In der Ausländerpolitik trudelt die Partei unkontrolliert nach rechts. Nun formiert sich eine Gegenbewegung.
Die Basis ist plötzlich immer und überall. «Es gibt ein allgemeines Gefühl an der Basis, dass wir ein Problem mit der ausländischen Wohnbevölkerung haben», sagte CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter kürzlich in einem Interview. «An der Basis herrscht ein grosser Unmut, was die Ausländer betrifft. Sie sollten mal hören, was mir meine Tennisfreunde erzählen», sagte Markus Lehmann am Rande der Debatte zur Verschärfung des Bürgerrechts.
Stramm nach rechts
Schneider und Lehmann, die beiden CVP-Parlamentarier aus der Region Basel, spielen auf der nationalen Bühne nur eine kleine Rolle. Aber eine entscheidende: Sie gehören zu jenem Gros der CVP-Fraktion, das im Ausländerbereich dem intellektuellen Vordenker Gerhard Pfister (ZG) folgt und massgeblich zu den verschiedenen Verschärfungen in der Ausländerpolitik beigetragen hat. Die Asylgesetz-Revision (bei der die CVP federführend das Referendum bekämpft), das schärfere Bürgerrecht, der Vorschlag einer permanenten Ventilklausel und, als verfassungsrechtliche Pointe, die DNA-Datenbank für «gewisse Ausländergruppen» von CVP-Präsident Christophe Darbellay – dank der CVP hat die Schweizer Politik in den letzten Monaten im Ausländerbereich einen scharfen Rechtskurs eingeschlagen.
Grund für die bedenkenlose Anpassung nach rechts ist die Angst vor dem eigenen Niedergang: Man dürfe das Feld nicht der SVP überlassen, sagte Schneider-Schneiter im gleichen Interview. Sie sagte es nicht als erste CVP-Politikerin. Immer wenn die CVP in vergangener Zeit für eine restriktive Behandlung von Ausländern und Asylbewerbern eintrat, tat sie das mit dem Hinweis auf das noch viel grössere Übel rechts der Mitte.
Konsequenz dieser Angst, es auch nur einem einzigen Wähler mit einem Groll auf Ausländer nicht recht machen zu können, ist ein bis weit in die Mitte salonfähig gewordener Rechtskurs in der Ausländerpolitik. Was mitunter auch ein Grund für die momentane Stagnation der SVP sein könnte. Die Anpassung nach rechts ist kein neues Phänomen – und auch kein ausschliessliches. Je nach Thema, Zeitgeist und führenden Personen innerhalb der Partei neigt die CVP einmal nach rechts, einmal nach links. «Wir erleben eine ständige Wellenbewegung. Davor darf man nicht resignieren», sagt Lucrezia Meier-Schatz, CVP-Nationalrätin aus dem Kanton St. Gallen. Meier-Schatz ist der Gegenpol zu Gerhard Pfister, und sie hat genug.
Als der Nationalrat vor ein paar Wochen Darbellays DNA-Datenbank guthiess (auch dank den Stimmen der CVP), erhob Meier-Schatz die Stimme: «Bestimmte Asylbewerber auf Vorrat kriminalisieren zu wollen, ist eine politische Entgleisung sondergleichen und entspricht nicht den Werten, die von der CVP vertreten werden», sagte sie der «Schweiz am Sonntag».
Die Wertediskussion
Gegenüber der TagesWoche bekräftigt sie die Kritik und wird noch grundsätzlicher: Es sei an der Zeit, in der CVP wieder über Werte zu diskutieren. «Verschiedene Volksinitiativen stellen in nächster Zeit die Grundwerte in unserer Verfassung zur Disposition. Das darf man nicht hinnehmen. Hier muss man aufstehen und sagen: so nicht!»
Auch intern versucht Meier-Schatz die Wellenbewegung etwas mehr Richtung Mitte zu lenken. Im vergangenen September hat die Nationalrätin eine alte Tradition innerhalb der CVP-Fraktion wieder aufleben lassen. Am ersten Dienstag der Session trifft sich seither eine Gruppe mit dem Titel «Gedankenaustausch liberal-sozial», um «jene Wertediskussion zu führen, die aus der Tagespolitik momentan verdrängt wird», wie sich Meier-Schatz ausdrückt.
Wieder in die Mitte
Die Teilnehmer sind dabei nicht auf die Bundeshausfraktion beschränkt. Regelmässig ist beispielsweise Felix Bischofberger Gast an den Treffen, CVP-Kantonsrat aus St. Gallen und momentan Präsident des kantonalen Parlaments. «Es ist wichtig, dass auch der christlich-soziale Teil der Partei Gewicht erhält», ist Bischofberger überzeugt. In vielen Fragen sei die Partei in den vergangenen Jahren «unter dem Druck der Gesellschaft» empfindungsmässig nach rechts gerutscht, «wir wollen wieder zurück in die Mitte». Und dazu gehöre das Bekenntnis der CVP zu ihren Urwerten, zur Humanität, zur Solidarität. «Wir dürfen uns nicht dem Populismus beugen.»
Quellen
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.05.13