Erhält Frankreichs neuer Präsident François Hollande eine Parlamentsmehrheit? Diese Frage beherrscht die Wahlen in die Nationalversammlung.
An diesem Sonntag findet in Frankreich der erste Durchgang der Parlamentswahlen statt, eine Woche später die Entscheidungsrunde. 577 Sitze sind für fünf Jahre zu besetzen. Laut Umfragen liegen die beiden grossen Parteien, die Parti Socialiste (PS) und die bürgerliche «Union für eine Volksbewegung» (UMP), im ersten Wahlgang nahezu gleichauf bei gut 30 Prozent der Stimmen.
Über die endgültige Sitzverteilung sagt dies aber noch wenig aus. Darüber befindet erst der zweite Wahlgang. Zuversichtlich geben sich vor allem die Sozialisten. Bisher gaben die Franzosen einem neu gewählten Präsidenten noch immer eine Mehrheit auf den Weg mit. Damit kann er regieren und seine Wahlversprechen in die Tat umsetzen. Präsident Hollande kann nach Ansicht der meisten Politologen denn auch tatsächlich mit einer «rosa» Mehrheit rechnen. Aber es könnte knapp werden. Falls die Rechte gewinnt, käme es zu einer «Cohabitation» zwischen linkem Präsidenten und bürgerlicher Nationalversammlung. Das gab es bisher drei Mal, nachdem der amtierende Präsident jeweils unpopulär geworden war – 1986 und 1993 François Mitterrand, 1997 Jacques Chirac.
Der grosse Unsicherheitsfaktor ist das Abschneiden des Front National (FN). Nach dem Erfolg von Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen mit fast 18 Prozent könnten die Rechtsextremen auf etwa 15 Stimmenprozent kommen. Das würde heissen, dass sie in vielen Wahlkreisen in die Stichwahl vordringen; erforderlich sind dafür 12,5 Stimmenprozent. In etwa 130 Wahlkreisen könnte es deshalb zu Dreierrennen mit Beteiligung von PS, UMP und FN kommen. Das schmälert arithmetisch die Chancen der Bürgerlichen.
Auch wenn die Frontisten um den greisen Jean-Marie Le Pen damit ein gewaltiges Störpotenzial haben, könnte es sein, dass sie – wie bisher – keinen einzigen Kandidaten in die Nationalversammlung bringen. Der FN ist und bleibt der grosse Verlierer des Mehrheitswahlrechts. Diesmal hat er immerhin in einer Handvoll Wahlkreisen reale Siegeschancen. Dies gilt für die Tochter des FN-Gründers, Marine Le Pen, im industriellen Norden, sowie für seine Enkelin, Marion Le Pen, in der Provence.