Kreiselkunst gefährde die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer – daher hat ihr der Verkehrsminister von Baden-Württemberg den Kampf angesagt. Im Kreiselparadies Schweiz will man von dieser Gefahr nichts wissen.
Samstagmorgen, im November 2009. Ein Auto ist mit überhöhter Geschwindigkeit von Heitersheim (D) in Richtung Autobahn unterwegs. Der Fahrer verliert die Kontrolle, das Fahrzeug gerät von der Fahrbahn und rast ungebremst in die nächste Verkehrsinsel. Auf dieser steht eine Flugzeugskulptur, welche schliesslich die wilde Fahrt stoppt. Das Auto prallt in den massiven Betonpfeiler, wird bis zur Rückbank zusammengepresst und an einigen Stellen aufgerissen. Polizei und Feuerwehr werden aufgeboten. Die schreckliche Bilanz: zwei Tote und drei Schwerverletzte.
Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann nahm solch schwere Unfälle zum Anlass, der Kreiselkunst in seinem Bundesland den Kampf anzusagen. Im November 2011 gab er einen entsprechenden «Kreiselerlass» (PDF auf der Rückseite dieses Artikels) heraus. Die Kreisel wurden einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. In dieser Zeit schien sich niemand für diese Angelegenheit zu interessieren. Doch nun, nach der Bekanntgabe der Resultate und der Einleitung erster Massnahmen, ist die Bevölkerung von Baden-Württemberg in Aufruhr.
«Zeichen der regionalen Identität»
Weist ein Kreisel ein mittleres bis hohes Risiko auf, müssen Sicherheitsmassnahmen vorgenommen werden. Sprich: Die Kunstwerke sollen – abhängig von den zuständigen Behörden – in den meisten Fällen entfernt werden. Die Anwohner der betroffenen Kreisel sind bestürzt. Sie wollen ihre «Zeichen der regionalen Identität» nicht einfach kampflos aufgeben. Zahlreiche Klagebriefe wurden verschickt, in Löchgau und Grossbottwar kam es zu Protestmärschen und die Küssaberger gründeten kurzerhand die Facebook-Gruppe «Rettet die Kunst im Kreisel Kadelburg».
Das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur gab daraufhin bekannt, dass sich die Massnahmen nur auf Kreisel ausserhalb der Ortsgrenzen beziehen würden. Innerorts seien künstlerische Freiheiten auch weiterhin möglich.
Kreiselkunst ist Sache der Kantone
Die Schweiz ist ebenfalls ein wahres Kreiselparadies. An vielen ehemaligen Kreuzungen sind heute die runden Verkehrsinseln anzutreffen, oft mit auffallenden Kunstwerken versehen. Drohen auch diese, bald von der Bildfläche zu verschwinden? «Wir interessieren uns nicht dafür», lässt das Bundesamt für Strassen (ASTRA) ausrichten. Der Bau und die Gestaltung der Kreisel sei eine Angelegenheit, die auf kantonaler Ebene geregelt werde. Die Grundidee eines Kreisels sei aber, dass man nicht durch ihn hindurchschauen könne. «Der Fahrer soll sich darauf konzentrieren müssen.»
Martina Münch, Leiterin der Abteilung Stadtraum und Verkehr im Planungsamt von Basel-Stadt ist erstaunt über die rigide Vorgehensweise in Baden-Württemberg. Sie hält den Kampf gegen die Kreiselkunst für eine Überreaktion. «Auch wenn alles stimmt und eine Verkehrssituation so sicher wie möglich gestaltet ist, kann ein Unfall passieren.»
Wenn man jetzt verbieten würde, Kreisel kunstvoll zu gestalten, müsste man auch damit beginnen, gegen sämtliche Bäume am Wegrand vorzugehen, so Münch – und dort sei das Risiko für tödliche Unfälle viel höher. «Jeder Autofahrer realisiert im Normalfall, dass er auf einen Kreisel zufährt», sagt Münch. Dafür würden Signalisation, Übersichtlichkeit und Beleuchtung sorgen. Zudem sei bei jedem Kreisel der Vortritt aufgehoben. Ein gemässigtes Fahrtempo sollte daher für jeden Verkehrsteilnehmer Pflicht sein.
Kreiselgestaltung liegt meist bei den Gemeinden
Im Kanton Baselland sieht man keinen Handlungsbedarf. Die Gestaltung der Kantonskreisel darf von der jeweiligen Gemeinde übernommen werden, falls diese Interesse daran hat. Andernfalls kümmert sich der Kanton darum. Schlechte Erfahrungen hätten sie bisher keine gemacht, schwere Unfälle habe es bisher noch keine gegeben, sagt Reto Wagner, Leiter Kreis 1 der Abteilung Kantonsstrassen. «Wenn die zuständige Gemeinde einen Kantonskreisel gestalten will, muss sie lediglich gewisse Spielregeln beachten.»
Dazu gehören die Vorgaben für das Lichtraumprofil – der Raum, der freigehalten werden muss, um den Verkehr nicht zu behindern – und die vorgegebenen Abstände zu den Rändern des Kreisels. Verboten sind zudem blendende Lichter, Werbeflächen und Elemente aus Wasser. Ansonsten seien die Gemeinden relativ frei bei der Gestaltung. Vor der Umsetzung werde das Projekt aber nochmals überprüft, so Wagner. «Für die Genehmigung muss die Gemeinde das geplante Kunstwerk noch dem Kanton und der Polizei vorlegen.»