Die Zeiger der grossen Uhren am Bahnhof Basel SBB stehen auf 11.45 Uhr. Unweit vom Westturm des Bahnhofs, auf der Höhe des Flughafenbusses, zeigt ein Grenzwächter, gross und grauhaarig, mit ausgestrecktem Arm auf drei Männer, die auf einem Bänkchen neben dem Eingang sitzen. Der uniformierte Vierertrupp der Grenzwachtregion I setzt sich in Bewegung, bahnt sich seinen Weg durch die Passanten.
Es ist Donnerstag, 13. Juli.
Jetzt sehen die drei Männer auf dem Bänkchen die Uniformierten kommen. Sie bleiben sitzen. Einer von ihnen schaut auf seine Hände, dreht seine Zigarette weiter. Der zweite Mann, er trinkt Coca-Cola aus der Dose, schaut auf seine Füsse, seine Mundwinkel zeigen nach unten. Der dritte Mann, in der Hand eine Büchse Bier, kramt schon in seiner Hosentasche nach seinem Portemonnaie.
«Jetzt wollen wir schauen, dass ihr mir keinen Seich erzählt habt!»
Die vier Beamten bauen sich vor den drei Sitzenden auf. «Grenzwacht, Personenkontrolle, sooo ihr, alle die Ausweise vorweisen bitte», sagt der Einsatzleiter.
Er sagt es laut. So laut, dass man jedes Wort versteht, auch aus 20 Metern Entfernung.
Der erste Mann auf der Bank händigt den Ausweis aus, sagt seinen Namen, gibt bereitwillig Auskunft über seine Herkunft, was er heute gemacht hat, warum er hier sitzt. «Und jetzt Ihren Ausweis!», sagt der Einsatzleiter laut zum zweiten Mann, der, in der einen Hand sein Coca-Cola, in der anderen Hand seine ID, weiter zu Boden schaut. Die Mundwinkel zittern, er stammelt seinen Namen und alles andere, was der Einsatzleiter wissen will.
Der Uniformierte wiederholt alles Gesagte laut, als sei sein Publikum vor ihm taub. Er greift zum Handy, dramatische Geste, wählt eine Nummer und sagt, bevor er das Gerät ans Ohr hält: «So, jetzt wollen wir schauen, dass ihr mir keinen Seich erzählt habt!»
Damit es sicher alle hören
Die Männer haben die Wahrheit gesagt. Das erfahren alle im Umkreis von 25 Metern. Und zwar, ob sie wollen – mittlerweile sind einige Schaulustige stehen geblieben – oder nicht. Der Anführer, verbunden mit der Zentrale, bellt die Namen* und die Geburtsdaten und weitere Angaben über die drei Männer in sein Telefon.
«Ja, auch ein Schweizer» … «Ausgeschrieben ist er nicht, gäll?» … «Ja, auch ein Schweizer, der auch, ja» … «Nein, 68! Jahrgang 68, ja!»
Die Vorstellung dauert rund fünf Minuten. Dann haben die drei Männer ihre Identitätspapiere zurück, die Grenzwächter haben sich verabschiedet und sind weitergezogen. Die Schaulustigen sind ebenfalls weg. Die Männer schauen alle zu Boden. Der Mann mit der Cola-Dose zittert.
«Es ist demütigend»
«Die kommen jede Woche», sagt einer der Männer* zur TagesWoche. Einerseits könne er das verstehen: «Die machen auch nur ihren Job.» Andererseits nerve es ihn: «Ich sitze doch nur hier. Ja, manchmal trinke ich ein Bier.» Aber er tue niemandem etwas, sagt er, und «mit Drogen oder irgend etwas Verbotenem habe ich nichts zu tun».
Er schüttelt den Kopf. Der Verdacht liege nahe, dass es nur um Schikane gehe. Darum, dass man sich das nicht mehr antun will. Hier zu sitzen mit seinem Bier. «Vor ein paar Tagen haben sie mein Gepäck durchsucht. Vor allen Leuten. Alles, jeden einzelnen persönlichen Gegenstand», sagt der Mann. «Es ist demütigend.»
Hat er oder einer der anderen Kontrollierten heute die Schweizer Grenze überquert? «Ich nicht», sagt er. Die anderen wohl auch nicht. «Warum auch?», meint der Mann.
Stichproben und Erfahrungswerte
Das Grenzwachtkorps (GWK) führe «grundsätzlich keine systematischen Personenkontrollen» durch, sagt Patrick Ph. Gantenbein, Sprecher der Grenzwachtregion I/Basel. Die «Stichproben» stützten sich auf «Erfahrungswerte».
Er fügt an, dass «solche Abfragen grundsätzlich mit der nötigen Diskretion» durchgeführt würden. Es sei im öffentlichen Raum jedoch «nicht immer vermeidbar, dass Dritte zuhören können». Man sei darauf bedacht, «dass der Umgang mit Personen in einer Kontrolle entsprechend korrekt verläuft». Und falls das «aus Sicht der Betroffenen nicht der Fall sein» sollte, so Gantenbein, dann stehe «jederzeit der Weg einer Beschwerde offen».
Gab es denn Hinweise darauf, dass die drei Männer die Grenze überquert hatten? Oder andere konkrete Hinweise, die dazu geführt hatten, diese Personen zu kontrollieren? «Es gab keine speziellen Hinweise. Es handelte sich um eine normale Zoll- und Personenkontrolle durch das Grenzwachtkorps», sagt Patrick Ph. Gantenbein.
Braucht es Personenkontrollen durch die Grenzwacht, eine Art zweite Kantonspolizei?
Warum führt das GWK auf Basler Boden «normale Personenkontrollen» aus? Gantenbein: «Im Rahmen der Schengen-Ersatzmassnahmen und im Einklang mit der Kantonsvereinbarung Basel-Stadt werden auch Zoll- und Personenkontrollen ohne Bezug zu einem Grenzübertritt durchgeführt.»
Tatsächlich können die Schweizer Grenzwächter seit rund einer Dekade die Kantone zusätzlich mit Personenkontrollen unterstützen nach den Schengener Ersatzmassnahmen. Aber sind damit nicht abgesprochene Einsätze gemeint, wie etwa die Kontrolle des G20-Zugs am Badischen Bahnhof? Die Basler Kantonspolizei patrouilliert ebenfalls auf dem Bahnhofplatz – braucht es zusätzliche Personenkontrollen durch die Grenzwacht, eine Art zweite Kantonspolizei?
Unbescholtene Biertrinker
Die TagesWoche wird hin und her verwiesen: Die Kantonspolizei sagt, Fragen zum konkreten Einsatz müsse das GWK beantworten. Sprecher Toprak Yerguz vom Justiz- und Sicherheitsdepartement bestätigt aber: «Ganz grundsätzlich lässt sich festhalten, dass nicht jeder einzelne Einsatz des GWK mit der Kantonspolizei Basel-Stadt abgesprochen wird.»
Ob diese Einsätze so wirklich im Sinn der Schengener Ersatzmassnahmen sind, wird sich zeigen. Allerdings ist es kaum im Sinn der unbescholtenen biertrinkenden Bürger, die nach eigenen Angaben regelmässig von Grenzwächtern kontrolliert werden – in aller Öffentlichkeit.
Auf die Frage, ob jeder damit zu rechnen habe, dass sein Koffer vor Publikum durchsucht wird, wenn er in Bahnhofsnähe ein Bierchen trinkt, antwortete Patrick Ph. Gantenbein vom GWK, es würden «grundsätzlich keine Totalrevisionen von Gepäck auf dem Bahnhofplatz vorgenommen». Das GWK verstehe, «dass das einen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre eines Menschen bedeutet und kurzfristig störend sein kann».
Entwarnung für Basler Biertrinker? Klingt anders. Denn Gantenbein legt nach: «Es kann jedoch durchaus sein, dass kleine Gepäckstücke vor Ort angeschaut werden, dies auch im zeitlichen Interesse der kontrollierten Person.»
* Die Namen sind der Redaktion bekannt. Alle drei Namen. Und dies, obwohl die TagesWoche nach dem Vorfall nur mit einem der drei Männer sprechen konnte. Aber sämtliche persönlichen Informationen waren nicht zu überhören.