Sicherheitsdirektor Baschi Dürr wollte Erinnerungen an den letztjährigen Polizeieinsatz während der Art Basel verhindern. Der Einsatz seiner Polizeikräfte an der diesjährigen Art Basel hat eine Kunstperformance erst vollendet. Dabei wollten der Sicherheitsdirektor und die Messe doch genau solche Schlagzeilen vermeiden.
Als die Pappteller hochgehen, verzieht Baschi Dürr zunächst keine Miene. Zehn Grossräte aus dem linken Lager haben die ordentliche Finanzberatung zum Anlass genommen «ein kleines Zeichen des Protests zu setzen». So SP-Grossrat Pascal Pfister, der die Idee zur Aktion hatte. In der Woche eins nach dem Grosseinsatz der Polizei gegen eine Kunstaktion auf dem Messeplatz ist die Pappteller-Affäre auch im Parlament angekommen. Die Linke stürzt sich auf das Thema, nachdem sich in Basel Empörung breit gemacht hat.
Wurde beim Einsatz gegen Kunststudenten das Grundrecht der Meinungsfreiheit verletzt?
Welche politischen und juristischen Folgen hat der Vorfall?
Über diese Fragen diskutieren am Montag, 7. Juli, Sicherheitsdirektor Baschi Dürr, SP-Grossrätin Tanja Soland, der Künstler und Dozent Enrique Fontanilles, SVP-Grossrat Joël Thüring sowie der Basler Stadtentwickler Thomas Kessler (Moderation: Remo Leupin, TagesWoche).
Diskutieren Sie mit: am Montag, 7. Juli 2014, im «Ackermannshof»,
St. Johanns-Vorstadt 19–21 in Basel.
Türöffnung: 18.45 Uhr; Start der Veranstaltung: 19.15 Uhr
Dürr blickt in die weissen Scheiben wie in milchige Spiegel, in denen kaum mehr etwas zu erkennen ist von den liberalen Überzeugungen des FDP-Politikers. So sieht das Pfister, so sieht das auch die Grünliberale Martina Bernasconi, für die von Dürrs Freiheitsliebe nicht mehr viel übrig ist nach diesem Freitagabend auf dem Messeplatz.
Dürr lächelt gequält, er greift nach dem Mikrofon und spottet in einem Nebensatz über die «glatten Kunstaktivisten im Saal». Zuvor hatte er bereits eine Wortmeldung von Brigitta Gerber (BastA!) mit einem angedeuteten Gähnen kommentiert.
Ein «Warteraum» hinter Gittern
Sie hatte den Pappteller-Protest mit einer energischen Verurteilung der Polizeiaktion eingeleitet. Mit denselben Gesten und Nebensätzen an der Grenze zur Überheblichkeit hat Baschi Dürr bereits als Grossrat gearbeitet, um sich die Gegner vom Leib zu halten. Doch diesmal dürfte das kaum reichen, um eine Debatte über die Recht- und Verhältnismässigkeit des von ihm angeordneten Einsatzes abzuwenden.
So war die Performance gedacht: Schwarz gekleidete Studenten marschieren in Polizeiformation. (Bild: Hans-Jörg Walter)
34 Personen hat Dürrs Korps auf dem Messeplatz unter dem Titel einer Personenkontrolle abgeführt, darunter zahlreiche Unbeteiligte. Alle wurden in Kastenwagen in den Stützpunkt Waaghof verfrachtet. Dort wurden die Abgeführten fotografiert, sie mussten sich nackt ausziehen und untersuchen lassen. Mehrere Stunden wurden sie in einer vergitterten Sammelzelle festgehalten, welche Polizeichef Gerhard Lips liebevoll «Warteraum» nennt.
Eine akute Gefährdungssituation durch die Kunstaktion bestand nie. Lips sagt: «Im Nachhinein lässt sich nicht sagen, ob dank unseres Einsatzes keine Eskalation erfolgte oder ob sowieso nichts passiert wäre.»
Zivilpolizisten bei der Hauptprobe
Die Polizei wusste mindestens eine Stunde vor der Performance, was später geschehen würde. Schlecht getarnte Zivilbeamte observierten die Hauptprobe auf dem Hof der Schule für Gestaltung. Dort hatten sich gut 25 Kunststudenten und zwei Lehrer, darunter der stellvertretende Direktor der Schule, Enrique Fontanilles, in einem Raster angeordnet. Alle waren schwarz gekleidet, in der Hand hielt jeder einen weissen Tortenboden aus Karton. Damit wollte die Gruppe die Ereignisse des Vorjahres nachstellen.
Dürr war damals frisch im Amt und die Art Basel in vollem Gang. In Holzhütten verkaufte die Messe ihren Besuchern für teures Geld Cüpli, daneben hatten sich Protestler eingerichtet, die gegen die Dekadenz dieses künstlichen Favela-Dorfes anfeierten. Dass seine Bauten kritische Reaktionen hervorrufen, war sich der japanische Künstler Tadashi Kawamata gewohnt, wie er uns im Exklusiv-Interview sagte. Noch nie erlebt hatte er aber einen Einsatz, wie ihn die Basler Polizei durchführte.
Nachdem die Aktivisten mehrere Ultimaten hatten verstreichen lassen, löste die Polizei das Tanzfest unter Einsatz von Gummischrot und Reizgas auf. Feiernde wurden verletzt. Eine Woche später kam es zu einer Nachdemo, an der eine Polizistin tätlich angegriffen wurde.
Grossaufgebot gegen eine stille, schnelle Aktion
Was im Juni 2013 von der Art Basel hängen blieb, waren für einmal nicht Besucherrekorde, sondern die Videoaufnahmen der TagesWoche, die den unzimperlichen Polizeieinsatz an der Protestparty aus der Vogelperspektive zeigten. Diese sorgten landesweit für Aufsehen, selbst die «Tagesschau» berichtete, aber auch die Kunstfachpresse. Sie führten zu einer Diskussion über die Verhältnismässigkeit von Dürrs erstem Grosseinsatz.
Enrique Fontanilles, Vizedirektor der Schule für Gestaltung, wird abgeführt. (Bild: Hans-Jörg Walter)
Die Kunstperformance – ein Freizeitprojekt, übrigens – sollte ein Jahr später an diese Ästhetik erinnern, sagt Dozent Enrique Fontanilles. Eine stille, eine schnelle Gedenkaktion war geplant. Aufregung, glaubten die Macher, hätte es kaum gegeben, wenn die Polizei nicht mit einem Grossaufgebot jede Regung der jungen Künstler unterbunden hätte.
Lips und Dürr wollten keine Aktion, die an die Favela-Räumung im Vorjahr erinnert. Doch mit dem Polizei-Einsatz haben sie genau das bewirkt.
Um das ausgesprochene Versammlungsverbot zu umgehen, waren die Künstler einzeln auf den Messeplatz gegangen. Kaum angekommen, wurde jeder einzelne von ihnen vorübergehend festgenommen, dazu jeder Passant und Art-Besucher, der mit den Aktionisten in Kontakt gekommen war. Als ob Dürr und sein Polizeichef um jeden Preis verhindern wollten, dass sich die Gedanken an den überharten Einsatz des Vorjahres über kleine Flyer und weisse Pappdeckel verbreiteten. «Wir wollten keine Veranstaltung auf dem Messeplatz, die an die letztjährige Favela-Aktion erinnert», sagt Lips.
Nun hat die Polizei selbst diese Erinnerung geweckt, denn erst ihr erneuter Einsatz hat die politische Kunstaktion vollendet und die Diskussion wieder in Gang gebracht.
Weiterer Imageschaden für die Art Basel
Das verunsichert nicht nur viele Bürger, sondern auch die Art Basel. Denn diese wollte unbedingt verhindern, dass erneut heftige Aufnahmen um die Welt gehen würden. Zwar blieben die schlimmen Bilder diesmal aus, doch die Geschichten über die Intoleranz rund um die Art Basel, über Provinzialität und Kommerzialität, ziehen weiter ihre Kreise.
Dabei wollten doch nur einige Kunststudenten eine kleine Aktion machen, die Kunst der Kritik und die Kritik der Kunst nach aussen tragen, auf einen öffentlichen Platz. So wie das vor ihnen schon ein Christoph Schlingensief oder ein Joseph Beuys taten. Und das in einer Stadt, die so gerne stolz sein möchte auf ihr humanistisches Erbe, die sich so gerne kunstaffin gibt. Und tolerant.
Definiert die Polizei, was Kunst ist?
Doch dieser Raum zwischen Messe und Öffentlichkeit, zwischen Polizei und Protestierenden scheint zunehmend gestört. Kunst ist, was Geld bringt und eine Bewilligung hat, könnte man meinen. Darf eine Kunstaktion also nur stattfinden, wenn sie Baschi Dürr und Gerhard Lips genehm ist, wenn sie der Messe Schweiz nicht in die Quere kommt (und dieser bestenfalls Einnahmen bringt?).
Entscheidet die Polizei, welche kritische Aktion geduldet wird? Definiert sie die Trennlinien zwischen Kunst und Kundgebung? Darf sie präventiv zuschlagen und unbeteiligte Leute stundenlang festhalten?
«Erfolgreicher Einsatz»: Sicherheitsdirektor Baschi Dürr verteidigt das Vorgehen der eigenen Einsatzkräfte. (Bild: Hans-Jörg Walter)
Solche Fragen beschäftigen jetzt auch die Politik: Tanja Soland, eine der gewichtigsten Stimmen der Basler Sozialdemokraten, stellt das Vorgehen der Polizei in Frage. Mit einer Interpellation (auf der Artikel-Rückseite) will sie eine politische Debatte erzwingen, in der erörtert wird, wie weit die Polizei bei vagen Sicherheitsbedenken gehen darf. Voraussichtlich im September muss Dürr Antworten auf Solands Fragen liefern. Soland befürchtet, «dass die Bürger das Vertrauen in die Staatsgewalt verlieren, wenn sie so behandelt werden».
Parallel zur politischen Aufarbeitung wünscht sich die Rechtsanwältin auch eine juristische, sie hat deshalb den Kontakt zu den Beteiligten gesucht, damit eine gerichtliche Überprüfung stattfindet. Soland erkennt im Verhalten der Polizei Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch. Sie hält bereits das von der Polizei verfügte Veranstaltungsverbot für unberechtigt: «Das Verbot hatte keine klare Rechtsgrundlage.»
Performance mit Polizeipräsenz
Auch den Umgang mit den Kunststudenten und Passanten, die das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, hält sie für fragwürdig: «Personen wurden willkürlich kontrolliert und die Kontrollen im Waaghof als unrechtmässige Präventivhaft missbraucht.»
Wie sich eine solche «Präventivhaft» anfühlt, hat die angehende Primarlehrerin Liliane Affolter erfahren. Die 22-jährige Baslerin wohnt in Bern, wo sie Pädagogik studiert. Am Wochenende wollte sie die Art besuchen, eine Kollegin hatte ihr von einer speziellen Performance auf dem Messeplatz erzählt, wie Affolter im Videointerview schildert. «Ich schaute mir also das Treiben auf dem Messeplatz an, neben mir ein älteres Paar.» Eine Performerin kam auf sie zu, drückte ihr einen Pappteller in die Hand. «Das Paar neben mir wunderte sich über die Polizeipräsenz. Es dachte, das gehöre zur Performance.»
Affolter hielt den Pappteller in ihrer Hand, als sie von Polizisten abgeführt wurde. Sie war etwas baff, irritiert. War das Teil der Kunstaktion? «Ich fragte, warum ich mitkommen müsse. Da sagte mir die Polizistin, weil ich schwarze Kleider tragen würde.»
Nackt und ratlos
Affolter wies sich aus, sah zu, wie ihre Tasche durchsucht wurde. Ohne Angabe von Gründen steckte man sie in einen Kastenwagen. «Erst da erfuhr ich von Studierenden, die ebenfalls im Wagen sassen, was sie hier machen wollten und was hier im letzten Jahr geschehen war.»
Völlig unbeteiligt war sie, doch schenkte ihr kein Beamter Gehör. Auch nicht einem anderen Insassen, der zu Hause ein dreijähriges Kind hüten sollte. Die Polizisten liessen ihn noch nicht mal Bescheid geben: «Wir baten einen Beamten darum, den Anruf anstelle des Festgehaltenen zu tätigen, um zu Hause zu informieren. Ohne Erfolg.»
Ratlos waren nicht nur Affolter, auch andere Unbeteiligte, die eingesperrt und von Kopf bis Fuss durchsucht wurden – nackt, ohne Angabe von Gründen. «Ein Eingriff in meine Intimsphäre», sagt sie. «Ich bin völlig aus den Wolken gefallen, fühlte mich im falschen Film, stundenlang.»
Bis heute hat sie keine Begründung bekommen, weshalb sie abgeführt wurde. Geschweige denn eine Entschuldigung.
Kritik aus den eigenen Reihen
Solche Methoden, solche Anekdoten sorgen nun auch im bürgerlichen Lager für Stirnrunzeln. Selbst aus Dürrs eigener Partei kommt leise Kritik: FDP-Grossrat Elias Schäfer trägt die liberale Gesinnung ebenfalls gerne vor sich her. Doch sagt er: «Hätte ich entscheiden müssen, hätte ich die Aktion wahrscheinlich laufenlassen und wäre erst eingeschritten, wenn es zur Eskalation gekommen wäre.» Schäfer verteidigt Dürr aber auch. Die Kunststudenten hätten sich vorgängig durchaus erkundigen können, ob sie ihre Aktion durchführen dürfen. «Es ist einfach unglücklich gelaufen.»
Ein Art-Besucher wird vom Messeplatz entfernt. Später in der Zelle sollte der an Klaustrophobie leidende Mann zusammenbrechen. (Bild: Hans-Jörg Walter)
Lob erhält der Regierungsrat von rechtsaussen. SVP-Grossrat Joël Thüring bescheinigt Dürr eine «hervorragende Arbeit im Zusammenhang mit der Polizei». Es sei Aufgabe der Polizei vorzusorgen und im Interesse der Sicherheit auch mal präventiv einzugreifen.
Beim Verlassen des Büros von Baschi Dürr fällt uns auf, dass es eigentlich nicht an Basler Kunst mangelt im Spiegelhof. So passieren wir im Flur eine Skulptur des Künstlers Tobias Sauter. Titel des Werks: «Nach Lust und Laune».
Vielleicht nehmen Dürr und Lips die Kunst ja viel ernster, als wir alle meinen.