Die illegalen Chrampfer

Arbeiten und schweigen: Nach diesem Prinzip funktionierten die Sans-Papiers bis jetzt. Jetzt erhalten sie eine Stimme.

In ganz Basel kleideten die Unterstützer der Sans-Papiers Statuen ein. Im Bild: Die Skulptur bei der Finanzverwaltung. (Bild: Karen N. Gerig)

Arbeiten und schweigen: Nach diesem Prinzip funktionierten die Sans-Papiers bis jetzt. Jetzt erhalten sie eine Stimme.

Sie wischen den Dreck weg, kümmern sich um die Kinder und die Alten. Sie übernehmen Arbeiten, die zeitaufwendig und nicht immer nur angenehm sind. Arbeiten, die dennoch gemacht werden müssen.

Eigentlich könnte man den Sans-Papiers dankbar sein. Das ist aber nur bedingt der Fall. In der Öffentlichkeit sind sie kaum ein Thema. Der Grund ist klar: Die günstigen Arbeitskräfte dürften eigentlich gar nicht in der Schweiz sein. Sie sind illegal hier, obwohl sie offensichtlich benötigt werden.

Das Basler Modell

Das sei ein Widerspruch, heisst es beim Verein Anlaufstelle für Sans-Papiers in Basel. Einer, der aufgelöst werden muss. Deshalb hat der Verein Mitte Woche ein neues Modell vor­gestellt, das drei zentrale Punkte beinhaltet:

• Jahr für Jahr soll eine bedarfsgerechte Anzahl von Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen an Sans-Papiers aus Nicht-EU-Staaten vergeben werden, die in Basel arbeiten.
• Alle erwerbstätigen Sans-Papiers sollen Zugang zu Sozialversicherungen haben. Ihre Anmeldung darf den Ausländerbehörden nicht gemeldet werden.
• Jugendliche Sans-Papiers erhalten die Möglichkeit einer beruflichen Grundausbildung.

Ein heikles Thema

Die Präsentation des Modells war der Anfang einer schweizweiten Kampagne. In den nächsten Wochen sollen ähnliche Forderungen auch in anderen Kantonen gestellt werden.

Der Startpunkt Basel wurde nicht zufällig gewählt. Im eher links-liberalen Stadtkanton rechnen sich die Unterstützer der Sans-Papiers noch vergleichsweise gute Chancen aus – auch wenn die Politik sie in diesem Bereich bis jetzt ganz generell enttäuscht hat. «Ausländer sind immer ein heikles Thema», sagt Mitstreiterin Anni Lanz: «Das macht vielen Politikern Angst. Ihnen fehlt die Zivilcourage, den heuchlerischen Umgang mit den Sans-Papiers zu beenden.»

Wisch und weg!, fordert die SVP

Darum setzt der Verein erst einmal auf die Unterstützung von Künstlern, ­Autoren und Staatsrechtlern wie Markus Schefer und René Rhinow. Vor ­allem die Juristen könnten sich als hilfreich erweisen.

Denn die Gegner werden rechtlich argumentieren. «Im Unrecht gibt es kein Recht. Das war schon immer so – und daran haben sich auch alle zu halten», sagt etwa der Basler SVP-Grossrat Eduard Rutschmann. Mit einer Legalisierung der Sans-Papiers würden all jene Ausländer benachteiligt, die sich ordentlich anmelden.

Die Basler SVP fordert deshalb ziemlich genau das Gegenteil der Anlaufstelle: Sie verlangt ein konsequentes Vorgehen gegen die «Illegalen», wie sie in dieser Partei genannt werden. Und damit auch eine Meldepflicht für alle staatlichen Stellen, die mit Sans-Papiers Kontakt haben. Die SVP will zudem verhindern, dass den jungen Sans-Papiers eine Lehre ermöglicht wird. Damit würden den Jugendlichen nur falsche Hoffnungen gemacht, sagt Rutschmann.

Es ist eine kontroverse Debatte, die da auf die Politik in Basel und den anderen Kantonen zukommt. Eine, die aber erst einmal in der TagesWoche geführt wird – in der Wochendebatte. Diskutieren Sie mit!

Migranten springen in die Lücke. In der Schweiz beschäftigen rund 350 000 bis 400 000 Haushalte eine Arbeitskraft, die beim Reinigen, der Kinderbetreuung oder anderen Arbeiten im Haushalt hilft – Tendenz steigend. Ein Grund für diese Entwicklung ist wohl die Zahl der erwerbstätigen Mütter, die in den vergangenen 20 Jahren von 60 auf rund 80 Prozent gestiegen ist, während die Zahl der Väter ohne oder mit geringer Erwerbstätigkeit kaum grösser geworden ist.Aktuell arbeiten acht Prozent der Väter Teilzeit. ­
Entsprechend gross sei die Nachfrage nach Haushaltshilfen, heisst es beim Verein Anlaufstelle für Sans-Papiers. Eher prekär sei dagegen das Angebot, weil die Arbeiten nicht besonders beliebt seien. «Wer kann, sucht sich eine andere Arbeit», sagt Pierre-Alain Niklaus von der Anlaufstelle, der auch Bücher zum Thema geschrieben hat. Dies betreffe sowohl Schweizerinnen wie auch die meisten Zuwanderinnen aus der Europäischen Union. «Entsprechend hoch ist der Anteil an Migrantinnen und Migranten aus nicht-europäischen Staaten.» Die Gewerkschaften gehen davon aus, dass in Basel zwischen 20 und 50 Prozent der Hausangestellten keine ­Papiere hat. In anderen Städten sei der Anteil sogar noch höher. 

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 08.11.13

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