Freitag, 8.45 Uhr, Primarschule Hirzbrunnen, die Klasse 6 C schreibt einen Leistungs-Check. Die Schülerinnen und Schüler schnappen sich Geodreiecke und Zirkel und stellen Kartontrennwände auf den Pulten auf. Der Lehrer verteilt die Testaufgaben – ein Dossier, knapp 30 Seiten lang. Es ist der letzte dieser Checks, den die Klasse 6 C absolvieren muss.
«Ihr seid ja schon regelrechte Check-Profis», sagt der Lehrer. Er spricht damit den Prüfungsmarathon dieser Woche an, den seine Schülerinnen und Schüler bereits hinter sich haben. Über vier Stunden Tests, verteilt auf sechs Lektionen haben die Schülerinnen und Schüler schon absolviert. Nun stehen 40 Minuten Mathematik- und Geometrieaufgaben an.
«Trödelt nicht, aber hetzt auch nicht», mahnt der Lehrer. Dann geht es los.
Auf einem Testblatt steht zum Beispiel: «Ordne die folgenden Zahlen der Grösse nach. Beginne mit der kleinsten Zahl.» Oder: «Ich denke mir eine Zahl, addiere 20, dividiere durch 4, multipliziere mit 5 und erhalte die Zahle 150. Wie heisst die Zahl?»
Alle Sechstklässler in Basel-Stadt, Baselland, Aargau und Solothurn müssen diese Aufgaben lösen. Die Tests zählen nicht fürs Zeugnis, sie sollen aber den aktuellen Stand der Schülerinnen und Schüler zeigen.
Die Kinder erhalten einige Wochen später einen Bericht, wie gut sie beim Leistungs-Check waren. Die Lehrer sehen ganz genau, wie ihre Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu anderen Klassen, Schulen oder anderen Kantonen abschneiden. Auch die Erziehungsdirektoren erhalten die Ergebnisse in anonymisierter Form.
Abschaffen oder doch nicht?
Fast seit der Einführung der Checks 2013 gibt es die Kritik daran. Sie lautet: bringen nichts, viel zu teuer und zeitintensiv.
Nun steht Basel-Stadt kurz davor, die Checks abzuschaffen. Der Grosse Rat überwies eine Motion von Beatrice Messerli (BastA!), die die Abschaffung innerhalb eines Jahres fordert. Die Regierung will das nicht und schlägt vor, abzuwarten. Das Kantonsparlament entscheidet diesen Mittwoch oder in vier Wochen, ob die Checks definitiv abgeschafft werden sollen.
«Scheisse, Mann», unterbricht ein Schüler die Stille und bringt seine Testblätter nach vorne. Die Zeit ist um, viele Aufgaben bleiben ungelöst.
«Ich mag die Checks nicht», wird der Schüler später sagen. Ein anderer erklärt: «Mir war es eigentlich egal, wie gut ich in diesem Check bin, er zählt sowieso nicht. Er ist nur belastend.»
Eine Schülerin sagt: «Vor dem ersten Test hatte ich so viel Angst, dass ich die Nacht nicht geschlafen habe. Danach habe ich gemerkt, dass es gar nicht so schwer ist und dass es gar nicht zählt.»
«Ich habe aufgrund von Leistungs-Checks schon überraschende Entdeckungen gemacht», sagt Lehrer Markus Balsiger.
Über die Frage, ob es sinnvoll ist, jedes Schulkind zu prüfen und alle miteinander zu vergleichen, herrscht in der Klasse 6 C überraschende Einigkeit. Eine Schülerin meint: «Ich finde es gut, zu vergleichen. So kann man schauen, wo die guten und schlechten Schüler sind und vielleicht etwas am Unterricht verbessern.» Auch für sich selbst sei es gut zu wissen, wo man stehe, und dass man sich allenfalls mehr Mühe geben muss, sagt ein weiterer Schüler.
Der Lehrer der Klasse, Markus Balsiger, ist eine von wenigen Lehrpersonen in Basel-Stadt, die die Checks befürworten. «Mit Vorbehalten», wie er sagt. «Ich habe aufgrund von Leistungs-Checks schon überraschende Entdeckungen gemacht.» Zum Beispiel als er bemerkte, dass ein Kind sehr sprachbegabt war. «Im täglichen Unterricht waren diese Fähigkeiten nicht in diesem Ausmass erkennbar.»
Balsiger stört unter anderem, dass er nicht die korrigierten Testbögen zurückerhält, sondern nur die Ergebnisse mit Kompetenzbeschreibungen der Schülerinnen und Schüler. «Das ermöglicht es mir nicht, ohne grösseren Aufwand gezielt an bestimmten Aufgaben zu arbeiten, eben dort, wo es individuell am nötigsten wäre.»
Die meisten Basler Lehrpersonen können den Checks überhaupt nichts Positives abgewinnen und wollen sie abschaffen. Das Verhältnis Gegner zu Befürworter sei dabei etwa 2000 zu 100, sagt Jean-Michel Héritier von der freiwilligen Schulsynode, der Lehrervertretung in Basel-Stadt. Dies hätte die letzte Umfrage unter den Lehrerinnen und Lehrern ergeben.
«Es ist eine Illusion, dass man Bildung mit solchen Tests vermessen könnte», sagt Héritier. Auch als Förderinstrument, wie die Checks den Lehrpersonen ursprünglich angepriesen wurden, seien sie weitgehend ungeeignet. Ein Test sei immer eine Momentaufnahme, die nicht den Lernprozess als solches wiedergebe.
Viele Schülerinnen und Schüler hätten zum Beispiel Angst vor den Tests und könnten unter diesen Bedingungen gar nicht zeigen, was sie draufhaben. Die Checks würden dann politisch als Wert verkauft, den sie eigentlich gar nicht haben. «Die echte Qualität der Bildung lässt sich anhand von solchen Resultaten nicht abbilden.»
«Die ganze Übung abzubrechen ist auch finanziell gesehen etwas, das wir nicht gut fänden.»
Das Erziehungsdepartement (ED) beharrt trotz allen Widerständen auf den Checks. Entgegen der Meinung der Lehrpersonen kommt das ED zum Schluss, dass die Checks für eine gute Unterrichtsqualität «absolut notwendig» seien.
Ausserdem hätte eine Abschaffung massive Zusatzkosten zur Folge, weil ein neues Instrument eingekauft werden müsste, schreibt die Regierung in der Antwort auf die Motion Messerli.
Für den Aufbau der Checks zahlte Basel-Stadt 1,6 Millionen Franken an ein privates Zürcher Institut. Jetzt kostet die Weiterführung noch 630’000 Franken pro Jahr. Das sei verhältnismässig günstig im Vergleich zu den Gesamtausgaben der Volksschule von 372 Millionen Franken jährlich, wie das ED meint.
Das ED möchte die Motion Messerli in einen Anzug umwandeln. Das würde bedeuten, dass die Regierung zwei Jahre Zeit hat, die Checks zu überprüfen. Anschliessend würde sie an das Parlament Bericht erstatten und allenfalls einen Antrag stellen.
Will das ED so die Abschaffung der Checks einfach vertagen? Nein, sagt ED-Sprecher Simon Thiriet. «Wir möchten uns mit der Umwandlung in einen Anzug Zeit ausbedingen.» Klar sei, dass bei einem solchen Grossprojekt längst nicht alles von Beginn an perfekt funktioniere. «Aber jetzt die ganze Übung abzubrechen ist auch finanziell gesehen etwas, das wir nicht gut fänden.»
«Wenn wir in der Schule schlecht sind und nichts daran ändern, werden wir später nur Müllmann oder so.»
Um die Kritik an den Check abzuschwächen, hat das ED bereits kleinere Änderungen vorgenommen. Ein Test auf der dritten Sekundarstufe wurde gestrichen, das Fach Natur und Technik soll nur noch freiwillig geprüft werden und ein Check wurde von der sechsten in die fünfte Klasse verschoben.
Sagt der Grosse Rat Ja zur Abschaffung der Checks, würden diese frühestens ab dem nächsten Schuljahr wegfallen. Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 6 C sind gespalten, ob eine Abschaffung gut oder schlecht wäre. Ein Schüler will den Stress den zukünftigen Schulkindern ersparen, eine Schülerin findet: «Weiterführen, aber kein Riesending draus machen.»
Sind die Checks fürs spätere Leben wichtig? «Sehr wichtig», sagt eine weitere Schülerin, damit man sehe, was man in der Primarschule können muss. «Wenn wir in der Schule schlecht sind und nichts daran ändern, werden wir später nur Müllmann oder so.»