Das von den grossen Parteien geforderte «Tarifeinheitsgesetz» schwächt das Streikrecht und behindert das ureigenste Geschäft der Gewerkschaftspolitik: für leistungsgerechte Löhne zu kämpfen. Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer hält dagegen.
Karl Marx nennt die Revolutionen Lokomotiven der Geschichte. Auch ohne Revolutionen kann es Fortschritt geben, und es ist mehr als eine Ironie der Geschichte, dass zwar nicht die Lokomotiven, aber die Lokführer zuweilen eine Rolle dabei spielen.
In Deutschland sind Streiks vergleichsweise selten. Wir sind diesbezüglich nicht sonderlich französisch. Daher fällt es auf, wenn eine Gewerkschaft besonders hartnäckig den Arbeitskampf als Mittel sucht, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Diese Gewerkschaft heisst GDL – Gewerkschaft Deutscher Lokführer. Während Monaten hatte man vermittels der Zeitungslektüre den Eindruck, dass diese Gewerkschaft die verhassteste in Deutschland sei und ihr Vorsitzender Claus Weselsky (CDU) die unsympathischste Person sein müsse.
Es hat sich sogar gesellschaftlich eine «Grosse Koalition» gebildet: die grossen Parteien und die meisten der im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zusammengeschlossenen grossen Gewerkschaften, die Mehrheit der Pressestimmen, die Deutsche Bahn AG, die zu 100 Prozent dem Bund gehört – sie alle haben sich zu einer Kampagne gegen die GDL und ihren Vorsitzenden zusammengeschlossen.
Verfehlte Lohnpolitik
Indessen gibt es gute Gründe, die GDL und ihre Konfliktbereitschaft zu loben. In Deutschland sind Produktivitätsentwicklung und Lohnentwicklung seit Langem schon entkoppelt. Damit stagnierten die Löhne, und die Einkommen aus dem Kapital stiegen. Gegen den Streik als Kampfmittel kann sich nur aussprechen, wer diese Entwicklung richtig findet. Am Ende einer solchen Entwicklung steht dann meist eine Überakkumulationskrise, also etwas, was wir gerade erleben. Die soziale Ungerechtigkeit nimmt zu.
Die DGB-Gewerkschaften teilen diese Haltung natürlich nicht, obwohl sie an der stagnierenden Lohnentwicklung eine gewisse Mitschuld tragen. Zu lange haben sie sich unter Druck setzen lassen, haben «Bündnissen für Arbeit» zugestimmt, die zwar keine Arbeitsplatzsicherheit für die Beschäftigten, dafür Gewinnsicherheit für die grossen Unternehmen garantierten. Ihr Grund, an der Stimmungsmache gegen die GDL mitzuwirken, liegt in einem Organisationsegoismus, den sie über die Interessen ihrer Mitglieder stellen. Sie mögen keine Konkurrenz durch Sparten-Gewerkschaften. Auf den Gedanken, dass die Bereitschaft, Spartengewerkschaften zu bilden, aus einer verfehlten Lohnpolitik der grossen Gewerkschaften resultiert, kommen sie erst jetzt.
Als Beispiel einer kämpferischen Gewerkschaft ist die GDL gut.
Die grossen Parteien und die Mehrheit der Gewerkschaften wollen daher ein «Tarifeinheitsgesetz». Das wurde jetzt im Bundestag auch verabschiedet. Es soll sichern, dass es in den Betrieben nicht zu einer Tarifkollision kommen kann. Sind in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften aktiv, soll nur derjenige Tarifvertrag gelten, der mit der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb abgeschlossen wird.
Ich will nicht bestreiten, dass ein solcher Zustand besser wäre als der gegenwärtige. Was ich aber für absolut falsch halte, ist der gesetzliche Zwang dazu. Er schwächt das Streikrecht, belohnt diejenigen Gewerkschaften, die auf die Propaganda der Lohnzurückhaltung eingehen, und bestraft jene, die das ureigenste Geschäft der Gewerkschaftspolitik betreiben: für leistungsgerechte Löhne zu kämpfen. Die Gewerkschaften müssen kämpferischer werden, um dadurch die Anreize, kleine Spartengewerkschaften zu gründen, zu beseitigen. Auch deshalb, als Beispiel einer kämpferischen Gewerkschaft, ist die GDL gut.
Jammern hilft wenig
Aber nicht nur politisch ist es falsch, eine Tarifeinheit gesetzlich zu erzwingen. Nicht wenige Juristen sehen hier eine Reihe von Problemen, verfassungsrechtliche eingeschlossen. Im Kern wird hier das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit eingeschränkt. Die Vorbereitung einer Klage beim Bundesverfassungsgericht wurde bereits angekündigt.
Noch einmal zur GDL: Obwohl es noch keinen neuen Tarifvertrag gibt, ist ihr Arbeitskampf in einem wesentlichen Punkt schon jetzt erfolgreich. Der Bahnvorstand musste anerkennen, dass die GDL jetzt eine weitere Gruppe von Beschäftigten mit vertritt, die bisher nach dem Willen des Bahnvorstands ausgeklammert werden sollte: die Rangierlokführer. Jetzt geht die Deutsche Bahn AG damit hausieren, dass der Streik zu Einnahmeausfällen geführt habe. Ja, so ist das bei Streiks. Und Streiks, die niemandem weh tun, kann man auch bleiben lassen. Von ca. 300 Millionen Euro ist die Rede. Wäre angesichts dieses Schadens nicht schon im Vorfeld eine Verständigung mit der Gewerkschaft sinnvoll gewesen? Also, liebe Bahn, Jammern hilft hier wenig.
Was mich persönlich freut: Die GDL hat für die Schlichtungsgespräche einen Schlichter gewählt, der zurzeit Ministerpräsident in Thüringen ist, Bodo Ramelow – Mitglied der Linken.