Die Kleinen bezahlen für den Konflikt der Mächtigen

Wladimir Putin und Gazprom-Chef Alexei Miller gaben letzte Woche in Ankara bekannt, dass South Stream gestoppt wird. In Bulgarien und Serbien ist man schockiert, und in der Türkei können sich die Kunden womöglich auf günstiges Gas freuen.

Doch keine Gaspipeline für Osteuropa: Das beerdigte Riesenprojekt South Stream spült Milliarden den Bach runter – und damit auch viel Hoffnung für Länder wie Serbien, Bulgarien oder Ungarn. (Bild: KOCA SULEJMANOVIC/Keystone)

Wladimir Putin und Gazprom-Chef Alexei Miller gaben letzte Woche in Ankara bekannt, dass South Stream gestoppt wird. In Bulgarien und Serbien ist man schockiert, und in der Türkei können sich die Kunden womöglich auf günstiges Gas freuen.

Eine Atombombe rast durch die Pipeline auf ein Öl-Terminal zu. Eigentlich sollte James Bond nur die Industriellentochter Elektra King beschützen, die von ihrem Vater die Rechte an einem Ölvorkommen im Wert von sechs Billionen Dollar am Kaspischen Meer erhalten hat. Weil sie aber das böse Bond-Girl ist, versucht sie mithilfe tschechischer Atombomben und kasachischer Atomforscher, Istanbul in die Luft zu jagen.

Natürlich konnte Elektra King dem Charme von James Bond nicht widerstehen und äussert ihm gegenüber, sie hätte ihm die Welt zu Füssen gelegt, wenn er sich mit ihr zusammengetan hätte. Bond erwidert tough: «Die Welt ist nicht genug.»

Die geplante South-Stream-Pipeline wird in Zukunft wohl nicht als Ideengeber für solche Agententhriller herhalten können. Sie wird offenbar nie gebaut und kann folglich auch nicht explodieren.

Gazprom hat vorerst eines der grössten Energieprojekte Europas auf Eis gelegt. Auf einer Länge von 2380 Kilometern hätte ab 2019 Gas vom Schwarzen Meer über Bulgarien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich gepumpt werden sollen. Durch die Pipeline hätte die Ukraine als Transitland umgangen werden können.

Der amtierende bulgarische Ministerpräsident Bojko Borissow widerstand dem Charme Wladimir Putins ebenso eisern wie James Bond, der die Queen niemals für Elektra King hintergangen hätte. Borissows Queen ist die Europäische Union, welche schon mehrfach die Verträge zwischen Russland und den beteiligten Staaten beanstandet hat, weil sie gegen geltendes EU-Recht verstossen.

Herber Schlag für Bulgarien, Serbien und Ungarn

Putin machte die Blockadehaltung Bulgariens für das Ende von South Stream verantwortlich und warf dem Land vor, seine Souveränität aufgegeben zu haben. Die Arbeit am bulgarischen Abschnitt der Pipeline begannen im Oktober 2013, wurden aber im Juni diesen Jahres auf Druck der EU-Kommission stillgelegt. Der Hauptstreitpunkt war die Bedingung, dass auch Drittanbietern Zugang zu den Rohren gewährt wird, was von russischer Seite strikt abgelehnt wurde.

Es gibt in Bulgarien Stimmen, die den Baustopp nicht als Tatsache akzeptieren wollen. Martin Dimitrov, Vorsitzender des parlamentarischen Energiekomitees, erklärte den Baustopp von South Stream kurzerhand zu einem Bluff: «Das ist ein taktischer Schritt von Putin und Russland. Keinesfalls wird Russland South Stream aufgeben.»

 Serbien gehen Investitionen von rund zwei Milliarden Euro verloren sowie jährlich 300 Millionen an Transitgebühren.

Auch in Serbien will man den Baustopp nicht wahrhaben. Das Land befindet sich in einer wirtschaftlichen Misere, die durch Sozialabbau sowie Grossbauprojekte wie «Belgrad am Wasser» und South Stream irgendwie überstanden werden soll. Die serbische Regierung hat sich bislang nicht von Russland distanziert und trägt auch die Sanktionen nicht mit. Dies wird in der Europäischen Union aufgrund der schwierigen ökonomischen Lage Serbiens mit überraschend viel Verständnis hingenommen.

Ministerpräsident Aleksandar Vucic kritisierte den Baustopp mit den Worten: «Wir haben sieben Jahre in dieses Projekt investiert, nun zahlen wir den Preis für die Konflikte der Mächtigen.» Serbien gehen Investitionen von rund zwei Milliarden Euro verloren sowie jährlich etwa 300 Millionen Euro an Transitgebühren.

Die Bevölkerung hat Angst vor kalten Wohnungen

South Stream hätte nicht nur Gas, sondern auch jährlich dreistellige Millionensummen in die leeren Staatskassen Bulgariens, Ungarns und Serbiens gepumpt. Diese Staaten importieren bislang fast ihr gesamtes Gas aus Russland und sind reine Empfängerstaaten, die erheblich von der Ukraine-Krise getroffen werden könnten.

Dreht Russland abermals den Gashahn zu, dann bleiben im Winter auch die Wohnungen in Sofia und Belgrad kalt, befürchtet die Bevölkerung. Durch den Bau von South Stream wären sie zu Transitstaaten aufgestiegen. Es ist nicht zuletzt die durch russisches Kapital finanzierte Korruption, wegen der Menschen in relativ armen osteuropäischen Ländern teilweise mehr für ihr Gas bezahlen als in Mitteleuropa.

Beim Baustopp haben nicht nur rechtliche Fragen eine Rolle gespielt. Viele EU-Staaten sahen die Ukraine-Krise als Anlass, das Angebot zu diversifizieren. Die Chance, dies durch die Pipeline Nabucco umzusetzen, welche Gas von der georgisch-türkischen Grenze bis nach Baumgarten in Österreich pumpen sollte, wurde vertan, da das Projekt bereits eingestellt wurde.

«Wenn Europa South Stream nicht haben will, dann wird es eben nicht gebaut.»

Vladimir Putin 

Die Pläne wurden auf Eis gelegt, weil Russland die Transitländer und Italien davon überzeugen konnte, dass South Stream das Gas schneller und vor allem günstiger in die europäischen Märkte pumpen würde. Ausserdem sind die Staaten Zentralasiens und der Kaukasusregion, aus denen man alternativ Gas importieren könnte, meist auch nicht für die konsequente Wahrung von Menschenrechten und für ihre funktionierenden Demokratien bekannt.

Putin machte den Druck aus der EU verantwortlich für den Stopp von South Stream. Auf der Pressekonferenz in Ankara sagte er: «Wenn Europa South Stream nicht haben will, dann wird es eben nicht gebaut. Wir werden den Fokus für unsere Energieressourcen nun in andere Richtungen lenken.»

Vertuschte Schwäche Russlands

Was Putin als Stärke verkauft, ist in Wirklichkeit eine Schwäche Russlands. Der Rubel verliert an Wert und die niedrigen Öl- und Gaspreise machen der russischen Wirtschaft zu schaffen. In Zukunft soll vermehrt Gas von Westsibirien nach China geliefert werden, und die Chancen stehen nicht schlecht, dass China in Zukunft noch mehr Gas aus Russland importieren will. Allerdings zahlt China deutlich weniger als die Europäer.

Ausserdem kann die Volksrepublik einen potenziellen Verlust durch das Wegbrechen europäischer Märkte für Russland nicht ausgleichen. In Schanghai konnte China einen Vorzugspreis aushandeln, weil Putins Priorität darin bestand, zu signalisieren, dass man sich auch anderen Märkten zuwenden könnte.

Das schwächte die Verhandlungsposition von Gazprom erheblich. Dadurch dürften dem Unternehmen und somit auch dem russischen Staat Milliarden verloren gegangen sein.

Türkei als lachender Dritter?

Ähnlich wie die chinesischen Kunden könnten nun auch die türkischen von dem Konflikt zwischen der EU und Russland profitieren. Es ist kein Zufall, dass der Baustopp von South Stream am Montag bei einem Staatsbesuch von Wladimir Putin und Gazprom-Chef Alexei Miller in Ankara verkündet wurde. Die Türkei und Russland gelten als potenzielle Partner für eine Energieallianz.

Alexei Miller gab bekannt, dass mit der Türkei ein Memorandum über den Bau einer Offshore-Pipeline unterzeichnet wurde. Der Grossteil des gepumpten Gases würde nicht in die Türkei exportiert, sondern nach Südosteuropa. Zudem bot der Chef des Staatsunternehmens an, der Türkei Gas unter vergünstigten Bedingungen zu liefern.

Im Ergebnis würde Südosteuropa weiterhin von russischen Gaslieferungen abhängig bleiben, ohne dass diese selbst zu Transitländern aufsteigen würden. Die Türkei würde als Partner Gas zu ausserordentlich günstigen Konditionen erhalten.

Verlierer des Baustopps sind vor allem Bulgarien, Serbien, Ungarn und im geringeren Masse auch Österreich und Russland selbst, das sein Gas nun teilweise zu Ramschpreisen verkaufen muss. Die Abhängigkeit von russischem Gas in Europa bleibt unangetastet bestehen, und die Türkei könnte als lachender Dritter aus dem Konflikt hervorgehen. Das wäre dann auch wieder ein guter Aufhänger für einen neuen Bond-Streifen, in dem 007 Istanbul abermals retten könnte.

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