«Die Frage ist nicht, ob wir wachsen, sondern wie wir wachsen»

Suffizienz ist für den Umweltökonomen Frank Krysiak nötig, um von einem quantitativen Wachstum zu einem qualitativen zu gelangen. Aufs Wachstumsparadigma will er jedoch nicht verzichten und von Ideen einer Postwachstumsökonomie hält er nicht viel.

Umweltökonom Frank Krysiak. (Bild: Uni Basel)

Suffizienz ist für den Umweltökonomen Frank Krysiak nötig, um von einem quantitativen Wachstum zu einem qualitativen zu gelangen. Aufs Wachstumsparadigma will er jedoch nicht verzichten und von Ideen einer Postwachstumsökonomie hält er nicht viel.

Obschon es die Popularität des Themas nahelegen würde: Frank Krysiak (42) gehört nicht zu den medialen Popstars der Nachhaltigkeitsforschung. Der Professor für Umweltökonomie lehrt und forscht seit 2006 an der Universität Basel und ist einer von drei Organisatoren des Masterstudiengangs in Sustainable Development.

Eigentlich schade, dass er während den letzten vier Jahren nur elf mal Erwähnung in den Medien fand, fällt der Professor im Interview doch durch Diskussionsfreude, konkrete Bezüge zum Alltag und ruhige Erörterung auf. Einzig bei der Grundsatzfrage nach dem Wachstumsparadigma in den Wirtschaftswissenschaften werden die Pausen während des Gesprächs etwas länger und man kriegt das Gefühl, als würde sich ein gewisser Überdruss gegenüber der Fragestellung bemerkbar machen.

Herr Krysiak, in der öffentlichen Debatte um Nachhaltigkeit wird meist über Effizienzsteigerung gesprochen, zum Beispiel durch «grüne» Technologien. Reicht das oder brauchen wir auch eine Steigerung der Suffizienz, also der bewussten Reduktion des Ressourcenverbrauchs durch persönliche Verhaltensänderung, damit wir unsere Umweltziele erreichen werden?

Es kommt darauf an, von welcher Suffizienz Sie sprechen. Vor 30 Jahren verstand man darunter einen freiwilligen Verzicht auf Konsum. Heute spricht man oft nicht mehr von Verzicht, sondern davon, die eigene Lebensweise zu verändern, ohne dabei auf Lebensqualität zu verzichten. Das sind zwei komplett unterschiedliche Begriffe von Suffizienz. Aus ökonomischer Sicht würde ich sagen: Nachhaltigkeit ist ohne Verzicht durchaus möglich, doch ohne eine gewisse Änderung in der Art, wie wir leben, wird es nicht gehen. In der Umweltökonomie sprechen wir in diesem Zusammenhang von qualitativem anstelle von quantitativem Wachstum.

Wie muss man sich ein solches qualitatives Wachstum vorstellen?

Nehmen wir das Beispiel Mobilität: Es ist nicht nötig, dass ich darauf verzichte und 362 Tage im Jahr in einem Umkreis von 20 Kilometern um mein Haus bleibe. Aber ich kann anders reisen, zum Beispiel, indem ich nicht mehr mit dem Auto fahre, sondern den Nahverkehr nutze und all das ohne jeglichen Verzicht auf Lebensqualität. Plötzlich merkt man: Für 90 Prozent der Strecken brauche ich gar kein Auto, also verzichte ich ganz darauf. Wenn Menschen einmal die Erfahrung machen, dass es auch anders geht, dann ist vieles möglich.

Stellen Sie mit dem Ruf nach mehr Qualität anstatt Quantität nicht das gängige Wachstumsparadigma der Wirtschaft in Frage? Dieses beruht ja darauf, dass immer mehr zu immer tieferen Kosten produziert wird – darauf basiere unser Wohlstand, heisst es.

(Lange Pause.) Nicht wirklich. Denn es ist egal, ob Wachstum zustande kommt, indem wir mehr Güter produzieren und konsumieren oder indem wir weniger, dafür qualitativ hochwertige Güter produzieren und konsumieren. Wenn alle, die heute regelmässig bei McDonald’s essen, künftig weniger oft, dafür in einem Fünf-Sterne-Restaurant essen, dann wirkt sich das wahrscheinlich positiv auf die Umwelt aus, schafft mehr Lebensqualität und zugleich Wachstum. Die Frage ist also nicht so sehr, ob wir wachsen, sondern wie wir wachsen. Wachstum sollte kein Ziel an sich sein.

Ist man in den Wirtschaftswissenschaften heute überhaupt bereit, das gängige Wachstumsparadigma zu überdenken?

Da gibt es Abstufungen: Es gibt Ökonomen, die aktiv nach Alternativen suchen. Andere setzen sich zwar mit der Frage auseinander, kommen aber zum Schluss, dass es gut ist, wie es ist. Und dann gibt es noch solche, die das Paradigma überhaupt nicht in Frage stellen wollen.

«Dieses Konzept ist in den 80er-Jahren ziemlich verbrannt worden und ich würde heute weite Wege gehen, um das Wort Suffizienz› zu vermeiden.»

Die Universitäten könnten ein fruchtbarer Boden für das Denken und Testen von neuen, «suffizienteren» Wirtschaftsmodellen sein. Ich habe aber den Eindruck, dass nach wie vor Standardtheorie wie vor zwanzig Jahren gebüffelt wird.

Tatsächlich werden Sie das Wort Suffizienz an unserer Fakultät wahrscheinlich nicht hören. Dieses Konzept ist in den 80er-Jahren in der Ökonomie ziemlich verbrannt worden und ich würde heute weite Wege gehen, um das Wort «Suffizienz» zu vermeiden.

Weshalb?

Weil es den Anstrich einer gescheiterten Idee hat – diese Idee, dass wir alle freiwillig Verzicht üben. Dieses erste Suffizienz-Konzept ist grandios gescheitert. Das wurde eine Zeit lang breit diskutiert, hat es aber nie in den Kanon der Wirtschaftswissenschaften geschafft. Was aber mittlerweile durchaus im Mainstream angekommen ist, sind Theorien, die den selbstzentrierten Homo Oeconomicus, von dem die Ökonomen lange Zeit ausgingen, infrage stellen. Themen wie Altruismus, der ein wichtiger Motivator für suffizientes Verhalten sein kann, werden heute in der Ökonomie breit diskutiert.

Doch obschon Umweltfragen seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung von 1992 stark an gesellschaftlicher Relevanz gewonnen haben, fristen sie in der Ökonomie noch immer ein Schattendasein. Weshalb?

Das stimmt nicht! 1980 gab es in Deutschland einen einzigen Lehrstuhl für Umweltökonomie. Heute hat fast jede Universität einen. Bei uns an der Fakultät lehren und forschen fünf Professuren in den Bereichen Umwelt- und Energieökonomie. Das ist mittlerweile einer der grössten Bereiche der Fakultät. Wir sind längst keine Nische mehr. 

Aber auch dort beschränkt man sich auf Überlegungen zur umweltpolitischen Adaption des bestehenden Systems. In Deutschland und den USA bieten Universitäten heute Vorlesungen in «Postwachstumsökonomie» an. Dabei lernen Studierende, wachstumskritische Positionen wissenschaftlich zu begründen und eine Ökonomie ohne Steigerung des Bruttoinlandproduktes (BIP) zu denken. Weshalb gibt es so was an der Uni Basel nicht?

(Tiefes Einschnaufen) Da muss man sagen, das ist ein Thema… Die Frage, ob wir ein quantitatives oder ein qualitatives Wachstum wollen, ist unkritisch unter Ökonomen. Aber diese ganze Debatte zur Transformation von einer Wachstums- zu einer Postwachstumsgesellschaft ist sehr stark ideologisch belastet. Da reagieren die meisten Ökonomen sehr aversiv darauf, weil sie sich nicht auf eine Debatte einlassen wollen, die auf der Basis von Ideologien und nicht von Sachargumenten ausgetragen wird. Es fehlt eine ergebnisoffene Diskussion dazu. Man kann nicht einfach hingehen und sagen, es ist offensichtlich, dass die bisherige Wachstumsökonomie gescheitert ist. Da gibt es sehr viel Evidenz, die dagegen spricht.

«Die Wachstumskritiker sagen zwar was alles falsch läuft, bieten jedoch keine Vorschläge wie man es besser machen könnte.»

Die Vertreter der Postwachstumsökonomie werfen den Apologeten des Wachstums genau die gleiche Verblendung vor.

Es gibt aus der sogenannten ökologischen Ökonomie seit 30 Jahren eine hervorragende und sehr fundierte Kritik der Mainstreamökonomie. In diesen Aufsätzen finden sich alle wichtigen Argumente, weshalb die Wachstumsprozesse, wie sie bisher gedacht wurden, falsch sind. Das zentrale Argument dabei ist: Die Ökonomen sehen die Wirtschaft als einen zirkulären, von der Umwelt losgelösten Prozess.

Und weshalb fand diese Kritik nicht Eingang in unser reales Wirtschaftssystem?

Weil es überwiegend bei einer Kritik geblieben ist. Die Vertreter sagen zwar was alles falsch läuft, bieten jedoch keine Vorschläge wie man es besser machen könnte. Denn nur zu kritisieren, ohne konstruktiv zur Debatte beizutragen, dass kann man Mal ein paar Jahre lang machen, aber nicht als Lebenswerk.

Zurück zum «qualitativen Wachstum», das Ihrer Meinung nach den Weg in eine nachhaltigere Gesellschaft weisen könnte. Setzen Sie da auf die Freiwilligkeit der Bürger?

Nicht alleine. Man kann Entscheidungen durchaus lenken, zum Beispiel indem wir Treibstoffe verteuern oder ein Road Pricing einführen, bei dem diejenigen mehr bezahlen, die mehr fahren. Denn bis heute werden die negativen Folgen, also die Umweltschäden, nicht auf die Verursacher übertragen – wir nennen das externalisierte Kosten.

Aber solche Eingriffe widersprechen doch der Standardtheorie der Ökonomie, wonach die unsichtbare Hand des Marktes die optimale Allokation der Güter garantieren soll. Darauf stützen sich Wirtschaftsvertreter um umweltpolitische Regulierungen abzuwenden. 

Eine Internalisierung der Umweltkosten ist gerade aus ökonomischen Überlegungen notwendig, um eine effiziente Nutzung der Ressourcen zu sichern. Wenn man zu einem nachhaltigen Wachstum übergehen will, kann man das nicht alleine dem Markt überlassen. Es wird immer eine gewisse staatliche Lenkung geben müssen. Hier ist in der Wirtschaft ein Perspektivenwechsel nötig.

«Wo die Wirtschaft für die Umwelt investieren muss, glaube ich nicht, dass das von alleine geschieht.»

Weshalb vertrauen Sie nicht auf die Eigenverantwortung der Unternehmen wie viele Ihrer Kollegen?

Wir haben das versucht. Von 2001 bis 2005 hat man gesagt, ok, die Wirtschaft in der Schweiz wird die CO2-Emissionen in Eigenverantwortung senken. Das ist nicht passiert. Deshalb hat man 2007 die CO2-Abgabe und den Emissionshandel beschlossen. Wo die Wirtschaft für die Umwelt investieren muss, glaube ich nicht, dass das von alleine geschieht.

Obschon es heute praktisch kein Unternehmen mehr gibt, das sich nicht mit «Corporate Social Responsibility»-Leitlinien brüstet?

Es liegt einfach nicht im Interesse der Unternehmer, das zu tun. Das investierte Kapital gehört jemandem und die Investoren wollen dafür Rückflüsse sehen. Sie als Konsument, fänden Sie es gut, wenn Ihre Pensionskasse sagen würde: «Wir haben investiert, Ihre Rente wird geringer ausfallen, aber dafür wird die Welt CO2-frei»? Die Unternehmen übertragen unsere Ansprüche in ihr Verhalten. Ich glaube, es ist vielversprechender, auf den Staat zu setzen, der limitiert eingreift, als auf einen besseren Menschen und eine bessere Wirtschaft.

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