Der Bund will den Kantonen die Kontrolle über den Staatsschutz entziehen. Der Widerstand ist noch zögerlich, aber er wächst.
Die Welt wird erschüttert vom grössten Überwachungsskandal, den es je gab. Fast täglich gibt es neue Enthüllungen vom amerikanischen Geheimdienst-Informanten Edward Snowden, der von den einen als Verräter verflucht und von den anderen als Freiheitsheld gefeiert wird.
In der Schweiz bleibt es allerdings erstaunlich ruhig, obwohl die Staatsschützer hier drauf und dran sind, ihre Kompetenzen massiv auszuweiten. Nicht etwa still und heimlich wie die Kollegen in den USA und in England, die sich unbemerkt von der Öffentlichkeit einen umfassenden Zugriff auf den Internet- und Telefonverkehr erschlichen haben. Nein, in der Schweiz verfolgt der Nachrichtendienst sein Ziel, Telefongespräche abzuhören, Computer zu durchsuchen und private Wohnungen zu verwanzen, ganz offiziell und mit der Unterstützung von Bundespräsident Ueli Maurer (SVP) und des Gesamtbundesrates. Im März hat Maurer den Entwurf des neuen Nachrichtendienstgesetzes (NDG) präsentiert, das den Schweizer Spionen die gewünschten Kompetenzen geben soll.
Selbst SP und SVP sind dafür
In Bundesbern kommt das Gesetz gut an, selbst bei der SP und der SVP, die in der Vergangenheit immer wieder gewarnt haben vor einem ausufernden Staatsschutz, dem der gläserne Bürger schutzlos ausgeliefert sei. Zwar sei die Erinnerung an den Fichenskandal Ende der 80er-Jahre noch immer wach, sagte SP-Nationalrätin Chantal Galladé, Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates, gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Die neue Generation habe aber auch den Terrorangriff vom 11. September 2001 auf die USA mitbekommen. Und sie kenne auch die Gefahr von Cyber-Attacken. «Darum sehen wir auch den Handlungsbedarf», erklärt Galladé ihre Unterstützung für das neue Gesetz.
Widerstand aus Basel
Vielleicht müsste man aber eher von blindem Aktivismus als von Handlungsbedarf sprechen. Diesen Eindruck erhält jedenfalls, wer die Stellungnahmen aus Basel-Stadt zum neuen Gesetz liest. Sie sind ein Frontalangriff auf Ueli Maurer und seinen Nachrichtendienst, lanciert von verschiedenen Stellen.
Die Basler Regierung warnt in ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf vor «schweren Eingriffen in die Grundrechte», für die der Nachrichtendienst eine demokratische Legitimation brauche (das ganze Schreiben der Basler Regierung ist auf der Rückseite dieses Artikels zu finden). Diese hat er nach Ansicht der Basler Regierung nicht, solange das Volk und die Stände keinen entsprechenden Verfassungsartikel angenommen haben.
Diese Abstimmung müsse «der erste Schritt» sein, noch vor der Beratung des NDG im Bundesparlament. Bei diesem zweiten Schritt sollte dann nach Ansicht der Basler Regierung vor allem die Aufsicht zum Thema werden. Diese müsse in einem solch heiklen Bereich möglichst unabhängig und möglichst wirksam sein – und damit ganz anders, als der Bundesrat vorschlägt: Geheimdienstförderer Maurer will die Aufsicht in seinem Departement behalten; für die Oberaufsicht wäre neu nur noch die Geschäftsprüfungskommission des Bundesparlamentes zuständig.
Neben der Kritik an der laschen Kontrolle weist die Basler Regierung schon fast beiläufig auf einen fast noch heikleren Punkt hin: dass nicht nur Terroristen, Waffenhändler und ausländische Spione ins Visier des ausgebauten Staatsschutzes geraten können, sondern auch ganz normale Bürgerinnen und Bürger. Etwa wenn sich der Nachrichtendienst auf Computern von Privatleuten oder Firmen einnistet.
«Aufsichtsfreier Raum»
Es seien «drastische Massnahmen», die mit den neuen Gesetz möglich werden, sagt auch Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel und Mitglied im kantonalen Staatsschutz-Kontrollorgan. Aus juristischer Sicht kritisiert er vor allem, dass der Gesetzesentwurf am Grundproblem des Nachrichtendienstes nichts ändere. An seiner «Hybridfunktion», wie Schefer das nennt. Einerseits folgt der Dienst den Weisungen des Bundes und liefert ihm auch die Daten, anderseits ist er eng verbunden mit den Kantonspolizeien und auch organisatorisch den kantonalen Sicherheitsdepartementen unterstellt. «Das ist rechtsstaatlich eine schlechte Lösung», sagt Schefer. «Diese Aufteilung der Zuständigkeiten hat dazu geführt, dass sich lange Zeit niemand für die Aufsicht verantwortlich fühlte. Und diese Gefahr besteht weiterhin, wenn die Organisation nicht verändert wird.»
Die Geschäftsprüfungskommission des Basler Grossen Rates (GPK) schliesslich beschwert sich in ihrem kürzlich publizierten Bericht für das Jahr 2012 darüber, dass ihr die Oberaufsicht über den kantonalen Ableger des Staatsschutzes entzogen werden soll. Die GPK des Bundesparlamentes könne diese Aufgabe allein schon «aufgrund ihrer beschränkten Ressourcen» unmöglich wahrnehmen, sagt der Basler GPK-Präsident Tobit Schäfer. Entsprechend gross sei die Gefahr, dass der Schweizer Staatsschutz mit dem neuen Gesetz in einem «aufsichtsfreien Raum» operiere – ohne politische Kontrolle. «Staatsrechtlich wäre das nicht haltbar», sagt GPK-Präsident Tobit Schäfer.
Tradition der Kritik
Es kommt nicht von ungefähr, dass die Kritik ausgerechnet in Basel-Stadt so heftig ausfällt. Der Kanton und seine offiziellen Vertreter haben schlechte Erfahrungen mit dem Staatsschutz gemacht. 2008 deckte die GPK des Grossen Rats auf, dass der Basler Staatsschutz von fünf kurdisch- und türkischstämmigen Politikern Fichen verfasst hatte, nachdem diese 2004 in das kantonale Parlament gewählt worden waren. Als 2007 ein weiterer türkischstämmiger Schweizer in den Grossen Rat nachrückte, wurde auch über diesen eine Fiche angelegt.
Die Überwachung der gewählten Volksvertreter löste in Basel eine engagierte Debatte in Medien und Politik aus und führte zum heute bekannten Aufsichtsgremium mit Markus Schefer, Anita Fetz (SP) und Heinrich Koller, dem Professor für öffentliches Recht und früheren Direktor des Bundesamtes für Justiz in Bern.
Basel ist nicht mehr alleine
In der restlichen Schweiz interessierte sich allerdings niemand für die Thematik. Der damalige Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass durfte an der Konferenz der Justizdirektoren über die neue Regelung kurz konferieren und erhielt mit seiner Aufsichtskommission immerhin einen Termin bei Verteidigungsminister Ueli Maurer. Das Ergebnis war ernüchternd: Die Kantone machten gar nichts und das VBS baute die Kompetenzen seines Nachrichtendienstes weiter aus. «In den anderen Kantonen fehlt der Leidensdruck», sagte die Basler Ständerätin Anita Fetz damals. Und konnte es nicht nachvollziehen: «Jeder liberale Mensch muss es unverständlich finden, dass es in unserem Rechtsstaat eine derartige Blackbox gibt.»
Fünf Jahre nach dem Skandal um die türkischstämmigen Grossräte steht Basel-Stadt nicht mehr ganz so alleine. Zwölf Kantonsparlamente haben sich via die interkantonale Legislativkonferenz, die sich für einen grösseren Einfluss der kantonalen Parlamente einsetzt, zum Nachrichtendienst-Gesetz vernehmen lassen – und sie teilen die Basler Kritik. «Wir wollen keine blinden Flecken in der Oberaufsicht», sagt Andreas Blaser, Berner SP-Grossrat und Präsident der interkantonalen Konferenz.
Unterstützt wird diese Haltung von grossen Kantonen wie Zürich, Luzern, St. Gallen, Waadt, Bern oder dem Baselbiet. «Basel ging lange voraus», sagt Blaser, «heute ist die Sensibilisierung auch bei anderen Kantonen grösser.»
Ein Thema für Randgruppen
Auf nationaler Ebene wird diese kritische Haltung neben den Grünen nur von Randgruppen geteilt. Die Piratenpartei twittert seit Wochen wie besessen gegen das neue Gesetz, die Organisation «grundrechte.ch» veröffentlichte eine scharfe Stellungnahme und verlangte ultimativ, die «Sammelwut» des Nachrichtendienstes einzudämmen. Und schliesslich gibt es noch die Gruppe Netzpolitik der Grünen um Nationalrat Balthasar Glättli, die sich hartnäckig gegen das NDG und auch gegen das Büpf wehrt, das neue Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs.
Mehrheitsfähig ist diese Kritik nicht. «Die Bürgerlichen wollen dieses Gesetz, und sie werden es wohl auch erhalten», sagt Ständerätin Fetz. Und auch Grossrat Blaser ist einigermassen pessimistisch – es sei nicht sehr realistisch, dass die Kritik der Kantone auch tatsächlich ins Gesetz einfliessen werde.
Davon zeugt auch die selbstbewusste Haltung des Nachrichtendienstes selber. Auf eine Nachfrage zu den umstrittenen Punkten im neuen Gesetz verwies ein Sprecher lediglich auf die Erläuterungen im Gesetzesentwurf und unterliess jede inhaltliche Anmerkung.
Die Wünsche der Schweizer Spione passen zum Zeitgeist. Und werden von der bürgerlichen Politik unterstützt: Wie die «Sonntagszeitung» kürzlich berichtete, fordert die CVP, die Kompetenzen des Nachrichtendienstes noch stärker auszuweiten und den Lauschangriff auch für Formen des Gewaltextremismus zu erlauben – ein Bereich, der in der heutigen Form des Entwurfs bis jetzt explizit ausgenommen ist.
Es wird noch ein Thema
Die Mehrheit der Bevölkerung, die Mehrheit der Politik und die Mehrheit der Medien hat einen speziellen Blick auf den Überwachungsskandal und ihren Überbringer Edward Snowden: Es geht nicht um «Prism» oder das noch viel ungeheuerlichere «Tempora» (bei dem der amerikanische und der britische Geheimdienst sämtlichen Internetverkehr, der durch die Hochseekabel fliesst absaugen und analysieren, auch den Schweizer Internetverkehr notabene); es geht um die Figur des «Spion Snowden» und seine abenteuerliche Flucht vor dem Zugriff der Heimat. Fragen nach Grundrechten, nach dem Verhältnis zwischen Staat und Bürger – sie werden bisher nicht gestellt. Aber bald, so hofft Ständerätin Fetz. Sie ist trotz allem überzeugt: Das wird noch ein echtes Thema.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.06.13