenz, weicht aus, wenn er sagt, dass man den Hang zur negativen Stereotypisierung bekämpfen und nicht die Anlässe dazu beseitigen sollte.

Vielerlei Handhabungen

Um die Transparenz kann es nicht ernsthaft gehen, weil auf Anfrage die Nationalität bekannt gegeben wird. Und Aufgabe von Medienleuten ist es zu recherchieren. Die NZZ hält es für richtig, dass im Fall einer Schlägerei von Anfang gesagt wird, dass sich diese in einem konkreten Fall unter Eritreern zugetragen habe, weil man so auch habe in Erfahrung bringen können, dass zwischen regierungstreuen und regierungskritischen Einwanderern dieser Kategorie ein tiefer Graben bestehe. Das wäre auch mit einer schnellen Rückfrage möglich gewesen. Es ist unverhältnismässig, das zweistufige Verfahren als «schikanös» zu bezeichnen.

Richard Wolff macht, was er für besser hält. Ob er damit andere auf den «besseren» Weg bringt, ist fraglich. 

Am Schluss landen wir wieder einmal beim helvetischen Föderalismus. Die verschiedenen Polizeistellen behandeln die Frage unterschiedlich. Die Kantonspolizei Basel-Stadt orientiert sich im Prinzip an der gesamtschweizerischen Regelung, welche die Nationennennung empfiehlt, überprüft aber regelmässig ihre Praxis. Bei Einzelfallmeldungen ist sie zurückhaltend, bei Sammelmeldungen zu Grossanlässen (Messe/Action Noël) werden Nationalitäten etwa von erfassten Taschendiebstählen angegeben. 

Die Waadt und die Bundespolizei (Fedpol) verzichten auf Nationalitätennennung, Bern tat es bis vor Kurzem ebenfalls. Selbst in Zürich macht die Stadt es nun wieder anders als der Kanton. Und dies zuhanden von Medien mit grenzüberschreitenden Reichweiten. 

Genfs Grüne wollen eine gesamtschweizerische Einheitslösung, wohl eher im Wolffschen Sinn. Wolff macht in seinem Verantwortungsbereich, was er für besser hält. Ob er damit andere auf den «besseren» Weg bringt und einen Systemwechsel einleitet, ist höchst fraglich. Sein Korps ist zwar immerhin das drittgrösste hinter den Kapos von Zürich und Bern. Der Trend läuft aber, angeführt von der SVP und mitgezogen von der bürgerlichen Rechten, in die Gegenrichtung.

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