Die Krux mit der islamischen Friedenstheologie

Morgen startet in beiden Basel die Woche der Religionen. Zum Auftakt sagt die Präsidentin der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz: Töten im Namen der Religion darf nicht sein.

Einige Koranstellen brauchen zwingend Einordnung, sagt Rifa`at Lenzin, zumal eine ausformulierte islamische Friedenstheologie nicht existiert. (Bild: Wolf Südbeck-Baur)

Morgen startet in beiden Basel die Woche der Religionen. Zum Auftakt sagt die Präsidentin der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz: Töten im Namen der Religion darf nicht sein.

Für Muslime sind diese Tage unsäglich unerquicklich, gleichwohl aber ein Dejà-vu-Erlebnis, wie Rifa`at Lenzin betont. Alles ist schon mal da gewesen. Wie nach den Attentaten vom 11. September 2001: Damals wie heute muss die Präsidentin der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz IRAS-COTIS die täglichen Greuelnachrichten aus den Krisenregionen der Welt von verbrecherisch wütenden Islamisten  verdauen – und kommentieren.

Als absurd bezeichnet es die Islamwissenschafterin mit pakistanischen Wurzeln, wenn die Terrormilizen des so genannten Islamischen Staats IS oder der Boko Haram behaupten, Krieg entsprechend des Buchstabens des Korans zu führen. Gemeinsam sei allen Fundamentalisten, dass sie den Koran oder die Bibel «wörtlich verstehen und  eins zu eins umsetzen wollen.

Sie stellen die Koranstellen nicht in einen Kontext und fragen nicht, ob ihre Sicht der Botschaft den heiligen Schriften überhaupt entsprechen kann», sagt Lenzin.  «Völlig inakzeptabel» ist es denn auch fürs sie, wenn Leute unter Berufung auf den Koran meinen, ihnen missliebige Menschen umbringen zu können.

Entscheidender Nachsatz schliesst das Töten aus

Wie versteht Rifa`at Lenzin selbst diese Suren, die zum Töten der Ungläubigen auffordern? Wenn es im Koran heisst, «vertreibt die Leute, von dort, von wo sie euch vertrieben haben», müsse man wie gesagt den Kontext betrachten. Wird im Koran zum Kampf aufgefordert, werde laut der Islamwissenschafterin stets gleich dazu gesagt: «Aber überschreitet nicht die Grenzen.» Das sei der entscheidende Nachsatz, der blindwütiges Morden ebenso ausschliesst wie das Töten von Wehrlosen.

Wird im Koran zum Kampf aufgefordert, so wird stets gleich dazu gesagt: Aber überschreitet nicht die Grenzen. Das ist der entscheidende Nachsatz, der blindwütiges Morden ebenso ausschliesst wie das Töten von Wehrlosen.

«Wenn sie aufhören, gegen euch zu kämpfen, dann hört auch auf zu kämpfen», zitiert Lenzin den Koran. Gewalt werde im Koran wie in der Bibel nicht tabuisiert. Aber wenn man nur schon die entsprechenden Passagen als Ganzes lese, gewinne man ein ganz anderes, Gewalt relativierendes Bild. Vielen, die einfach täten, was ihnen IS-Ideologen eintrichterten, spricht die Muslimin eine religiöse Haltung ab.

Und an die Adresse christlicher Scharfmacher gibt Lenzin zu bedenken: Zu behaupten, wie kürzlich in der NZZ der Opus-Dei-Mann Martin Rhonheimer, «Gewalt sei ein Wesenszug des Islams, halte ich für fatal». Wer so argumentiert, kontert Lenzin, übersehe mit voller Absicht, dass sich etwa der norwegische Amokläufer und Massenmörder Anders Brejvik auf das Christentum berufen habe. Klar sei hingegen, dass niemand eine überzeugende Antwort geben könne auf die Frage, was junge Männer zu derartigen Greueln treibe.

Keine ausformulierte Theologie des Friedens

Was aber lehrt der Islam, den die allermeisten Muslime als Religion der Toleranz verstehen, über den Weg zum Frieden? Eine ausformulierte Theologie des Friedens kenne der Islam nicht, stellt Rifa`at Lenzin fest. «Die Akzeptanz der Vielfalt ist es, was mich der Koran in diesem Zusammenhang lehrt.»

Die entsprechenden Suren seien wirkmächtige Stellen. Dabei handle es sich um Koranstellen, in denen es heisst: «Wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch zu einem Volk gemacht.»  Ausserdem spreche der Koran von der Einheit unter den Muslimen im Konjunktiv – laut Lenzin ein weiterer Beleg für die von Allah gewollte Vielfalt unter den Menschen. Im Umkehrschluss versteht Lenzin diese Koranstellen als ein «klares Votum gegen jede Art von Fundamentalismus und Totalitarismus». 

Was das Verhältnis des Islam zu anderen Religionen betrifft, so seien die Aussagen des Korans analog zur Vielfalt von einer grossen Bandbreite. So finden sich Suren, die zumindest die Möglichkeit der Einheit der Religionen in den Blick nehmen, bis hin zu Versen, die das pure Gegenteil – die Ablehnung anderer Religionen – betonen.

Korantexte brauchen Einordnung

«Doch auch diese Korantexte müssen kontextualisiert werden», schärft  die Islamwissenschafterin unermüdlich ein. Als Mohammed in Medina die Umma, die Gemeinschaft, gründete, habe er die Gemeinschaft aller und gewissermassen eine existentielle Einheit aller Bewohner Medinas vor Augen gehabt. «Dazu zählten die Juden ebenso wie die Christen», erklärt Lenzin. Klar sei aber auch, dass «Vielfalt immer konfliktträchtig ist».

Angesicht des grossen Gewichts, dass Lenzin der Vielfalt beimisst, will die IRAS-Präsidentin nicht kategorisch ausschliessen, dass selbst der Islamische Zentralrat der Schweiz Mitglied bei IRAS COTIS sein könnte (ein Gesuch liegt nicht vor). Denn die IRAS sollte ein breit abgestütztes Gefäss sein, in dem unterschiedliche Gruppen Platz haben.

«Bedingung wäre aber, dass sie sich an unsere Statuten und Richtlinien halten. Dazu gehört die Ablehnung von Gewalt.» Fazit: Gegen Gewalt sei nur ein Kraut gewachsen und das heisst beharrlicher Dialog und Begegnungen. 

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Die Woche der Religionen vom 2.–8. November 2014 gibt vielfältige Einblicke in das religiöse Leben in der Schweiz. Detailliertes Programm unter www.iras-cotis.ch/woche-religionen.

 

Artikelgeschichte

1.11.2014, 14:00 Uhr: Datum von 9/11 korrigiert, die Attentate fanden natürlich am 11.9.2001 statt.

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