Die Grenzen des Systems

In Syrien werden Familien getötet. In europäischen Parlamenten Grundsatzreden gehalten – auch in der Schweiz.

Der Bürgerkrieg in Syrien ist auch Thema in Bundesbern. (Bild: sda)

In Syrien werden Familien getötet. In europäischen Parlamenten Grundsatzreden gehalten – auch in der Schweiz.

Es waren viele Fragen und sie deckten jeden erdenklichen Blickwinkel ab, den man von der Schweiz aus auf die Katastrophe in Syrien einnehmen kann. «Wie kann die syrische ­Diaspora in der Schweiz geschützt werden?» «Wie ist die Eskalation der Gewalt zu stoppen?» «Ist die Schweiz bereit, Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen?» «Sperrt sie die Gelder der ­Potentaten?» «Welche weiteren Sanktionen sind geplant?»

Hauptsache, man spricht darüber

Auf der Traktandenliste der nationalrätlichen Fragestunde vom vergangenen Montag nahmen sich diese Fragen – ausschliesslich von Mitgliedern der SP-Fraktion gestellt – allesamt sehr ernst und sehr dringlich aus. Die Beantwortung durch die Bundesräte Johann Schneider-Ammann und Didier Burkhalter war dann, wie oft in einer Fragestunde, von eher beiläufiger und technischer Natur.
Die Fragestunde des Nationalrats ist nicht der Ort für grosse Debatten oder gar für Lösungen. Sie hat rituellen ­Charakter und dient den Parlamenta­rierinnen und Parlamentariern häufig nur dazu, ein Thema während der Session überhaupt anzusprechen.
«Genau darum ging es uns am Montag», sagt Hans-Jürg Fehr, ehemaliger Parteipräsident der SP, Mitglied der Aussen­politischen Kommission des Nationalrats und Urheber von mehreren Fragen zum Syrienkonflikt. «Hätten wir das nicht getan, wäre die Ses­sion vorübergegangen und das Parlament hätte sich nicht einmal zu Syrien geäussert.»
Fehr war denn auch – was für eine Fragestunde einigermassen untypisch ist – zufrieden mit den Antworten von Aussenminister Burkhalter. Klar seien sie gewesen und hätten die «notwen­dige Deutlichkeit» gehabt. Burkhalter nannte die Vorgänge in Syrien «schrecklich» und «dramatisch»: «Die Verletzungen der Menschenrechte müssen von der Internationalen Gemeinschaft so deutlich und geschlossen wie möglich verdammt werden.»
Burkhalter konnte am Montag auch konkrete Taten in Aussicht stellen. Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge hat die Schweiz angefragt, ob sie eine Gruppe syrischer Flüchtlinge aufnehmen könne. Die Aufnahme wird zurzeit noch von den «zuständigen Stellen» bearbeitet und geprüft.
«Die Grundrichtung ist nicht schlecht, aber das Tempo könnte besser sein», sagt dazu Fehr im Einklang mit seinem Fraktionskollegen Eric Nussbaumer, der am Montag ebenfalls eine Frage stellte. «Während in Deutschland bereits Flüchtlinge aufgenommen werden, prüfen wir immer noch.»
Gleiches gelte für die von der EU ­ergriffenen Wirtschaftssanktionen ­gegen das Regime in Syrien. Statt «proaktiv» die Sanktionen zu verschärfen oder noch mehr humanitäre Hilfe anzubieten, hinke die Schweiz der EU hintennach, sagen Fehr und Nuss­baumer.
Eine Kritik, die Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, der für den Nachvollzug der Sanktionen mitverantwortlich ist, so nicht gelten lassen will. Es gebe «Eskalationsstufen», sagte er am Montag. Zuerst handle die UNO, dann die EU und erst dann die Schweiz. «So ist die Politik seit Jahrzehnten, und es ist eine gute Politik. Wichtig ist, dass wir nicht zur Umgehungsplattform werden können.»
Damit war die Syrien-Debatte, die keine war, im Nationalrat wieder be­endet. Aussenpolitik ist Sache des Bundesrats und nicht des Parlaments – mehr als Symbolik können sich die Nationalräte nicht leisten. Gefordert ist also die Exekutive. Und der Bundesrat macht seine Sache, bedenkt man die natürlichen Grenzen seiner Möglichkeiten und das Tempo der Prozesse, gar nicht mal so schlecht.
Didier Burkhalter kündigte in der «Zentralschweiz am Sonntag» einen humanitären Einsatz in Jordanien und in Libanon an, um das Potenzial für Flüchtlinge abzuklären; das Budget für humanitäre Hilfe wurde von 4 auf 5,1 Millionen Franken erhöht, und die Schweiz berät den Sondergesandten der UNO, Kofi Annan, in juristischen Fragen. Gleichzeitig sagt Burkhalter auch, dass man sich nicht von der ­humanitären Krise ablenken lasse dürfe: «Es braucht eine politische Lösung ­dieses Konflikts.»

Militärischer Eingriff denkbar

Für Adrian Aebi, SVP-Nationalrat und Präsident der Aussenpolitischen Kommission, stehen ebenfalls die «Guten Dienste» der Schweiz in Syrien im Vordergrund. Aber: «Geht die Eskalation in diesem Ausmass weiter, muss man eingreifen.» In diesem Punkt trifft er sich für einmal mit Hans-Jürg Fehr. Auch für den SP-Nationalrat wäre eine militärische Intervention zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht nur denkbar. Sondern dringend nötig.

 

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.03.12

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