Wie die Baselbieter Regierung auf ihre heftig umstrittene Energiestrategie kam.
Das Baselbiet war einmal das Vorbild in Sachen Energie. In den vergangenen Jahren hat der einst so fortschrittliche Kanton aber auch in diesem Bereich nicht mehr viel Innovatives zustande gebracht. Doch nun will die Regierung all das Verpasste aufholen – mit einer neuen Energiestrategie als Grundlage für ein neues Energiegesetz.
Das Strategiepapier ist allerdings stark umstritten. Die vorberatende Landratskommission kritisiert darin eine ganze Reihe von Punkten, wie wir bereits berichtet haben. Fast noch vernichtender war die Resonanz in den Leserinnen- und Leserkommentaren. «Offenbar fehlt der Baselbieter Regierung die Fachkompetenz in diesem Bereich», schrieb etwa Margareta Bringold.
Die erneuerbaren Energieträger zu vernachlässigen oder gleich ganz zu vergessen, genau gleich wie den wichtigen Bereich der Mobilität: das wird der Baselbieter Regierung und der federführenden Baudirektorin Sabine Pegoraro (FDP) vorgehalten. Es sind harte Vorwürfe, aber nicht einmal die schlimmsten. Diese zielen auf die Offenheit der Regierung gegenüber Gaskraftwerken. In früheren Stellungnahmen hatte Pegoraro den Gemeinden sogar schon angedroht, der Bau eines Gaskraftwerks könne durchaus auch gegen ihren Willen durchgesetzt werden.
Die drei drängenden Fragen
Das ist eine rechtlich höchst fragwürdige Aussage – aber keine überraschende, wenn sie aus Pegoraros Mund kommt. Bei der Erarbeitung der neuen Energiestrategie hat sie sich nicht nur von Energieversorgern, Fachleuten und Wirtschaftsverbänden beraten lassen, sondern auch von der CABB (früher SF-Chem beziehungsweise Säurefabrik). Von jenem Chemieunternehmen also, das für seine Produktion so viel Energie wie keine andere Firma im Kanton benötigt und darum gerne ein Gaskraftwerk hätte – möglichst beim eigenen Areal im Gebiet Schweizerhalle.
Die Gemeinde Muttenz leistet erbitterten Widerstand. Und es gibt tatsächlich mehrere gute Gründe, um sich zu fragen, ob die Gaskraft die richtige Technologie fürs Baselbiet ist. Und die Firma CABB die richtige Beraterin, wenn es um eine neue Strategie für die Umstellung auf sauberen und sicheren Strom geht.
● CABB setzt auch im eigenen Haus auf veraltete Verfahren, auch wenn diese alles andere als umweltfreundlich sind. So ist die Prattler Firma das einzige Unternehmen in der Schweiz, das für die Herstellung von Chlor noch immer Quecksilber einsetzt. Obwohl das Gift in der Schweiz eigentlich verboten ist und sich unser Land an vorderster Front für einen weltweiten Verzicht einsetzt. Das Prattler Unternehmen kommt laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) aber bis 2020 darum herum – dank einer Spezialbewilligung, ausgestellt vom Kanton und ermöglicht durch eine Ausnahmeklausel in der Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung des Bundes. Bis auf Weiteres werden in Schweizerhalle damit wohl weiterhin Jahr für Jahr bis zu 14 Kilogramm Quecksilber in Luft und Wasser freigesetzt.
● Eine Reihe anderer Firmen in der Schweiz und Europa hat die Produktion bereits umgestellt, um auf Quecksilber verzichten zu können – und um mit neuen Anlagen Energie zu sparen. Mit ihren veralteten Produktionsanlagen ist die Firma CABB dagegen wohl zumindest bis 2020 die grösste Energiefresserin im Kanton. Dennoch – oder gerade deshalb – wird sie nicht nur von der Baselbieter Regierung, sondern auch vom Bund bevorzugt behandelt: CABB gehört laut einem Bericht des Schweizer Fernsehens zu jenen 29 Schweizer Unternehmen, die wegen ihres extrem hohen Energiebedarfs einen Rabatt bei der Abgabe zur Förderung von Ökostrom erhalten. Nur dank dieser Einsparungen –zum Teil in Millionenhöhe – könnten diese Betriebe im internationalen Konkurrenzkampf bestehen, heisst es beim Bund.
Mit diesen Geschenken würden die falschen belohnt und die Umstellung auf saubere Energie hintertrieben, sagen dagegen die Gegner. Und sie scheinen zumindest im Fall von Pratteln recht zu bekommen, wo CABB ihre alten Anlagen möglichst lange nutzt und danach auf Gaskraft setzen will – eine Technologie, die wegen des hohen CO2-Ausstosses zumindest ausserhalb des Regierungsgebäudes in Liestal stark umstritten ist.
● Im Umfeld der Firma heisst es, dass spätestens seit Anfang 2011 und der Übernahme durch den britischen Finanzinvestor Bridgepoint stark auf Profit geachtet werde. Zu stark aus Sicht der Gewerkschaft Unia, die bei CABB in eine unschöne Auseinandersetzung um Arbeitszeiten verwickelt worden ist. Daneben gibt es wegen des Spardrucks auch noch ganz andere Sorgen – um die Sicherheit. «Diese Firma produziert mit ziemlich alten Anlagen rund 27 000 Tonnen Chlor pro Jahr – ein sehr gefährlicher Stoff. Und eine beunruhigende Konstellation für die gesamte Region Basel, wenn dort Chlorgas in grossen Mengen austreten sollte», sagt der Basler Chemie- und Altlastenexperte Martin Forter.
Für die Behörden ist alles kein Problem
Bei der Baselbieter Baudirektion sieht man allerdings alles ein wenig anders. «Die Anlagen entsprechen dem Stand der Sicherheitstechnik», sagt Alberto Isenburg, Leiter des Amtes für Umweltschutz und Energie. Und auch bei den Emissionen würden die Grenzwerte «bei Weitem» eingehalten.
Fest steht für ihn zudem, dass das Ziel der Energiewende «nur gemeinsam erreicht werden kann» – zusammen mit der Wirtschaft und den grössten Verbrauchern. Darum seien sie auch am Runden Tisch dabei gewesen. Mit dem dort Erreichten ist Isenburg zufrieden. Trotz der klaren Worte im Bericht der Landratskommission will er auch keine «konkreten Kritikpunkte» gehört haben. Darum sieht die Baudirektion auch keinen Anlass, noch irgendwelche Änderungen an der Energiestrategie vorzunehmen.
Über die Rolle, welche die Firma CABB dabei spielte, wird Baudirektorin Sabine Pegoraro aber dennoch Auskunft geben müssen. Dafür sorgt der grüne Landrat Jürg Wiedemann mit zwei Vorstössen, die er nächste Woche einreichen wird. «Wir dürfen unsere Energiepolitik doch keinesfalls auf ein solches Unternehmen abstellen, das auf schmutzige alte Technologien setzt.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.04.13