Nicht nur in der Schweiz sorgt der Umgang mit Asylsuchenden für grosse Debatten: Zehntausende von Flüchtlingen leiden auch unter mangelnder Kooperation in der EU und sich verschlechternden Zuständen in den Auffanglagern an der europäischen Peripherie.
Weltweit befinden sich 42,5 Millionen Menschen zwangsweise im Exil oder auf der Flucht vor bewaffneten Konflikten oder politischer Verfolgung. Dem gerade veröffentlichten Global-Trends-Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR zufolge verursachten 2011 die Konflikte in der Elfenbeinküste, Libyen, Somalia und Sudan grössere Flüchtlingskrisen. Mehr als 800’000 Menschen wurden in die Nachbarländer und weitere 3,5 Millionen innerhalb der jeweiligen Landesgrenzen vertrieben.
Die EU will bis Ende 2012 eine Übereinkunft über ein kollektives Asylsystem treffen, um gemeinsame Standards zu stärken, eine grössere Solidarität zwischen den Mitgliedsländern zu etablieren und eine faire und anständige Behandlung der Flüchtlinge zu gewährleisten.
Gegenwärtig müssen die Länder der europäischen Peripherie, verglichen mit den Kapazitäten EU-weit, die meisten Flüchtlinge aufnehmen, was die ohnehin stets schwierigen Lebensbedingungen in Asylbewerberheimen in diesen Ländern noch verschärft. Malta ist ein typisches Beispiel: 2011 kamen pro Kopf mehr Asylbewerber auf die Insel als in irgendein anderes Land der EU – mit 4’500 Anträgen pro eine Million Einwohner zehnmal so viele wie nach Grossbritannien. Im Mai nahm die maltesische Regierung nach einem dramatischen Seeunglück 600 Migranten auf einmal auf – hochgerechnet auf Grossbritannien wären das 90’000 Flüchtlinge an einem einzigen Tag.
Es überrascht daher kaum, dass die Bedingungen in Maltas Auffanglagern, in denen Asylbewerber bis zu 18 Monaten warten müssen, bis ihr Antrag überhaupt bearbeitet wird, als «ungesund, ungeeignet und gefährlich» beschrieben werden.
Abschiebung unterbunden
Das finanziell stark angeschlagene Griechenland muss ebenfalls eine unverhältnismässig grosse Zahl von Flüchtlingen aufnehmen: 2010 erfolgten 90 Prozent aller illegalen Grenzübertritte nach Europa entlang der türkisch-griechischen Grenze. Im Vorjahr wurden 57’000 Einreiseversuche registriert. Die Vervollständigung eines sechs Meilen langen Stacheldrahtzaunes dürfte die Zahl der Grenzübertritte zwar eindämmen, aber nur eine vorläufige Lösung sein, da die Menschen dann eben an anderer Stelle den Übertritt versuchen.
Unterdessen nährt die steigende Zahl «illegaler» Einwanderer (geschätzt 400’000) in Griechenland fremdenfeindliche Stimmungen und Rassismus, wie der Aufstieg der Neonazipartei Goldene Morgenröte zeigt. Zugleich führt der Anstieg der Asylanträge zu einer humanitären Krise – das strapazierte Asylsystem wird durch Budgetkürzungen weiter belastet, Migranten müssen in den Auffanglagern unter fürchterlichen Bedingungen ausharren.
Die EU-Kommission hat die schlechte Behandlung von Asylbewerbern in Griechenland kritisiert und versprochen, dem Land mit 90 Millionen Euro unter die Arme zu greifen. Zum sechs Millionen Franken teuren Zaun entlang der griechisch-türkischen Grenze wollte man indes nichts beitragen, weil er «sinnlos» sei. Weiterhin wurden die Regelungen der Dublin-II-Verordnung, die den EU-Mitgliedsstaaten erlauben, Asylbewerber in die Länder zu überstellen, über die sie in die EU gekommen sind, kürzlich in Frage gestellt, als der Europäische Gerichtshof entschied, dass Asylbewerber nicht in einen Mitgliedsstaat abgeschoben werden dürfen, in dem ihnen «unmenschliche Behandlung» droht. Seither sind viele Abschiebungen erst einmal ausgesetzt worden, da den EU-Staaten aufgegangen ist, dass es nicht realistisch ist, Asylbewerber in ein Land zurückzuschicken, das bereits Probleme hat, sich um die im Land befindlichen Flüchtlinge zu kümmern.
Schwankende Anerkennungsraten
Trotz des Bemühens um mehr Solidarität und gemeinsame EU-Standards bestehen weiter grosse Unterschiede – wie das enorme Gefälle bei der Anerkennung von Asylanträgen zeigen. Bei afghanischen Asylbewerbern schwanken die Anerkennungsraten zwischen 73 Prozent in Schweden, 32 Prozent in Großbritannien und elf Prozent in Griechenland. Bei irakischen Asylbewerbern liegen sie zwischen null und 81 Prozent.
Es wird befürchtet, dass es angesichts steigenden wirtschaftlichen und politischen Drucks eine immer stärkere Abwärtsspirale geben wird, da EU-Länder versuchen, die eigene Asylpolitik restriktiver zu gestalten als die der Nachbarn und so die Last weiter zu geben.
Als etwa die italienische Regierung im Vorjahr tunesischen Einwanderern temporäre Aufenthaltsgenehmigungen ausstellte und ihnen stillschweigend nahelegte, sich nach Frankreich zu begeben, reagierte die französische Regierung, indem sie zeitweise keine Züge aus Italien mehr ins Land liess.
Menschenunwürdige Zustände
Unlängst verständigte sich der Europarat darauf, den nationalen Regierungen mehr Freiheiten zur Verhängung von Grenzkontrollen einzuräumen. Somit verwehrte man dem Europaparlament die Mitwirkung an der Gesetzgebung in diesem Bereich. Potentiell ist davon auch die Arbeitsmobilität bedroht.
Das alles ändert nichts daran, dass immer mehr Flüchtlinge vor regionalen Konflikten wie den Bürgerkriegen in Syrien und Somalia fliehen, um sich unter menschenunwürdigen Zuständen wiederzufinden und permanent Angst vor rassistischen Angriffen haben zu müssen.
Um diese Menschen so fair zu behandeln, wie sie es verdienen, braucht es mehr als finanzielle Solidarität, damit Länder wie Malta und Griechenland ihre Flüchtlinge angemessen versorgen können. Darüber hinaus bedarf es einer unabhängigen EU-Institution, die die Bearbeitung von Asylanträgen überwacht, verhindert, dass ähnlich gelagerte Fälle unterschiedlich behandelt werden und allen ein gerechtes Verfahren garantiert. Ein Verteilungssystem, wie es zwischen den verschiedenen deutschen Bundesländern existiert, könnte für eine gerechtere Verteilung der Verantwortung innerhalb der EU sorgen.
Schliesslich ist das Asylsystem nur dann wirklich ein gemeinsames, wenn auch Grossbritannien, Irland und Dänemark sich daran beteiligen und sich nicht länger unter Verweis auf ihre Nichtzugehörigkeit zum Schengen-Raum verweigern.
Artikelgeschichte
Copyright: Guardian News & Media Ltd 2012; Übersetzung: Zilla Hofman & Holger Hutt