Die Grenzwacht spielt Polizei und der Grosse Rat hat nichts dazu zu sagen

Die Grenzwacht hat im Kanton Basel-Stadt wie auch in anderen Kantonen weit reichende polizeiliche Befugnisse. Rechtsprofessor Rainer Schweizer kritisiert das – es sei unzulässig, dass die Regierung eigenmächtig solche Befugnisse erteile.

Grenzwächter durchsuchen eine verdächtige Person. (Symbolbild) (Bild: Keystone/Gaetan Bally; Montage: Hans-Jörg Walter)

Vier Grenzwächter kontrollieren drei Obdachlose vor dem Basler Bahnhof SBB – öffentlich und lautstark. Ein Betroffener spricht von «Demütigung». Der Vorfall, den die TagesWoche kürzlich publik machte, hat grosse Entrüstung ausgelöst. Otto Schmid, SP-Mitglied im Grossen Rat Basel-Stadt teilt mit, er wolle in dieser Angelegenheit eine Interpellation einreichen. Michel Steiner, Gassenarbeiter des Verein Schwarzer Peter, ist «stinksauer»: «Wir reden hier von Menschen, die sich ganz legal im öffentlichen Raum aufhalten.» Er fragt sich, warum die Grenzwacht das überhaupt dürfe.

Eine gute Frage und eine, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Denn der Auftrag und die Kompetenzen der Grenzwächter auf öffentlichem Grund und gegenüber Menschen, die keine Grenze überschritten haben, bleiben für Aussenstehende undurchsichtig.

Die Grenzwacht nimmt Polizeiaufgaben wahr, ohne dass der Kanton die Kontrolle hätte.

Die Zollverwaltung habe immer mehr Polizeibefugnisse erhalten, kritisiert Rainer Schweizer, emeritierter Rechtsprofessor und Staatsrechtler an der Universität St. Gallen. Er stellt diesbezüglich eine grosse Rechtsunsicherheit fest und ortet auch ein politisches Problem.

Laut der Basler Kantonsverfassung darf der Regierungsrat solche Verträge zwar unterschreiben, ohne sie dem Grossen Rat vorzulegen. Rainer Schweizer kritisiert jedoch, dass mit der Verwaltungsvereinbarung das Polizeigesetz von Basel-Stadt teilweise ausgehebelt werde. Auch die Grenzwacht nimmt Polizeiaufgaben wahr  – mit weit reichenden Kompetenzen und ohne, dass der Kanton die Kontrolle hätte.

«Unzulässig» für einen Rechtsstaat

Eigentlich wäre diese Situation vermeidbar: Es bräuchte dafür aber einen referendumspflichtigen Parlamentsbeschluss. Laut Schweizer reicht eine Verordnung respektive eine Verwaltungsvereinbarung als gesetzliche Grundlage nicht aus – schon Art. 48 Abs. 4 der Bundesverfassung verlange eigentlich nach mehr. Und was die Sachlage auf Kantonsebene angeht, sagt Schweizer: «Diese Verwaltungsvereinbarung ist eigentlich eine Vereinbarung auf Gesetzesstufe und müsste durch den Grossen Rat und dem fakultativen Referendum unterstellt werden.»

Die Kantonspolizei sei besser kontrolliert als das Grenzwachtkorps, welches vom Bund beaufsichtigt wird. Der Anhang, der die Details der Zusammenarbeit zwischen Grenzwächtern und der Kantonspolizei regelt, ist nicht einmal für den Grossen Rat einsehbar. Das sei «unzulässig» für einen demokratischen Rechtsstaat, sagt Schweizer.

Mit dem Beitritt der Schweiz zum Schengenraum hat sich die Arbeit des Grenzwachtkorps (GWK) von der Grenze ins Landesinnere verlagert. Sein Einsatzgebiet umfasst heute den ganzen Kanton Basel-Stadt – der besonderen Grenzlage wegen. Seine Aufgaben beschränken sich aber längst nicht mehr nur auf den Zoll, das Korps hat auch polizeiliche Aufgaben übernommen. «Unser Hauptauftrag ist die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität», sagt David Marquis von der Eidgenössischen Zollverwaltung. Die Massnahmen des Grenzwachtkorps hätten einen präventiven Charakter.

St. Gallen macht es anders

Der Regierungsrat des Kanton St. Gallen hat als einer von 21 Kantonen ebenfalls eine Verwaltungsvereinbarung abgeschlossen und diesen dem Kantonsparlament nicht vorgelegt. Doch im Gegensatz zum Kanton Basel-Stadt hat St. Gallen die Aufgaben und Befugnisse der Grenzwacht transparent gemacht.

So hielt der Regierungsrat in einer Medienmitteilung vor vier Jahren fest, welche Aufgaben die Grenzwächter wahrnehmen. Zum Beispiel dürfen sie falsches Verhalten im Strassenverkehr verzeigen, Drogenkonsumenten büssen, nach Autos und Menschen fahnden, auf Bahnhöfen und in Zügen Personenkontrollen durchführen.

«Es ging uns darum, die Abläufe zwischen den Polizisten und dem Grenzwächtern zu vereinfachen und eine für den Kanton gute Lösung zu finden», sagt Hans-Rudolf Arta, Generalsekretär des Sicherheits- und Justizdepartements des Kantons St. Gallen. Dem ging aber ein differenzierter Prozess voraus.

Die ehemalige St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter störte sich vor sieben Jahren daran, dass die Grenzwache sich als Bundespolizei positionierte und ihr Tätigkeitsfeld erweitern wollte. Sie kritisierte, dass es mit der Bahnpolizei, der Kantonspolizei und dem Grenzwachtkorps zu viele Einheiten gab, die sich im Kanton auf engem Raum bewegten. Diese Bedenken seien heute mit der öffentlich bekannten Verwaltungsvereinbarung ausgeräumt, sagt Arta.

Kantone zeigen wenig Interesse

Eine solche politische Auseinandersetzung wie in St. Gallen würde sich Rainer Schweizer auch für die anderen Kantone wünschen. «Es geht auch darum, dass sich kantonale Gesetze nicht den Bundesgesetzen unterstellen müssen», sagt der Staatsrechtler. Jedenfalls in den Bereichen, für die nicht der Bund zuständig ist. Schliesslich müsse sich auch das Militär der Kantonspolizei unterstellen.

Nicht nur der Kanton Basel-Stadt scheint aber wenig Interesse daran zu haben, das zu ändern. Das Thema ist auch in anderen Kantonen eingeschlafen. «Die Zusammenarbeit zwischen Grenzwachtkorps und Kantonspolizei war vor einigen Jahren stärker im Fokus der politischen Diskussionen in den Kantonen. Inzwischen ist die Frage der Kompetenzverteilung in den Hintergrund gerückt», sagt Florian Düblin, stellvertretender Generalsekretär der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren.

Nächster Artikel