Die Griechen schwanken vor der Wahl zwischen Wut und Skepsis

Nach 40 Jahren Wechselregierung von Sozialisten und Konservativen könnte Griechenland nun eine linke Regierung bekommen. Wut, Verzweiflung, aber auch die Hoffnung auf Gerechtigkeit nach bald fünf Jahren Sparkurs treiben viele Griechen in die Arme der Linken, schreibt unsere Korrespondentin.

Workers talk after setting a banner for a pre-election campaign rally of opposition radical leftist Syriza party in Athens January 22, 2015. The parliamentary elections will take place on Sunday. REUTERS/Marko Djurica (GREECE - Tags: POLITICS ELECTIONS) (Bild: MARKO DJURICA)

Nach 40 Jahren Wechselregierung von Sozialisten und Konservativen könnte Griechenland nun eine linke Regierung bekommen. Bei den vorgezogenen Wahlen am 25. Januar liegt das Oppositionsbündnis Syriza vorn. Wut, Verzweiflung, aber auch die Hoffnung auf Gerechtigkeit nach bald fünf Jahren Sparkurs treiben viele Griechen in die Arme der Linken. Doch trotz der prekären Umstände gibt es auch Skepsis, schreibt unsere Korrespondentin.

Ioanna hat seit Jahren keine Wahlkampfveranstaltung mehr besucht. Erst seit der Krise interessiert sich die 52-Jährige wieder für Politik. Schüchtern betritt sie den kleinen Raum in einem neoklassischen Haus im Zentrum Athens, in dem Kandidaten des oppositionellen Bündnisses Syriza heute ihr Programm vorstellen.

Ioanna ist seit mehr als einem Jahr arbeitslos. Sie lebt von ihren kleinen Ersparnissen. Ioanna hofft auf ein Ende des harten Sparkurses, um wieder menschenwürdig leben zu können. «Ich kaufe nur das Notwendigste. Mein Kühlschrank ist leer, und ich kann es mir nicht leisten, meine Wohnung zu heizen», sagt sie.

Die Griechin ist zwar nicht überzeugt von allem, was die Linken unter ihrem Oppositionsführer Alexis Tsipras versprechen. Doch wie viele ihrer Landsleute wird sie die Partei wählen, die bei einem Wahlsieg die bisherige Sparpolitik in Europa auf die Probe stellen will.

«Mein Kühlschrank ist leer, und ich kann es mir nicht leisten, meine Wohnung zu heizen.»

Wenig später begrüsst Syriza-Kandidat Michalis Ydraios Ioanna und die anderen Anwesenden. «Das Problem der Sparpolitik und der Schulden ist etwas, das alle europäischen Länder berührt», sagt der kräftige Mann selbstbewusst. Seine Partei will sich vom bisherigen Sparkurs der Athener Regierung verabschieden, ein umfassendes Sozialprogramm umsetzen und einen Schuldenerlass. Die Verhandlungen sollen nach dem Willen von Syriza auf der Basis internationalen Rechts stattfinden, als Vorbild dient die Londoner Konferenz, auf der 1953 die Schulden Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg geregelt wurden.

Schulden betragen 170 Prozent des BIP

Der Schuldenberg Griechenlands ist inzwischen auf einen höheren Stand als zu Beginn der Krise vor fünf Jahren angestiegen – auf über 170 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei fast 26 Prozent. Arbeitslosigkeit, Steuererhöhungen und der Ansehensverlust des politischen Systems sind die drei wichtigsten Themen, die die griechischen Wähler momentan beschäftigen, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts MRB.

Die Partner in der Europäischen Union, allen voran Deutschland, drohen Griechenland mit einem Ausschluss aus der Eurozone, falls die Griechen ernst machen und aus dem Sparkurs aussteigen. Doch diese Drohung kümmert die wenigsten: 75 Prozent der Befragten glauben, dass dies nicht der Fall sein wird und 67 Prozent meinen sogar, dass das Ausland blufft.

75 Prozent der Befragten glauben, dass das Ausland blufft mit dem Rausschmiss aus der Eurozone.

Das Linksbündnis Syriza profitiert vom Frust der Bevölkerung. Die Partei von Alexis Tsipras liegt in aktuellen Umfragen mit mehr als 30 Prozent auf Platz eins, sie hat einen Vorsprung von drei bis sieben Prozentpunkten vor der konservativen Regierungspartei Nea Demokratia.

Doch auch andere Neulinge haben die Nase vorn: Eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung, falls die Linken keine Mehrheit bekommen, könnte die neu gegründete linksliberale Partei To Potami spielen, die sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den dritten Platz mit der kommunistischen KKE und der neofaschistischen Partei «Goldene Morgenröte» liefert. Die sozialistische PASOK dagegen, die zusammen mit Nea Demokratia die jetzige Regierung stellt, schafft bei den Umfragen weniger als fünf Prozent.

Die Angst vor abgestellten Bankautomaten

Die Tatsache, dass die konservative Nea Demokratia es noch auf die zweite Stelle bei den Umfragen schafft, hat mit der Angst vor den Folgen einer möglichen Linksregierung zu tun, nämlich geschlossenen Bankautomaten und dem Ausschluss aus der Eurozone oder gar der Europäischen Union. «Solch ein Szenario fürchten vor allem diejenigen, die sich noch weit genug vom Abgrund befinden, aber viel zu verlieren haben», sagt der bekannte Publizist Stavros Lygeros.

Der 70-jährige Rentner Giorgos gehört zu dieser Gruppe. Vor vier Jahren, als mit Beginn der Krise seine Rente von 1300 auf 800 Euro gekürzt wurde, zog er bei seiner 40-jährigen Tochter Eleni ein. Die Wohnung liegt im wohlhabenden Athener Bezirk Kifisia. Die wertvollen Möbel und Bilder an den Wänden zeigen, dass es der Familie einst gut ging. Nun hat sich ihr Einkommen halbiert.

«Alles, was die Linken versprechen, wirkt unrealistisch», sagt der 80-jährige Giorgos, der nun bei seiner Tochter wohnt.

Trotz seiner schwierigen Situation wird Giorgos die Konservativen wählen, auch aus Angst vor einen Austritt aus der Eurozone. «Alles, was die Linken versprechen, wirkt unrealistisch», sagt er mit besorgtem Blick. Manchmal denkt er daran, dass er eines Tages seine Rente nicht mehr abheben kann, und sein Herz schlägt dann schneller. Medienberichten zufolge haben bereits zwei grosse griechische Banken bei der Zentralbank Griechenlands Antrag auf Nothilfe in Höhe von fünf Milliarden Euro gestellt, was in Athen Alarm auslöste.

Seine Tochter Eleni hat in der Vergangenheit ebenfalls die Konservativen gewählt, ist aber enttäuscht. «Als Antonis Samaras 2012 Premierminister wurde, sagte er, er würde mit den Gläubigern hart verhandeln – was er aber nicht tat. Hingegen hat er alle Bedingungen, die sie ihm gestellt haben, akzeptiert.»

Den Konflikt mit der EU wünscht sich kaum einer

Obwohl die Regierung immer wieder sage, dass es Griechenland besser gehe, spüre Eleni nichts davon in ihrem Alltag. Samaras‘ Versprechungen, dass Renten und Gehälter nicht weiter gekürzt werden und sogar Steuersenkungen kommen, falls er wiedergewählt wird, lassen sie kalt. Die Beamtin glaubt nicht, dass Syriza es schaffen wird. «Richtig wäre es, wenn alle Parteien zusammenarbeiten würden, um Wege aus der Krise zu finden.»

Die Rede auf der Syriza-Wahlkampfveranstaltung geht zu Ende. Auch Ioanna hat keine grossen Erwartungen. Es würde ihr schon reichen, wenn eine Syriza-Regierung den Bürgern das Überleben gewährleisten und Arbeitsplätze schaffen würde. Einen Konflikt Griechenlands mit den EU-Partnern wünscht sie sich nicht. «Ich kenne kein überschuldetes und völlig abhängiges Land, das sich mit den Mächtigen angelegt hat und dabei gewonnen hat.»

Quellen

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