Mit ihrem Widerstand gegen das Basel Tattoo zieht Anita Lachenmeier den Zorn der halben Stadt auf sich. Das tut weh, doch ihre Prinzipien sind ihr heilig.
Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, damals vor rund 28 Jahren, als Anita Lachenmeier mit ihrem ersten Kind die Kasernenmatte betrat. Seither treibt sie eine Leidenschaft, die sie an ihre Grenzen bringt. Unermüdlich kämpft die 53-Jährige für ihr Idealbild dieses Orts. Die Bedingungen seien härter geworden, sagt sie. Trotzdem besucht sie mit ihrem Grosskind auch heute noch gerne und regelmässig das Kasernenareal. Traditionen müssen gepflegt werden.
Lachenmeier fühlt sich als Anwohnerin und Mitglied des Vereins «Heb Sorg zum Glaibasel» von den vielen Veranstaltungen auf dem Kasernenareal verdrängt, allen voran vom Basel Tattoo. Seit rund zwei Jahren liefert sich der kleine Quartierverein mit dem Leiter des Militärmusikfestivals, Erik Julliard, ein Gefecht. Die von Lachenmeier im Herbst 2011 eingereichte Einsprache gegen das Tattoo gefährdete sogar dessen Durchführung. Zwischen Julliard und Lachenmeier herrscht Funkstille, der Tattoo-Chef kommuniziert nur noch via Anwalt mit ihr.
Es ist ein Streit, bei dem es für die meisten Menschen in dieser Stadt nur eine böse Person gibt: Anita Lachenmeier. Die Grünen-Grossrätin gilt bei den Tattoo-Anhängern als Schreckgespenst, als Verhinderin, als Spielverderberin, als Kleinkarierte. Eine Facebook-Gruppe rief letztes Jahr gar zum Wahl-Boykott gegen Anita Lachenmeier auf. Auch an der diesjährigen Fasnacht war sie ein beliebtes Thema. Sie bekommt bitterböse E-Mails, empörte Briefe aus der ganzen Schweiz – beim Einkaufen wird über sie getuschelt.
WC-Anlage war der Auslöser
Dabei möchte Lachenmeier nur geliebt werden. Sie meint es nicht böse, das Böse ist ihr fremd. Die ehemalige Nationalrätin fühlt sich missverstanden, der Kampf gegen Goliath hat an ihren Kräften gezehrt. Sie wirkt zerbrechlich. «Nie im Traum habe ich damit gerechnet, dass diese Einsprache derart Wirbel auslöst», sagt sie. «Momentan kann ich mit der Kritik umgehen, aber es gab eine Zeit, da hat mich das Ganze sehr getroffen. Je nach Tagesverfassung nerve ich mich immer noch darüber.»
Es sei ihr und dem Verein nie darum gegangen, das Basel Tattoo zu verhindern, sagt sie. «Wir sind nicht gegen diese Veranstaltung. Uns stört einzig, dass das Kasernenareal mit dem ganzen Auf- und Abbau rund sechs Wochen belegt ist und die Matte benutzt wird, vor allem der wertvolle Schattenteil unter den Bäumen.»
Auf die Barrikaden ging der Verein, weil Julliard 2012 ein Teil des Rasens mit mobilen Toiletten besetzte. Für Lachenmeier ein inakzeptables Vorgehen, ein Tabubruch.
Jugendkultur komme zu kurz
Als das Basel Tattoo 2006 erstmals auf dem Kasernenareal stattfand, war es noch ein fünftägiger Anlass mit 35 000 Besuchern. Heute lockt das Festival während neun Tagen 120 000 Personen an. Eine Vergrösserung, die die sonstigen Nutzungsmöglichkeiten des Areals markant einengt.
Das Problem sei, sagt Lachenmeier, dass während dieser Zeit praktisch das ganze Areal abgeriegelt sei. Kinder, Jugendliche und ältere Menschen würden vertrieben. «Das Tattoo lässt fast keine anderen Nutzungen zu, auch die Gebäude ringsherum werden beansprucht. Veranstaltungen wie die Herbstmesse, Wildwuchs oder das Festival Viva con Agua dagegen sind öffentlicher und deshalb nicht so ein grosses Problem.»
Vor allem das Umweltschutzfestival Viva con Agua, das sich für «Wasser für alle» einsetzt, begeistert die VCS-Präsidentin. Solche Veranstaltungen kämen auf der Wiese zu kurz, sagt sie: «Wenn die einen zu viel vom Kontingent an Veranstaltungen auf dem Areal beanspruchen, bleibt für die anderen nicht mehr viel übrig. Es ist momentan vor allem die Jugendkultur, die darunter leidet.» Zudem wolle auch die Quartierbevölkerung im Sommer das Areal benutzen oder die eigene Terrasse geniessen, ohne vom Lärm belästigt zu werden. Lachenmeier selber stört der Lärm nicht, «solange die Zahl Veranstaltungen im Rahmen bleibt». Sie habe auch noch nie über die Lautstärke von Veranstaltungen reklamiert. «Man muss damit leben, wenn man man an einem solchen Ort wohnt.»
Eine kleine Öffnung reicht
Einen Teilerfolg konnte der Verein «Heb Sorg zum Glaibasel» kürzlich verbuchen. Die jahrelange Bewilligungspraxis durch die Allmendverwaltung sei nicht zulässig gewesen, klagte der Anwohnerverein, vielmehr sei das Bau- und Gastgewerbeinspektorat zuständig: Das Basel Tattoo 2012 hätte in dieser Art nicht durchgeführt werden dürfen. Die Basler Baurekurskommission hiess die Beschwerde der Anwohner Ende Januar gut. Inzwischen ist das Bau- und Verkehrsdepartement (BVD) über die Bücher gegangen: Künftig soll die Allmendverwaltung für das Bewilligungsverfahren auf dem Kasernenareal zuständig sein. Dies ist ein zentraler Punkt der Änderung des Bebauungsplans Kasernenareal. Damit hat das BVD die Konsequenzen aus dem Entscheid der Baurekurskommission in Bezug auf das Tattoo 2012 gezogen.
Über die Zukunft des Kasernenareals macht sich Anita Lachenmeier nicht sehr viele Gedanken. Sie kümmert sich lieber um die «kulturelle Vielfalt» auf dem Areal, denkt in kleineren Dimensionen. Doch gegen eine Sprengung des Hauptbaus hätte auch sie sich gewehrt. «Mir persönlich reicht eine kleine Öffnung», sagt die Lehrerin. «Ich fände es schön, wenn es durch den Hauptbau eine Verbindung zum Rhein hin geben würde und wenn man im Keller eine Infrastruktur einbauen würde mit WC-Anlagen und Beizen.»
Auf Land ziehen oder kämpfen
Dass Erik Julliard am liebsten keine Veränderung auf dem Kasernenareal will, kann sie nicht nachvollziehen, obwohl auch sie nicht für eine grosse Öffnung des Kopfbaus ist. Lachenmeier geht es ums Prinzip: «Da kämpfen Menschen seit Jahrzehnten für eine Öffnung und dann kommt jemand, der das Areal erst seit sieben Jahren beansprucht, und sagt, wie alles sein soll. Dabei kommt es doch ganz darauf an, wie der Ideenwettbewerb herauskommt.»
Anita Lachenmeier geht es oft ums Prinzip. Dazu zählt auch der Einsatz für mehr Grünflächen. «Ich hatte mit meinen drei Kindern entweder die Alternative, aufs Land zu ziehen oder mich für mehr Grünflächen in der Stadt einzusetzen. Ich entschied mich dafür, hier zu bleiben und mich für mehr Lebensqualität zu engagieren.» Seither fühlt sie sich dazu verpflichtet, für den Erhalt der Kasernenwiese als Begegnungszone zu kämpfen – und sich Feinde zu machen.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.03.13